Proteste gegen Coronapolitik: Sie haben andere Wahrheiten

In mehreren Städten gibt es am Samstag Proteste gegen die Coronabeschränkungen. Ein Überblick.

Eine Frau mit gereckter Faust, ein Mann mit dem Grundgesetz demonstrieren in einer Reihe

Illegale Demonstration in Kölns Einkaufsmeile Hohe Straße: Missachtung aller Hygieneregeln Foto: Roland Geisheimer/attenzione

In mehr als 50 Städten wird am Samstag wieder gegen die Corona-Einschränkungen demonstriert. An einigen Orten dürfte es eine überschaubare Zahl Protestierender sein. Für den bisherigen Hotspot Stuttgart hat der Veranstalter indes 500.000 Teilnehmende angemeldet – eine völlige Überschätzung. Am vergangenen Samstag kamen dort mehr als 10.000 Demonstranten und Demonstrantinnen zusammen; was da schon eine beachtliche Zahl war.

Die Proteste gegen die Infektionsschutzmaßnahmen hatten Ende März in Berlin begonnen mit der selbsternannten „Hygiene-Demo“ um den früheren Dramaturgen Anselm Lenz. Seine Initiative relativiert die Gefahr durch das Coronavirus und spricht von einem „Notstandsregime“, die Schutzmaßnahmen seien „obrigkeitsstaatliche Schikanen“.

Danach entstanden die Coronaproteste auch in anderen Städten, zuletzt etwa mit 3.000 Leuten, die in München oder 2.000, die in Nürnberg teilnahmen. Anderenorts waren es weniger. Ein Aufzug in Gera sorgte für Aufsehen, weil dort der Thüringer FDP-Chef Thomas Kemmerich mitlief.

Die Protestierenden eint ihre Klage über einen vermeintlichen Grundrechteentzug wegen der Coronamaßnahmen. Neben besorgten Bürgern und Bürgerinnen beteiligen sich auch Verschwörungstheoretiker, Impfgegnerinnen und Rechtsextreme an den Protesten. Als eines ihrer Sprachrohre gilt der Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen. Inzwischen gründete sich auch eine eigene Partei der Coronaskeptiker und -Skeptikerinnen, der „Widerstand 2020“.

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Einige Kundgebungen fielen zuletzt mit Gewalttaten auf. So kam es in Berlin zu Angriffen auf Journalisten und Flaschenwürfen auf Polizisten. Auch in Nürnberg wurden Beamte bedrängt, in Dortmund zwei Medienvertreter und am Mittwochabend in Pirna erneut Polizisten.

Mehrere Städte kündigten zuletzt schärfere Polizeikonzepte an, um die Auflagen für die Kundgebungen strikter durchzusetzen – Abstandsregeln oder ein Mund-Nase-Schutz wurden dort vielfach ignoriert. So drohen Protestierenden in München nun für Verstöße 500 Euro Bußgeld.

In mehreren Städten wird die Polizeipräsenz deutlich erhöht und in umgitterte Areale nur noch die zugelassene Teilnehmerzahl eingelassen. (Konrad Litschko)

In München gilt: Grundrechte mal anders

Auf der Theresienwiese in München, dort, wo sonst das Oktoberfest ist, steht am Samstag eine heikle „Grundrechte“-Demo gegen die Coronaschutzpolitik an. Die einzige in der Bayern-Metropole mittlerweile bekannte Gegnerin der Coronaschutzgesetze ist die 62 Jahre alte Petra Kotthoff, eine Beraterin für vegane Ernährung und Yogalehrerin. In einem Gespräch mit Bild-TV sagte sie, sie sei besorgt „über die Einschränkung der Grundrechte“ und würde sich fragen, ob diese „tatsächlich aufgrund der Datenlage legitimiert sind“. Dazu, dass die Demons­tran­ten immer wieder mit Verschwörungstheoretikern und Rechtsradikalen in Zusammenhang gebracht werden, meinte sie: „Es empört mich, es macht mich wütend.“

Allerdings hat Kotthoff laut Süddeutscher Zeitung noch bis vor Kurzem auf ihrer Facebook-Seite Videos des Verschwörungstheoretikers Ken Jebsen geteilt und Bill Gates als Hassfigur gepostet, der, so die SZ, „einem schreienden Kind von hinten eine Spritze in den Hals jagt“. Mittlerweile ist diese Facebook-Seite gelöscht.

Zu der letzten von Kotthoff angemeldeten Demonstration am vergangenen Samstag auf dem Marienplatz kamen nicht, wie von ihr angegeben, 80 Teilnehmer, sondern 3.000. Es gab chao­tische Szenen, bei denen wesentliche Coronaregeln missachtet wurden. Die Demonstranten standen oft dicht an dicht, ohne Mundschutz. Auf einem Plakat wurden Politiker in Pegida-Manier als „Volksverräter“ beleidigt. Über das Impfen hieß es: „Sie lügen! Sie töten! Sie impfen!“ Auch hatten sich bei der Demo 25 Recht­sextreme versammelt, die Polizei löste dieses Treffen auf.

Auf der Theresienwiese wurden für diesen Samstag zuerst 10.000 Demoteilnehmer angemeldet. Das Kreisverwaltungsreferat begrenzte aber „aus Infektionsschutzgründen“ die Zahl auf 1.000 Menschen. Die Zugänge zum Gelände werden von der Polizei kontrolliert. Und werden Mindestabstände nicht eingehalten, werde die Kundgebung aufgelöst.

Petra Kotthoff, die Organisatorin, will mit der Presse nur noch unter Bedingungen sprechen, die für unabhängige Medien inakzeptabel sind: In einem Telefonat verlangte sie, dass sie nicht nur wörtliche Zitate autorisiert – was in Deutschland durchaus üblich ist. Sie will den ganzen Artikel vorab lesen und dann zensierend eingreifen können. Denn mit den „Mainstream-Medien“ habe sie schlechte Erfahrungen gemacht. Und eine „kleine Spende“ sollte auch sein, schließlich kosteten die Demos ja Geld. (Patrick Guyton)

In Stuttgart ist die Bühne für Einpeitscher frei

Die Kurve, die Michael Ballweg auf der Website von „Quer­denken 711“ präsentiert, zeigt steil nach oben. Nicht die mit dem Coronavirus Infizierten nehmen da aber exponentiell zu, sondern, wie Ballweg ­pathetisch formuliert, die „vom Freiheitsvirus Infizierten“, die er auf die Straße bringt. Glaubt man dem ­Stuttgarter Unternehmer, waren es ver­gangenes Wochenende 20.000, die auf das Festgelände des Cannstatter Wasen kamen. Die Polizei hat allerdings weniger gezählt.

Für den heutigen Samstag hat Ballweg bei der Stadt eine Versammlung für 500.000 Menschen angemeldet. Das klingt größenwahnsinnig. Die Stadt wiederum hat angekündigt, diesmal streng auf Einhaltung der Abstandsregeln zu achten. Sie genehmigte nur 5.000 Teilnehmer.

Ballweg sagt, er sei es gewohnt, große Ziele zu verfolgen. Und es ist dem IT-Unternehmer immerhin gelungen: Die bundesweit bisher größten Proteste gegen die Coronamaßnahmen waren in Stuttgart. Er hat eine diffuse Bewegung auf die Beine gestellt, die auch den sonst eher ausgeglichenen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann „hochgradig beunruhigt“. Am Samstag konnte man zu etwa gleichen Teilen Kleinunternehmer, Esoteriker und Verschwörungsgläubige sowie links- und offen Rechtsradikale zusammen demons­trieren sehen.

Michael Ballweg selbst gibt sich unideologisch. Er betreibt in Stuttgart ein Unternehmen, das eine Personalsoftware entwickelt hat, mit der Unternehmen Senioren als Experten rekrutieren können. Zu seinen Kunden gehören Bosch und Thyssen-Krupp. Interviews mit ihm sind rar. Früher hat er auch mal eine App auf den Markt gebracht, mit der Eltern ihre Kinder über deren Handys tracken und überwachen können.

Jetzt in der Coronakrise wendet sich Ballweg gegen das Tracken von Kontakten per App, eine vermeintliche Impfpflicht und den längst nicht mehr diskutierten Impfausweis. Ballweg gehört dabei nicht zu den Einpeitschern auf den Veranstaltungen; dazu fehlen ihm auch die rhetorischen Mittel. Er sieht sich offenbar als Moderator des Protests und bietet damit Verschwörungsmystikern wie Ken Jebsen eine Bühne für deren hanebüchenen Auftritte.

Gerade in der Breite der Protestbewegung sehen Politiker wie der innenpolitische Sprecher der grünen Fraktion, Uli Sckerl, eine Gefahr: „Wenn Hetzer wie Ken Jebsen auf der Bühne zum Umsturz der Gesellschaft aufrufen, sollte keiner behaupten, er wüsste nicht, worauf er sich hier eingelassen hat.“ (Benno Stieber)

In Gera drohen Rechte mit ihrer Sicht auf die Dinge

Im thüringischen Gera wird am Samstag wieder gegen die Coronapolitik der Bundesregierung demonstriert. Auch hier sind die Proteste ein Sammelbecken für Antisemiten, Reichsbürger und Rechtsextreme.

Rund 700 Menschen kamen bereits vergangene Woche meist ohne Mundschutz und Abstand zusammen. Angemeldet war der „Stadtspaziergang“ von Peter Schmidt, einem Mitglied des Landesvorstands des CDU-Wirtschaftsrates. Neben ihm in der ersten Reihe liefen seine Freunde David S. und Vanessa P. David S. ist stadtbekannter Neonazi und ehemals Thügida-Aktivist, der bereits 2016 auf dem rechtsextremen Rudolf-Heß-Marsch in Jena aufgetreten war.

Seine Lebensgefährtin Vanessa P. trug einen „Judenstern“-Aufdruck. Seite an Seite liefen sie mit dem prominentesten Teilnehmer, dem ehemaligen Kurzzeit-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich. Dieser hatte sich im Februar mit Stimmen der AfD wählen lassen und so Thüringens Landtag in eine Krise gestürzt. Organisator Schmidt kündigte ihn als den „einzigen aktuell legitimen Ministerpräsidenten“ an.

Der Schulterschluss zwischen CDU-Wirtschaftsrat, FDP-­Land­tagsabgeordnetem und der organisierten Neo­naziszene wurde öffentlich debattiert: CDU und FDP distanzierten sich, der Wirtschaftsrat betonte, Peter Schmidt habe die Veranstaltung als Privatperson angemeldet. Und Kemmerich bedauerte, dass er nicht durchgehend Mundschutz getragen und mit seinem Auftritt Verschwörungstheoretikern eine Bühne geboten habe. Er kündigte eine Teilauszeit an.

Für den kommenden Samstag tritt nun ein anderer Organisator an: Marek Hallop. Der 42-Jährige aus Gera präsentiert sich auf seiner Homepage als Reichsbürger; ein sogenannter Ausweis von Hallop vom „Deutschen Reich“ kursiert in den sozialen Medien. Auf einem Foto posiert er mit einem T-Shirt mit „Reichsgrillmeister“-Aufschrift, das über den Shop des Neonazis Tommy Frenck verkauft wird. Über sich schreibt Hallop, er sei „geboren zum Widerstand gegen Unrecht und Tyrannei in diesem unseren Lande“. In den vergangenen Jahren war er auf den rechten Thügida-Aufmärschen zu sehen.

Für die Demo am Samstag mobilisiert er mit dem Slogan „Grundrechte sind nicht verhandelbar“.

Das Ordnungsamt rechnet mit 50 Teilnehmenden, doch Szenekenner erwarten, dass es mehr werden und dass sowohl die Thügida-Netzwerke als auch die in Gera aktiven Mitglieder der rechtsextremen Partei „Der III. Weg“ teilnehmen. (Sarah Ulrich)

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