Niedriglohnsektor in Deutschland: Billig und systemrelevant

VerkäuferInnen haben 2018 im Schnitt 1.872 Euro verdient. Brutto. Zum Glück können sie grad mit Beifall aufstocken.

Eine Hand hält ein Schild aus dem Autofenster: Klatsch Klatsch Klatsch

Die KassiererInnen und PflegerInnen verdienen wenig, können aktuell jedoch mit Beifall aufstocken Foto: Uwe Anspach/dpa

Na, auch endlich beim Frisör gewesen? Jetzt hat man mal wirklich gemerkt, was man an denen hat. Man konnte sich in der Zoomkonferenz mit den Agenturkolleg*innen ja kaum noch blicken lassen mit seiner Coronamatte. Dementsprechend standen zur Wiedereröffnung von Mata Haari, Haart aber fair & Co. mitunter lange Schlangen davor – hoffentlich mit Mindestabstand.

Ein bisschen mulmig ist einem ja schon gewesen, dann im Salon mit so vielen Menschen um einen rum. Hoffentlich hat man sich da nichts weggeholt. Es ist wie beim Einkaufen im Supermarkt. Jede Tüte Milch eine Virus-Challenge. Und als dieser etwas schwitzige Typ mit den glasigen Augen einem am Nudelregal entgegenkam, hat man doch lieber kurz die Luft angehalten.

Die, die nicht die Luft anhalten können, sind die Kassierer*innen. Weswegen wir auch nicht müde werden, sie dafür zu preisen, dass sie „den Laden am Laufen“ halten. Umso mehr, weil sie dafür echt nicht viel verlangen: Hier und da mal ein Lächeln, mehr brauchen die nicht! Und 1.872 Euro im Monat, wie das Bundesarbeitsministerium auf Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion gerade verkündet hat. Brutto, versteht sich.

71,6 Prozent von ihnen arbeiten im Niedriglohnbereich. Die Friseur*innen kommen sogar mit noch weniger aus – die stehen für 1.637 Euro ganztags mit Maske vor den potenziellen Infektionsherden. So billig ist Systemrelevanz mit Dauerwelle zu haben.

Dank vom Herzen

Eine Kompensationsprämie ist jetzt immerhin für Altenpfleger*innen beschlossen worden – dafür, dass diese Laden-am-Laufen-Halter wochenlang ohne Schutzkleidung im Virussturm standen, während die nicht systemrelevanten, aber gut verdienenden Konzeptdesignerinnen und Creative Producer sich in ihren Homeoffices verschanzten: Bis zu 1.500 Euro je nach Bundesland für Vollzeit, das sollte reichen.

Bei den branchenüblichen Überstunden kommen die eh nicht dazu, die Kohle auszugeben; und wenn sie später selbst auf der Isolierstation liegen, haben sie auch keine Ausgaben mehr.

Für die anderen Systemrelevanten sind solch horrende Ausgaben jetzt allerdings nicht mehr drin, das Geld brauchen wir für die Autoindustrie. Aber wir wollen allen von Herzen danken! Und etwas Beifall spenden. Oder, einfach mal so, eine kleine Liebeserklärung.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Heiko Werning ist Reptilienforscher aus Berufung, Froschbeschützer aus Notwendigkeit, Schriftsteller aus Gründen und Liedermacher aus Leidenschaft. Er studierte Technischen Umweltschutz und Geographie an der TU Berlin. Er tritt sonntags bei der Berliner „Reformbühne Heim & Welt“ und donnerstags bei den Weddinger „Brauseboys“ auf und schreibt regelmäßig für Taz und Titanic. Letzte Buchveröffentlichung: „Vom Wedding verweht“ (Edition Tiamat).

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

▶ Alle Grafiken

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.