Neues Enteignen-Volksbegehren in Berlin: Alles muss man selber machen
Die Berliner:innen stimmten 2021 für die Enteignung großer Wohnkonzerne. Der Senat setzt das nicht um. Nun planen Aktivist:innen einen Gesetzentscheid.
Respekt, wer's selber macht.“ Es war kein Understatement, das die Aktivist:innen von Deutsche Wohnen & Co enteignen an den Tag legten, als sie am Dienstag mit Plakaten dieser Art vor dem Roten Rathaus in Berlin zusammenkamen. Sogar eine Enteignen-Torte gab es – zur Erinnerung an den erfolgreichen Volksentscheid genau zwei Jahre zuvor. Zu feiern hätte es angesichts der Boykottpolitik des amtierenden Senats nichts gegeben; dass die Häuserkämpfer:innen dennoch vor Euphorie strotzten – lag einzig an ihnen selbst.
Denn die Kampagne, die auch sechs Jahre nach ihrer Gründung unbeirrt an dem Ziel festhält, die Bestände der großen privaten Immobilienkonzerne zu vergesellschaften, ist wieder in der Offensive. Vorbei die Zeit des Wartens auf die Ergebnisse der vom rot-grün-roten Vorgängersenat eingesetzten juristischen Expertenkommission, die im Juni grundsätzlich grünes Licht für das Unterfangen gegeben hatte.
Vorbei auch die Zeit des Zuschauens, wie CDU und SPD mit Nebelkerzen und Scheinpolitik den Volkswillen ignorieren und die Mietenkrise weiter anheizen. Die mit stolzgeschwellter Brust verkündete Ankündigung: DW Enteignen startet ein neues Volksbegehren.
Beinhaltete das erste Begehren eine Aufforderung an den Senat, ein Vergesellschaftungsgesetz zu erlassen, will man dieses Mal die Politik vor vollendete, nicht mehr zu ignorierende Tatsachen stellen. Grundlage des Volksbegehrens soll ein fertiges Gesetz sein. Käme es zum erfolgreichen Entscheid, träte es unmittelbar in Kraft: 260.000 Wohnungen würden wieder zum Zuhause von Menschen werden, anstatt Nummern an der Börse zu sein. Nur, bis es so weit ist, bleibt noch viel zu tun.
Ein Jahr Zeit gibt man sich für den Prozess
Zunächst einmal muss das Gesetz geschrieben werden, nicht mit guten Wünschen versehen, sondern wasserdicht für die unvermeidliche Prüfung durch das Verfassungsgericht – wohl noch bevor es zu einem neuen Entscheid kommen kann. Um das Risiko von Fehlern zu minimieren, wird DW Enteignen eine Anwaltskanzlei beauftragen, den Text zu verfassen, und ein Expertengremium zusammenstellen, das deren Arbeit fortlaufend einer Prüfung unterzieht. Ein Jahr Zeit gibt man sich für den Prozess. Geld kostet das auch, mindestens 80.000 Euro. Die Hälfte davon war nach wenigen Tagen schon crowdgefunded.
In der Stadt, in der die Mieten inzwischen noch schneller steigen als je zuvor und wo die landeseigenen Gesellschaften ab kommendem Jahr mit dem Segen des Senats die Mieten wieder deutlich erhöhen dürfen, sorgte die Ankündigung nicht für die übliche arrogante Überheblichkeit. Die Immobilienlobbyfreunde wissen inzwischen um die Gefahr, die von dem Vorhaben ausgeht. Die bräsige Selbstgewissheit, dass so eine „Enteignung“ ja sowieso nicht rechtens sein könne, ist spätestens mit dem Bericht der Expertenkommission der Sorge gewichen, diese Schlacht im Klassenkampf zu verlieren.
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) jedenfalls wurde allenthalben damit zitiert, sich über den Schritt zu freuen, denn er könnte „mal für Klarheit sorgen“, wie er sagte. Prompt am nächsten Tag erkannte er, der einst den Mietendeckel wegklagte, dass sich Vermieter:innen oft nicht an die Mietpreisbremse halten, und forderte eine schärfere Sanktionierung. Wer’s glaubt.
Besänftigen wird Wegner damit nicht. Für DW Enteignen ist eh längst klar: „Alles muss man selber machen.“
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