Olaf Scholz und die Klimabewegung: Der ganz normale Wahnsinn
Olaf Scholz hat das Problem der Klimakrise nicht verstanden. Dabei wäre es der Job des Kanzlers, jetzt einen grundlegenden Wandel zu organisieren.
D a wollte SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz Klimaaktivist:innen eine Lektion zu ihrem Tonfall erteilen – und vergriff sich fatal im Ton: „Ich sage mal ganz ehrlich: Diese schwarzgekleideten Inszenierungen bei verschiedenen Veranstaltungen von immer den gleichen Leuten erinnern mich an eine Zeit, die lange zurückliegt – und Gott sei Dank“, kommentierte er einen kritischen Zwischenruf auf dem Katholikentag vor einer Woche. Das klang verdächtig nach einem Vergleich der zwischenrufenden und schwarz gekleideten Klimaaktivist:innen mit Nazis. Dass dieser Eindruck trüge, ist Scholz und seinen Sprecher:innen seither nicht über die Lippen gegangen, obwohl es natürlich die ganze Woche über Nachfragen dazu gab.
Die Tonfallkritik hat einen schlechten Ruf. Olaf Scholz hat mit seiner Aussage selbst demonstriert, warum das oft berechtigt ist: Wer den Tonfall angreift, drückt sich um die inhaltliche Auseinandersetzung. Warum sich als Bundeskanzler und ehemaliger Finanzminister gegen den Vorwurf klimapolitischer Verfehlungen wehren, wenn man sich auch über Kleidung, Haltung und Zwischenrufe von Aktivist:innen beklagen kann? Er lieferte aber gleichzeitig die Ausnahme von der Regel: Wenn der Bundeskanzler die Schoah verharmlost und Klimaaktivist:innen abspricht, ein legitimer Teil der politischen Öffentlichkeit zu sein, ist das ein guter Grund für Empörung. Das darf nicht passieren – und lässt auch inhaltlich tief blicken.
Es signalisiert schließlich: Alles ist normal. Wir können Politik machen, wie wir es immer gemacht haben, wir können miteinander reden, wie wir immer geredet haben, alles kann so bleiben, wie es immer war. Zumindest ungefähr. Das zeugt davon, dass Olaf Scholz das Problem der Klimakrise nicht verstanden hat: In etwas über sieben Jahren wird die Welt nach aktuellen Trends die Menge CO2 ausgestoßen haben, bei der Schluss sein müsste, damit sich die Erde wahrscheinlich nicht um mehr als 1,5 Grad aufheizt. Deutschland hat daran einen im Verhältnis zur Bevölkerungsanzahl überproportionalen Anteil. Damit das nicht passiert, muss sich alles ändern: die Energieversorgung, das Verkehrswesen, die Ernährung, die Industrie.
Es ist Olaf Scholz’ Job, das zu organisieren. Die klassische Kompromisspolitik, bei der jeder Interessengruppe irgendein Häppchen hingeworfen wird, funktioniert hier nicht. Die Welt wird sich in der Klimakrise übrigens auch radikal ändern, wenn es keine oder zu wenig Klimapolitik gibt – dann aber eben getrieben von den Folgen der Erderhitzung. Sich an die gewohnte Etikette halten zu wollen, ist vielleicht emotional nachvollziehbar, erfüllt aber nicht den Anspruch an einen Regierungschef.
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