Prozess wegen Antisemitismus-Vorwurfs: Gil Ofarim schweigt vorerst
In Leipzig startet das Verfahren gegen den Musiker. Er warf 2021 einem Hotelangestellten Antisemitismus vor – und ist nun selbst angeklagt.
Gleich zu Beginn darf Ofarim sich äußern, möchte das zu dem Zeitpunkt allerdings noch nicht tun – wohl auch, weil zuvor einer seiner drei Strafverteidiger, Alexander Stevens, in seinem wortreichen Eingangsstatement auf Ofarims Lage eingegangen war: Stevens sprach von einem Prozess, der von Anfang an vom Kampf um die Wahrheit geprägt gewesen sei: „Was ist die Wahrheit? Wird es dieser Prozess aufklären? Ofarim hofft es. Seine Anwälte sind skeptisch.“
Die Suche nach der Wahrheit begann nach einem Vorfall vor zwei Jahren: Im Oktober 2021 postet Ofarim ein Video, er filmt sich vor einem Leipziger Hotel und wirft einem Hotelmitarbeiter vor, ihn antisemitisch diskriminiert zu haben. Der Angestellte soll gesagt haben, dass Ofarim erst einchecken dürfe, wenn er seine Kette mit dem Davidstern einpacke. Das Video geht viral.
Das Hotel beauftragt daraufhin eine Anwaltskanzlei, Ermittlungen durchzuführen. Gleichzeitig ermittelt auch die Staatsanwaltschaft. Beide kommen zu dem Ergebnis, dass sich die Situation nicht so zugetragen haben könne, wie es Ofarim im Video schildert. Nach der Analyse von Aufnahmen von Überwachungskameras habe der Musiker seinen Davidstern in der Hotellobby höchstwahrscheinlich nicht sichtbar getragen, zudem habe keiner der vernommenen Zeugen antisemitische Äußerungen gehört.
Suche nach der Wahrheit
Aufgrund technischer Probleme sei es an dem Tag zu Wartezeiten an der Rezeption gekommen. Wie Zeugen berichten, seien zwei Männer hinter Ofarim in der Schlange bevorzugt worden, woraufhin der Musiker zur Rezeption gegangen und dem Rezeptionisten gegenüber ausfällig geworden sei. Angeblich habe Ofarim angekündigt, ein Video zur schlechten Situation im Hotel hochzuladen.
Im März 2022 klagt die Staatsanwaltschaft Leipzig den Musiker dann wegen Vorwurfs der falschen Verdächtigung und Verleumdung an. Das Verfahren gegen den Hotelmitarbeiter wird eingestellt, dieser tritt nun als Nebenkläger im laufenden Prozess auf. Bereits am Dienstag ist er als Zeuge geladen. Der 34-Jährige schildert seine Sicht auf die Geschehnisse des 4. Oktobers 2021 – und bleibt bei seiner bisherigen Version. Demnach habe Ofarim ihn „wild gestikulierend“ angesprochen und mit einem viral gehenden Video gedroht, woraufhin der Hotelmitarbeiter Ofarim den Gästeschein entzogen habe.
Ofarims Verteidiger Stevens beschreibt die Beweislage gegen seinen Mandanten als erdrückend, argumentiert aber, dass „das Gefährliche an solchen Situationen ist, dass sie so schwer nachweisbar sind“. Er vergleicht die Angelegenheit mit Fällen von Mobbing oder sexualisierter Gewalt und verweist auf #MeToo-Verfahren – auch hier stehe das Opfer oft allein gegen mehrere Zeugen, die behaupten, die Tat sei nicht passiert.
Das Ermittlungsverfahren sei laut Stevens unfair abgelaufen, die Ergebnisse der vom Hotel beauftragten Anwaltskanzlei seien intransparent, insgesamt handele es sich um eine Inszenierung, die das Hotelmanagement der Öffentlichkeit verkauft habe. Dabei hätten die Medien Unwahrheiten verbreitet und damit die öffentliche Meinung maßgeblich bestimmt. Inwieweit die Ermittlungsergebnisse der vom Hotel beauftragten Anwaltskanzlei in das Verfahren einbezogen werden, soll nach interner Absprache noch einmal geprüft werden.
Neben dem Vorwurf, im Oktober 2021 gelogen zu haben, muss sich Ofarim auch wegen falscher eidesstattlicher Versicherungen sowie Prozessbetrugs verantworten: Er war an den Landgerichten Köln und Leipzig gegen Medienberichte vorgegangen. Hierfür hatte er an Eides statt erklärt, nicht mit einem „viralen Video“ gedroht zu haben. Die Ermittler halten das für unwahr.
Neun weitere Verhandlungstage sind bis zum 7. Dezember angesetzt. Das Gericht will unter anderem mehr als 20 Zeugen befragen. Aufgrund der aktuellen Eskalation im Nahen Osten findet der Prozess unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen statt; fünf Beamte sichern den Gerichtssaal von innen ab.
Die Strafkammer erklärte zum Auftakt der Sitzung, sich bewusst zu sein, dass in Deutschland Antisemitismus überall, offen und verdeckt, anzutreffen sei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland