Proteste bei Sicherheitskonferenz: Friedenswirrwarr in München
Wer ist die „Friedensbewegung“? Altgediente Anti-Siko-Protestierende geraten ins Hintertreffen, Pro-Ukraine-Demonstrant:innen auch. Rechte jubilieren.
Einen Fußweg von rund 15 Minuten von der Münchner Sicherheitskonferenz haben sich hier „Friedensfreund:innen“ ganz eigener Provenienz zusammengefunden. Denn organisiert hat das Event ein Bündnis von Gruppen aus der Corona-Leugner:innen- und der sogenannten Querdenken-Szene, die für sich inzwischen den Ukrainekrieg zum neuen Aktionsfeld auserkoren haben.
Klassizistisch umrahmt von der Glyptothek im Norden und der Antikensammlung im Süden wehen klassische Weiße-Taube-auf-blauem-Hintergrund-Friedens- neben Deutschlandfahnen. Nicht wenige Russlandfahnen sind ebenfalls zu sehen, ebenso „Ami go Home“-Transparente des Rechtsaußenmagazins Compact.
Zehntausende Menschen aus ganz Mitteleuropa, wie es Jürgen Todenhöfer angekündigt hatte, sind es zwar nicht geworden. Aber rund 10.000 dürften es schon sein, die sich die Reden des früheren CDU-Bundestagsabgeordneten und heutigen Kleinstparteigründers sowie Diether Dehm, dem Ex-Linken-Parlamentarier und Musikmillionär, anhören wollen.
Die Bühne, die vor der Propyläen aufgebaut ist, ziert ein Banner mit der Aufschrift „Macht Frieden!“. An wen sich das richtet, daran lassen sowohl Todenhöfer als auch Dehm keinen Zweifel. Denn für beide, wie auch für alle anderen auf dem Platz, ist klar, wer verantwortlich für den Ukraine-Krieg ist: die Nato im Allgemeinen und die USA im Besonderen.
Hetzrede gegen USA und Bundesregierung
Das Pentagon habe, so verkündet Dehm seine ganz spezielle Weltsicht, den Krieg „auf dem Rücken Europas“ mit Hilfe von „ukrainischen Killerbanden mit SS-Symbolen“ vorbereitet. Und die Bundesregierung habe als angeblich treuer Vasall der USA bei der Kriegsvorbereitung mitgeholfen: „Das Minsker Abkommen II des damaligen Außenministers Steinmeier entpuppte sich als reines Hinhaltemanöver der deutschen Regierung und der Nato, um den ukrainischen Nazifaschistenfreunden ihre Zeit zum Aufrüsten einzuräumen.“ Es ist eine Hetzrede.
Dehm gehört zum minoritären Wagenknecht-Lager in der Linkspartei, gegen ihn läuft ein Parteiausschlussverfahren. Hier in München wird er umjubelt. Das liegt auch daran, dass er nicht nur Putin verteidigt, sondern zielgruppenorientiert auch „die Freiheit, alternative Meinungen zu den Corona-Diktaten zu sagen“. Am Ende seiner Ausführungen fordert Dehm das Publikum auf, gemeinsam mit ihm sein neuestes Lied zu singen – und aus tausenden Kehlen erklingt: „Ami go home“. Das ist das, was alle hier verbindet.
Im Gegensatz zu ihm erwähnt der nachfolgende Todenhöfer in seiner knapp 40-minütigen Rede immerhin wenigstens an einer knappen Stelle wahrheitsgemäß, wer wen angegriffen hat. Allerdings nur mit einem Halbsatz, auf den sofort die Relativierung folgt, dass Russland ja provoziert worden sei. Auf Putin lässt hier niemand etwas kommen.
„Es ist ein sehr guter Auftakt für den Friedensfrühling in Deutschland“, schwärmt Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer in eine Kamera. Elsässer hatte zuvor bereits an einer kleinen AfD-Demo auf dem nahegelegenen Karl-Stützel-Platz teilgenommen und ist von dort weitergezogen. Nun freut sich Elsässer, dass er und seine extrem rechten Kamerad:innen auch auf dem Königsplatz gern gesehen sind. Schließlich verstehen sich die Versammelten als „lagerübergreifend“, wie einer Veranstalter von der Bühne herab verkündet.
Die fehlende Abgrenzung nach Rechts ist der Grund, warum es diese Kundgebung überhaupt gibt. Denn ursprünglich hatten sich die Veranstalter:innen an der traditionellen Anti-Siko-Demonstration des linken Aktionsbündnisses gegen die Nato-Sicherheitskonferenz beteiligen wollen. Doch das lehnte dieses trotz ähnlich klingender Positionen in Sachen Ukraine-Krieg dankend ab. Mit Rechten marschieren wollten sie nicht.
Rund 19 Demonstrationen anlässlich der Sicherheitskonferenz
Den krassesten Gegensatz sowohl zu den Querdenker:innen als auch den Anti-Siko-Aktivist:innen machte an diesem Samstag eine Kundgebung von Ukrainer:innen und deren Unterstützer:innen. Am frühen Nachmittag versammelten sie sich am Odeonsplatz vor der Feldherrnhalle, ganz zufällig in unmittelbarer Nähe des internationalen Pressezentrums der Münchner Sicherheitskonferenz. Und die Inszenierung der Soli-Demo ist perfekt, um den vielen Journalist:innen sendefähiges Material zu liefern.
Rund Tausend Menschen sind gekommen, die meisten mit Fahnen, Tüchern oder Mützen in den ukrainischen Landesfarben blau-gelb. Zu Beginn der Kundgebung singen sie gemeinsam die ukrainische Nationalhymne. Etliche Kinder halten Schilder mit der Aufschrift „Arm Ukraine Now“ in die Höhe. Es wird frenetisch gejubelt als ein ukrainischer Abgeordneter mit „Freedom, Freedom, Freedom“-Rufen die Menge anheizt – um schließlich damit zu enden: „Putin ist ein Killer. Er wird seinen Preis bezahlen.“
Während die deutsche Politik rumdruckst, wenn es darum geht, einen Sieg der Ukraine im Kampf gegen den Aggressor Putin klar zu benennen, ist die Lage für die Demonstrant:innen an diesem Samstag eindeutig. „Ukrainische Armee + deutsche Waffen = Sieg für Ukraine“ heißt es auf Plakaten. Und sie werden nicht müde zu rufen „Danke Deutschland für deine Hilfe“. Es geht viel darum, nach einem Jahr Krieg zusammen zu stehen. Aber auch darum, die Solidarität der Weltöffentlichkeit aufrecht zu erhalten. Denn auch diese Sorge ist groß. Aufgetreten auf der Kundgebung sind zudem die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sowie der Grünen-Politiker Anton Hofreiter.
In Gesprächen mit einzelnen Teilnehmer:innen ist immer wieder zu hören: Wie lange wird die Unterstützung andauern, wenn der Krieg noch Monate, wenn nicht Jahre dauert. „Ihr werdet bald vergessen, dass in der Ukraine Frauen vergewaltigt, Menschen gefoltert oder Kinder verschleppt werden“, sagt eine Frau mit dem traditionellen kranzförmigen ukrainischen Blumenschmuck auf dem Kopf. Auch deshalb ist sie heute nach München gekommen, um zu zeigen, dass der Krieg mit all seinen Grausamkeiten noch lange nicht vorbei ist.
Anti-Siko-Protest trifft auf Pro-Ukraine-Demo
Die ersten Redebeiträge sind gerade vorbei, als es auf einmal hitzig wird. Direkt an der Ukraine-Soli-Demo leitet die Polizei den Anti-Siko-Protestmarsch mit mehreren Hundert Menschen vorbei. Der Zug ist ein Sammelsurium der linken und friedensbewegten Szene. Pax Christi ist dabei, Aktivist:innen für ein freies Kurdistan, Gewerkschaften, die Linkspartei natürlich. Aber auch feministische und antifaschistische Organisationen unterschiedlichster Colour. Was sie eint, ist ihre Anti-Haltung zur Nato, sie sind per se gegen Waffenlieferungen, fordern Frieden jetzt und sofort – und vor allem Verhandlungen.
Obwohl die Pro-Ukraine-Aktivist:innen zahlenmäßig deutlich weniger sind, werden sie sofort laut und mitunter auch aggressiv, als die ersten Anti-Siko-Demonstrant:innen vorbei ziehen. „Lumpenpazifisten geht zu Putin“ und „Ihr unterstützt Terroristen“, dröhnt es den wütend linken Gruppen entgegen. Faschistenfreunde nennen sie sie. Aber auch die linken Aktivist:innen sind nicht nur freundlich. Eine junge Frau hat sich am Straßenrand mit einer ukrainischen Flagge in die Sonne gestellt.
Mitten aus dem Demo-Zug kommt ein Mann mit Schiebermütze auf sie zugerannt. „USA ist Nato. Nato ist Krieg“, schreit er die Frau an. „Wir wollen leben“, sagt sie. Dann reckt er noch die Faust und verschwindet schnaubend in der Menge des Protestmarsches. Getrennt durch Absperrgitter und viele Polizist:innen bleibt bei der Begegnung im Großen und Ganzen alles friedlich.
Beide Gruppierungen wollen Frieden auf ihre Art und Weise. Zumindest formulieren dies etliche Menschen auf ihren Schildern. Nur eben mit entgegengesetzen Mitteln: Die Ukrainer und ihre Unterstützer:innen fordern schwere Waffen. Und die anderen? „Verhandlungen und humanitäre Hilfe“ sagt eine Lehrerin, die ihren Namen nicht nennen will. Auf der Anti-Siko-Demo trägt sie ein Schild mit einer Friedenstaube um den Hals, in der Hand hält sie eine Pace-Flagge. Auf die Bemerkung, dass es humanitäre Hilfe doch gebe und auch Verhandlungsansätze, entgegnet sie, dass man davon ja gar nichts hören würde. „Es geht hier doch nur um Waffen, mehr nicht.“
Keine laute Abgrenzung gegen rechts
Wenige Minuten später ist der Protestzug am Marienplatz angekommen. Die Demonstrant:innen warten auf den langjährigen Organisator der Anti-Siko-Demo, Claus Schreer und natürlich die Hauptrednerin Sevim Dağdelen von der Linken. „Krieg darf kein Mittel sein“, sagt Schreer, fordert einen sofortigen Waffenstillstand, das Ende aller Waffenlieferungen, Schluss mit der Aufrüstung der Nato und die Rückkehr zu internationaler Zusammenarbeit. Der Jubel von der Menge, die die Polizei später auf rund 2.700 Personen beziffern wird, ist ihm sicher.
Dass parallel zur Anti-Siko-Demo fast 5 mal so viele Menschen an einem Protestzug mit ganz ähnlichen Forderungen – vor allem gegen die Nato und die USA – gespeist aus Anhänger:innen der Querdenker:innen-Szene und aus dem rechtsextremistischem Spektrum teilnahmen, will er nicht kommentieren. In Gesprächen bei den Anti-Siko-Leuten ist allerdings deutlich zu hören, wie „furchtbar“ das sei. „Zum Glück sind die ja nicht hier“, heißt es.
Und dann betritt der Star der Szene die Bühne: Die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen, die wie Dehm zum Wagenknecht-Lager zählt. Ihre Rede auf der Kundgebung ist quasi ein Heimspiel für sie. Die Sicherheitskonferenz hält sie für eine Kriegskonferenz, die Unterstützung für die Ukraine eher für Kriegspropaganda als glaubhaft, das ganze sowieso für einen Stellvertreterkrieg der USA gegen Russland. Denn: In Wahrheit geht es aus ihrer Sicht nicht um die Freiheit der Ukraine, sondern um deren autokratisch-nationalistischen Kampf gegen Russland.
Und auch die Bundesregierung geht sie mächtig an. Insbesondere Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. Sie und andere hätten gar kein Interesse daran den Krieg zu beenden, sondern „die gelangweilte Bourgeoisie hat Sehnsucht nach der Apokalypse.“ Es sind Sprüche, die ankommen.
Die Demonstrant:innen – viele mit „Stop Ceta“-Buttons, mit Pace-Schals, Kirchentag und Ostermarsch erprobt, klatschen begeistert und rufen „Bravo, bravo“, wenn Baerbock und Co. bezichtigt werden, das Völkerrecht zu verraten und Russland eigentlich nur in einem Wirtschaftskrieg besiegen zu wollen. Von einer Verurteilung des russischen Angriffskriegs ist bei Dağdelen keine Rede.
Sie nimmt sich den ukrainischen Vizeregierungschef Olexander Kubrakow vor. Der hatte am Freitagabend eine Zusage von den Verbündeten für die Lieferung von Streumunition und Phosphor-Brandwaffen gefordert. Zurecht hatte sein Wunsch nach völkerrechtlich geächtetem Kriegsgerät für Empörung und Aufregung gesorgt.
Während Außenministerin Baerbock am Samstag auf Nachfrage zu dieser Forderung eindeutig auf das Völkerrecht hinwies, suggeriert die Linken-Politikerin vor dem Anti-Siko-Publikum, dass die Bundesregierung zur Verteidigung der Ukraine zu allem bereit wäre. Im Publikum wird die Nachricht von der Streumunition-Forderung aufgefasst wie ein Offenbarungseid der Ampel-Koalition.
Sicherheitskonferenz geht am Sonntag zu Ende
Nach fast fünf Stunden neigt sich auch die Anti-Siko-Demo dem Ende zu. Geklebte Friedenstauben liegen am Boden, die Pace-Flaggen werden eingerollt. Die Ukrainer:innen und ihre Unterstützer:innen dagegen feiern sich geradezu am Odeonsplatz. Von schlechter Stimmung ist nichts spüren. Eher von starkem Zusammenhalt in furchtbaren Zeiten.
Die Münchner Sicherheitskonferenz geht am Sonntag zu Ende. Politische Vertreter:innen aus rund 100 Staaten sowie internationale Sicherheitsexpert:innen nahmen an der Konferenz teil. Wenige Tage vor dem Jahrestag des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine dominierte das Thema die gesamte Konferenz.
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