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Paragraf „Verhetzende Beleidigung“Kein Schutz für Muslime

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Ein neuer Paragraf soll die Verleumdung bestimmter Gruppen strafbar machen. Uneins ist sich die Koalition in der Frage, welche Gruppen dazugehören.

Sie dürfen bald nur noch eingeschränkt Hetze betreiben: Neonazis in Berlin Foto: ap

A ngehörige von Gruppen, die im Faschismus verfolgt wurden, sind besonders schutzbedürftig. Sie wissen aus kollektiver Erfahrung, wie schnell eine Gesellschaft Zivilisation und Rechtstaatlichkeit vergessen kann und stattdessen Ausgrenzung und Massenmord billigt. Daher sind Strafnormen, die Gruppen mit NS-Verfolgungsschicksal besonders schützen, meist sinnvoll und gerechtfertigt.

Geradezu zynisch ist es jedoch, wenn der Bezug auf die faschistischen Verbrechen benutzt wird, um Muslime auszugrenzen. Die CDU/CSU schlägt vor, dass die geplante Strafnorm „verhetzende Beleidigung“ nur greifen soll, wenn eine Gruppe mit NS-Verfolgungsschicksal attackiert wird. Welch bizarre Logik: Vor Ausgrenzung und Verächtlichmachung würde nur geschützt, wer mindestens einmal Gegenstand deutscher Vernichtungspolitik war.

Gehören denn nur die Gruppen zu Deutschland, die schon mit deutschen KZs Bekanntschaft gemacht haben? Die Union ist bereit, Sinti und Roma, Homosexuelle und sogar Kommunisten mit der neuen Strafnorm zu schützen. Alle sind nicht gerade Teil der christdemokratischen Kernklientel. Aber Muslime? Das geht der CDU/CSU dann doch zu weit. Wer in Deutschland – historisch betrachtet – weder Täter noch Opfer ist, gehört für die Union einfach nicht richtig dazu.

Doch das Strafrecht darf nicht nur die Opfer von gestern schützen, es muss auch die Opfer von heute im Blick haben. Wenn Muslime heute lesen müssen, dass sie in Deutschland nichts zu suchen haben, dass sie alle Terroristen und Pädophile seien, dass Anschläge auf Moscheen begrüßt werden, dann fühlen sie sich sich aktuell bedroht und müssen nicht Jahrzehnte zurückblicken.

Die Anschlagsserie des NSU und die Morde von Hanau zeigen, wie schnell auch heute Diskriminierung und Hetze in tödliche Gewalt umschlagen können. Die Bundesregierung hat die Einführung der neuen Strafnorm gegen „verhetzende Beleidigungen“ als eine der Lehren aus Hanau aufgelistet. Es ist erschütternd, wie die CDU/CSU dieses Vorhaben in der Praxis umsetzen will.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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23 Kommentare

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  • In erster Reaktion gilt ja eigentlich: Entweder alle oder keiner. Warum sollen Faschisten Moslems beleidigen können, Islamisten "Ungläubig" oder warum ein hasserfüllter Transsexueller eine "TERF killen" wollen dürfen? Eigentlich müssten doch alle geschützt werden. - Aber ich verstehe auch das Problem, dass dafür die Polizei und Justiz keine Kapazitäten hat. Dann nützt das Gesetz ja wenig. - Ich finde, die Lösung ist noch nicht ausgegoren.

    • @Ruby Tuesday:

      "Aber ich verstehe auch das Problem, dass dafür die Polizei und Justiz keine Kapazitäten hat." Genauso wie das Gesundheitswesen nicht genügend Pflegekräfte, Finanzaufsichtsbehörden nicht genügend Leute Steuerhinterziehern und Banken auf die Finger zu sehen, Umweltbehörden nicht genügend Personal um Agrarwirtschaft und Industrie bei der Erfüllung von Umweltauflagen zu kontrollieren... Warum eigentlich nicht? Ist einfacher alles der "Eigenverantwortung" privater Träger, die auch kein Geld ausgeben wollen, zu überlassen. Bis, ja bis, Finanzkrisen, Corona und Klimawandel uns einholen, dann konnte das ja auch alles keiner kommen sehen.

      • @ingrid werner:

        @Ingrid Werner: Ja, bezüglich der Pflegekräfte und der Finanzaufsicht haben Sie mich auf Ihrer Seite. Gleichwohl würde ich hier differenzieren: Es gibt wohl keine Zahlen, wie viel Hassrede gerade im Social Media-Bereich unterwegs ist. Aber es ist sehr viel. Da wären Polizei und Justiz tatsächlich überfordert. - Ich frage mich, ob es nicht besser wäre, die Anonymität im Netz aufzuheben. So wie jeder Journalist auch, sollten alle Menschen mit vollem Namen zu ihren Beiträgen stehen und Quellenangabe müsste Pflicht werden. Es wäre ein erster Schritt für eine Hebung des Niveaus, oder?

        • @Ruby Tuesday:

          ich weiß nicht, damit wir alle zu öffentlichen Personen werden, für ein paar Kommentare unter einem Zeitungsartikel etwa, wie hier, auch wenn es keine Beleidigungen etc sind? Und jeder der hier oder woanders etwas im Leserforum schreibt muss sich dann exponieren und lädt sich dann vielleicht nicht nur Hasskommentare sondern u.U. noch Schläger vor die eigene Haustür. Wäre auch nicht angenehm und könnte die Behörden u.u. erst recht überfordern. Wahrscheinlich würde keiner mehr Leserkommentare schreiben. Die öffentliche Diskussion wäre damit im Eimer oder doch erheblich eingeschränkt. Gut, gab's vor dem Internet auch nicht. Nur Leserbriefe. Vielleicht wäre dann mehr Zeit zum nachdenken. No lo sé.

          • @ingrid werner:

            @Ingrid Werner: Guter Punkt mit den Leserbriefen. :) Aber ja, eine schwierige Frage, ich bin mir auch nicht sicher. Ich habe auch neulich lange überlegt, ob ich mit Namen schreiben soll - da ich zwei kleine Kids habe und alleine wohne. Aber ich habe es doch getan. Was hilft eine Meinung, wenn ich sie nicht vertreten kann? - Bei der FAZ schreiben auch alle mit vollem Namen. Wenn alle das täten, wären wiederum vielleicht auch die Schläger überfordert. ;)

  • Religionen vor Verächtlichmachung schützen? Charlie Hebdo verbieten. Titanic einstampfen ... ? Wer will das?

    • @Rudolf Fissner:

      "Charlie Hebdo verbieten. Titanic einstampfen ... ?"

      Nein. Natürlich nicht. Allerdings hört für mich Satire da auf, wo es nur noch darum geht, andere Menschen zu beleidigen. Ist halt eine Frage des Anstandes und der gegenseitigen Achtung.

  • "Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen" (§166), ist ja bereits Straftatbestand.

    Wird aber immerwieder von manchen Atheisten in Frage gestellt.(Vgl. z.B. Petition 21123 aus 2011)

  • Und PoC. Das Gesetz ist rein historisch ausgelegt für die unmittelbar größten Vergehen die jeder auf der Welt kennt, so dass man wohl handeln musste. Nach Halle USW.. Der Rest fällt hinten runter.

  • Warum soll es überhaupt irgendeine Gruppe geben, die vom Gesetz nicht umfasst wird?

  • Es wäre so einfach, ein Gesetz zu machen, welches alle Minderheiten schützt:

    § 185 Abs 2 StGB: "Die Beleidigung wegen des Geschlechtes, der Abstammung, der Rasse, der Sprache, der Behinderung, der sexuellen Ausrichtung, der Heimat und Herkunft, des Glaubens, der religiösen oder politischen Anschauungen wird mit Freiheitsstrafe bis zu XXX Jahren jedoch mindestens zwei Jahren bestraft."

    • @DiMa:

      Wenn ich also eine_n AfDler_in als "Scheiß-Faschist_in" bezeichne, soll ich für mindestens zwei Jahre eingebuchtet werden?

      Tut mir leid, bin ich dagegen.

      • @rero:

        Einen Anhänger der AFD ohne weitere Begründung als "Scheiß-Faschist_in" zu bezeichnen, erfüllt bereits heute den Tatbestand der Beleidigung.

        Mein Vorschlag reflektiert eins zu eins Art. 3 GG. Keine schutzwürdige Gruppe sollte besser gestellt werden als eine andere.

        Dies zeigt das von Ihnen angeführte Beispiel besonders plakativ.

        • @DiMa:

          Klar ist das heute bereits eine Beleidigung.

          Die wird aber nicht mit mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe bestraft.

          Die unterschiedliche Bewertung einzelner Gruppen halte ich für problematisch.

  • Aufgemerkt Herr Rath. Als Jurist sollten Sie um die Verhältnismäßigkeit wissen. Zu weit gefaßt grenzte so ein/Ihr Vorhaben andere große Teile ebenfalls aus. So pauschal wie Sie es hier darstellen, öffnen Sie Tür und Tor einer Unangreifbarkeit (im dialektischen Sinne), die jegliche(!) Kritik abweisen und als "verboten" kennzeichnen würde.

  • "Doch das Strafrecht darf nicht nur die Opfer von gestern schützen, es muss auch die Opfer von heute im Blick haben."

    Eigentlich ist es sogar besonders wichtig, dass das Strafrecht aktuelle Bedrohungen im Visier hat...

  • Vom Gefühl her gebe ich dem Autor recht. Jedoch fehlen mir noch einige Details und Informationen, um das geplante Gesetz wirklich einordnen zu können.

    Die anhaltende Diskussion hinsichtlich Israelkritik/BDS/Antisemitismus zeigt, dass hier Konfliktfelder entstehen können. Ist das neue Gesetz geeignet, (legitime) Kritik am Islamismus zu erschweren? Wird eine Diskussion hinsichtlich dem Massenmord an den Armeniern auf wissenschaftliche Auseinandersetzung beschränkt, weil (türkischstämmige) Muslime diesen nicht anerkennen und als Angriff auf ihre Volksgruppe werten?

    Sollten sich meine Vorbehalte als grundlos erweisen, bin ich auf jedem Fall dafür, Muslime in die Schutzgruppe aufzunehmen.

  • Ich bin ja kein Jurist und evtl. könnte man es mir erklären. Es gibt doch den § zu Volksverhetzung, wo ist denn zu dem hier diskutierten der Unterschied?

    • @unbedeutend:

      steht im Artikel: Volksverhetzung setzt eine Öffentlichkeit voraus. Beleidigende Briefe an eine Privatperson haben diese Öffentlichkeit nicht.

      • @LesMankov:

        Danke - hatte nur den Kommentar vor Augen und nicht den dazugehörigen Artikel.

      • @LesMankov:

        Aber Beleidigung ist doch auch schon strafbar!?..

        Nebenbeibemerkt übrigens ein deutsches Alleinstellungsmerkmal in der Westlichen Welt.



        In anderen Ländern gilt das beleidigt sein ob einer Beleidigung wegenals kindisch und wird eher mit einem ,,Wer beleidigt ist, beleidigt halt zurück!", bedacht. (siehe z.B. Diskussion in England um die Einführung eines solchen Paragraphen vor ein paar Jahren; galt dort als spießig, versnobbt)

  • Ich bin ja sowieso dafür, dass sich dieser Verein (ich meine CDUCSU) erst dann "christlich" nennen dürfen soll, wenn sie sich auch so verhalten.

    "An ihren Früchten sollt Ihr sie erkennen", Matthäus 7:16 und so.

  • Es ist eben Zeit, das die C Parteien aus der Regierung.



    Die Chancen sind ja aber wohl leider gering.