Prozess gegen Letzte Generation: Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Vor dem Amtsgericht Hamburg steht ein Aktivist der Letzten Generation wegen Sachbeschädigung. Begegnung mit einem Mann, der keine Zukunft mehr sieht.
F. ist ein schmaler Mann mit dunklem Zopf. Von Beruf ist er Solarmonteur, aber derzeit arbeitslos. Das, was ihm das Gericht vorwirft, räumt er umstandslos ein: F. hat im Oktober 2023 mit einem anderen Mitglied der Letzten Generation die Glasfassade sowie die angrenzenden Betonstützpfeiler und Türen des Audimax der Uni Hamburg großflächig mit wasserfester Farbe besprüht. Pressevertreter:innen haben die Aktion gefilmt, sodass das Beweismaterial ohnehin solide ist.
Juristisch ist dieser Prozess erst einmal nicht besonders interessant. Presse ist kaum da, aber eine Schulklasse sitzt im Zuschauerraum. Was sie sieht, könnte einmal als Absatz in Geschichtslehrbüchern auftauchen: Klimaschutzbewegungen im 21. Jahrhundert. Bei der Letzten Generation steht dann vielleicht als Zusatz: und ihr Scheitern.
Für Philipp F. geht es heute um Finanzielles, aber nicht um Entscheidendes. Am Anfang sei er auf jeder Klimademo gewesen, sagt er, habe gespendet und gemerkt, dass er damit nichts ausrichtete. Deshalb habe er sich der Letzten Generation angeschlossen – aber das 1,5-Grad-Ziel hätten sie trotz aller Aktionen verfehlt. „Seit Anfang des Jahres habe ich keine Aktion der Letzten Generation mehr mitgemacht, weil ich einfach keine Hoffnung mehr habe“, sagt F. Er sagt es sachlich.
Hartnäckiges Orange
Das Gericht beschäftigt sich noch kurz mit der Beweisaufnahme. Es gibt Rechnungen der Universität, die gleich zwei Unternehmen mit der Farbentfernung beauftragen musste, weil das Orange, das die Aktivisten versprüht hatten, hartnäckig war. Im ersten Durchgang lagen die Kosten bei 7.999 Euro und 47 Cent und für den zweiten schrieb ein Maler Poppe eine Rechnung über 12.003 Euro und 27 Cent.
Es gibt auch ein Gutachten des Landeskriminalamts Hamburg zur Frage, wie aufwendig die Farbentfernung war. Ein Teil der Farbe war mit Wasser vermischt, ein anderer nicht, und der vermischte Teil war deutlich leichter zu entfernen. Liegt es da für einen umsichtigen Aktivisten nicht nahe, vermischte Farbe zu nehmen, um nicht bis ans Ende aller Tage für den Schaden aufkommen zu müssen? Das ist eine Frage, zu der Philipp F. nach dem Prozess etwas Erhellendes sagen wird, aber erst einmal fragt der Richter ihn nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen.
F. bezieht als Arbeitsloser 900 Euro, davon zahlt er 700 Euro Miete. Er arbeitet ehrenamtlich auf einem „Lebenshof“, den Freund:innen betreiben. Von ihnen bekommt er „Unterstützung und Essen“, sagt F. Der Lebenshof ist ein Gnadenhof für Nutztiere, so erklärt er auf Nachfrage des Staatsanwalts. „Beim letzten Mal sollte doch ein Schwein kommen“, wirft der Richter ein. Das ist einer der wenigen Momente, in denen F. seine Zurückhaltung verliert. „Leider ist es noch nicht geliefert worden“, sagt er und lacht.
Staatsanwalt und Richter sind freundlich
Der Staatsanwalt und der Richter sind freundlich zu F., der ohne anwaltliche Vertretung im Gericht sitzt. Vielleicht sind sie freundlich wegen der Schulklasse, vielleicht wertschätzen sie eine Sachbeschädigung aus Motiven, die, so sagt es der Richter, „nicht Jux und Dollerei“ sind. „Sind Sie desillusioniert?“, fragt der Staatsanwalt den Angeklagten. „Mein Fokus ist auf kleinen Projekten wie dem Lebenshof“, antwortet der. Der Richter gibt ihm das letzte Wort, aber er hat nichts zu sagen. Dann fällt ihm doch noch etwas ein: „Durch andere Verfahren zahle ich schon 50 Euro pro Monat.“
Der Staatsanwalt fordert in seinem Plädoyer 60 Tagessätze, die nicht über 20 Euro liegen sollen. Das, so sagt er, sei weniger als der übliche Satz. Der Richter schließt sich ihm an. Was zum Strafrechtlichen hinzukommt: F. muss zivilrechtlich für den Schaden am Unigebäude aufkommen.
Der nimmt das Urteil ruhig entgegen, wünscht einen guten Tag und verlässt den Raum. Auf dem Gang erklärt er, was ihn so ruhig bleiben lässt. Kann er die Strafe für die Sachbeschädigung nicht zahlen, droht ihm Haft. Aber für die knapp 20.000 Euro, die er der Uni schuldet, gilt ein Pfändungsschutz auf seinem Konto: dort müssen 1.500 Euro bleiben. Was bei seinen wirtschaftlichen Verhältnissen ohnehin ambitioniert ist.
Farbwahl ist kein Versehen
Die Farbwahl ist kein Versehen, das ihm im Nachhinein leid täte: Schließlich sei es darum gegangen, ein dauerhaftes Zeichen zu setzen. F. setzt sich im Gang auf eine Bank und fragt: „Möchten Sie noch etwas wissen?“ Warum hat er im Gericht nicht, wie viele andere Angeklagte der Letzten Generation, die Möglichkeit für einen Appell in Sachen Klimaschutz genutzt – schließlich saß da eine ganze Schulklasse? Weil es zu spät ist. Das Klimaziel von 1,5 Grad sei gerissen, sagt F. „Es wird nun nicht mehr schlechter werden“, sagt er und korrigiert sich, „Entschuldigung, es wird nicht besser“.
Der Gnadenhof sei ein Projekt von ehemaligen Aktivist:innen der Letzten Generation, die den Kampf ums Klima aufgegeben haben. Fand F. das Gericht und sein Urteil milde? Na ja, sagt er, es habe auch schon Urteile mit Tagessätzen von zehn Euro gegeben. Dann erzählt er noch von dem Lebenshof, der auf einem Grundstück in einem Kleingartenverein Schweinen eine Zuflucht geben will.
Am Tag, als sein Haftbefehl vollstreckt wurde, wollte F. einen Stall für das erste Schwein bauen, schließlich ist er der einzige mit handwerklichen Kenntnissen. Da der Stallbau ausfiel, musste das Schwein anderweitig vermittelt werden. Nun warten sie auf ein anderes. Während F. erzählt, was Zukunft ist, wenn es keine gibt, kommt der Staatsanwalt vorbei. Er tippt an das Baseballcap, das er nun trägt, und das ist vielleicht eine Respektsbekundung.
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