Mehr Umweltschutz in der Landwirtschaft: Natürlich noch teurer
Wegen der Inflation sparen viele Menschen am Essen. Wenn Bauern mehr Klimaschutz umsetzen, werden Nahrungsmittel noch mehr kosten. Wie sozial ist das?
S igrid Marquardt isst nur noch selten warm. Das hat mit dem Ukrainekrieg, den Energiekosten und der Inflation zu tun. „Brot ist billiger“, sagt sie. Von Brot und Tütensuppen ernähre sie sich inzwischen hauptsächlich. „Ich gehe auch weniger einkaufen als früher.“ Stattdessen holt sie jeden Mittwoch Lebensmittelspenden von der „Tafel“, einem Verein, der nicht verkauftes Essen in Supermärkten einsammelt und an Bedürftige verteilt.
An einem Nachmittag im September steht Sigrid Marquardt in der Segenskirche in Berlin-Reinickendorf, einem schlichten roten Backsteinbau, in dem die Tafel einmal in der Woche Nahrungsmittel ausgibt. Marquardt redet schnell und mit starkem Berliner Akzent. Sie will erzählen, wie sie hier hingekommen ist. Sie habe früher als Putzfrau gearbeitet, doch vor zehn Jahren seien ihre Augen erkrankt, erzählt sie. „Meine Sehfähigkeit ging runter, ich konnte den Dreck nicht mehr so sehen, und dann hat sich das in dem Beruf ja erledigt.“ Außerdem habe sie Herzprobleme.
Marquardt hat zunächst Hartz IV bekommen. Vor ein, zwei Jahren sei sie als arbeitsunfähig eingestuft worden, sagt sie. Seitdem erhält sie eine Rente für Menschen, die zu krank sind, um zu arbeiten, und einen Zuschuss vom Sozialamt, zusammen 450 Euro im Monat. Zieht man die fixen Ausgaben wie Strom und Telefon ab, blieben 250 Euro für Lebensmittel und Kleidung und alle anderen Dinge übrig, rechnet Marquardt vor. „Das Geld ist schon immer knapp gewesen“, sagt sie. Aber inzwischen sei es kaum möglich, damit auszukommen.
Wie Sigrid Marquardt geht es vielen. „Aktuell unterstützen wir über zwei Millionen Menschen, mehr als je zuvor“, sagt Pascal Kutzner, Pressesprecher des Dachverbands Tafel Deutschland, der taz. Die Zahl sei seit Jahresbeginn um 50 Prozent gestiegen. Ein Teil der neuen NutzerInnen sind Kutzner zufolge Geflüchtete aus der Ukraine. Allerdings begann der Anstieg schon vor dem Krieg. „Es kommen auch vermehrt Menschen zu uns, die durch die gestiegenen Preise nicht mehr mit ihrem Lohn auskommen“, berichtet Kutzner.
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Die meisten Tafel-NutzerInnen leben wie Sigrid Marquardt von staatlichen Transferleistungen. Aber nicht nur sie, auch andere, größere Bevölkerungsgruppen sind wegen der höheren Lebensmittelpreise sparsamer als bisher. 35 Prozent der TeilnehmerInnen einer Umfrage im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbands gaben im August an, sich beim Kauf von Lebensmitteln einzuschränken.
Seit Juli 2021 steigen die Lebensmittelpreise so stark wie lange nicht mehr, seit Mai 2022 ist die Inflationsrate bei diesen Produkten zweistellig. Im Oktober kosteten Nahrungsmittel 20,3 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, zeigen Daten des Statistischen Bundesamtes. Das liegt besonders daran, dass Energie vor allem seit Russlands Angriff auf die Ukraine teurer geworden ist. Energie braucht man, um Lebensmittel zu erzeugen und zu transportieren; das schlägt auf die Preise durch.
Sigrid Marquardt, Tafel-Nutzerin
Jörg-Andreas Krüger ist Präsident des Naturschutzbunds (Nabu), der mit etwa 800.000 Mitgliedern Deutschlands größten Umweltorganisation. Er will, dass VerbraucherInnen noch mehr für Milch, Eier und Fleisch bezahlen müssen. Damit die Bauern ihr Vieh besser halten, weniger Tier- und Pflanzenarten aussterben und das Klima gerettet wird. Auch die EU-Kommission und die Grünen samt ihrem Bundesagrarminister Cem Özdemir wollen trotz Inflation mehr Umweltschutz in der Landwirtschaft. Das würde für Menschen wie Sigrid Marquardt bedeuten, noch weniger finanziellen Spielraum zu haben, weil sie noch mehr Geld für Essen ausgeben müssten.
Wie viel Umwelt- und Tierschutz in der Ernährung können wir uns angesichts der steigenden Preise noch leisten? Heißt ökologisch wirtschaften, dass sich Arme schlechter ernähren müssen? Oder dass es bald nicht mehr genug zu essen gibt in Deutschland? Die Suche nach Antworten auf diese Fragen führt zur Berliner Segenskirche, aber auch auf Felder und Wiesen in Niedersachsen und zuletzt auf einen Fachwerkhof, der seit Generationen im Besitz einer Familie ist.
Massentierhaltung schadet Tier und Umwelt
An einem grauen Oktobermorgen setzt sich Jörg-Andreas Krüger im niedersächsischen Oldenburg hinter das Steuer seines VW Golf Kombi. Der Nabu-Chef – helle Haut, blonde Haare – kommt aus der Region, er trägt eine Treckingjacke, dazu Wanderschuhe.
„Wir fahren in die Kampfzone“, sagt er. Krüger lenkt den Wagen nach Süden in die Landkreise Oldenburg und Cloppenburg, Zentren der Tierhaltung in Deutschland. In Westniedersachsen verursache die Landwirtschaft besonders große Umweltschäden, weil nirgendwo so viele Tiere pro Hektar gehalten werden, sagt er. Hier will Krüger zeigen, warum die Landwirtschaft seiner Meinung nach umweltfreundlicher werden muss – auch wenn Lebensmittel dann teurer würden.
Der Naturschützer biegt ab von der Bundesstraße. Er zeigt auf Felder und Wiesen beiderseits der Straße. „Das waren alles Moore“, sagt er. Um Moore landwirtschaftlich zu nutzen, wurden sie weitgehend trockengelegt. Kommt der Torf im Boden aber mit Luft in Berührung, zersetzt er sich und gibt Kohlendioxid ab. So entstehen laut Bundesumweltministerium etwa 7,5 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen. Besonders viel entweicht, wenn die Wiesen dann noch zu Äckern umgepflügt werden. Dass sich der Torf zersetzt, kann man sogar sehen: An manchen Stellen verläuft die Straße höher als die benachbarten Felder. Für Krüger ist klar: Will man CO2 einsparen, müssen die Moore wieder vernässt werden. Ginge es nach ihm, dürfte dort, wo noch viel Torf ist, kein Ackerbau mehr betrieben werden.
Davon gibt es hier reichlich. Rechts der Straße stehen Futtermaispflanzen, auf dem Feld links sind sie bereits abgeerntet, man sieht nur die Stoppeln. „Außer Mais wird hier nicht viel angebaut“, sagt der Naturschützer. Die Pflanze vertrage sehr viel Gülle, die in den zahlreichen Ställen in der Umgebung in rauen Menge anfalle. Offiziell nutzen die Landwirte die Gülle als Dünger. Es gehe aber auch darum, die Exkremente zu entsorgen, sagt Krüger. Der Mais könne jedoch bei weitem nicht alle Nährstoffe aus der Gülle aufnehmen – der Rest verschmutzt das Grundwasser, aus dem in Deutschland das meiste Trinkwasser gewonnen wird.
Ein Bild des Grauens
Die Überdüngung bringt auch die Natur durcheinander. Das lässt sich an einem Feldrand beobachten, an dem Krüger jetzt stoppt. Eichen stehen hier, ihre Blätter rauschen im Wind. Neben den Bäumen wachsen Holunder und die Spätblühende Traubenkirsche mit roten und schwarzen Früchten. Das war’s. „Das ist ein Bild des Grauens“, sagt Krüger. „Holunder ist ein typischer Nährstoffzeiger“ – eine Pflanze, die mit viel Stickstoff etwa aus Gülle im Boden sehr gut zurechtkommt. So gut, dass sie andere Pflanzen verdrängt. „Die Traubenkirsche ist eine Pflanze, die aus Nordamerika kommt und deshalb hier wenige angepasste Insektenlebensgemeinschaften hat. Das ist einfach zu wenig Vielfalt.“
Dass viele Bauern auf den Feldern kaum verschiedene Pflanzenarten anbauen, hält Krüger für problematisch, weil Unkraut sich dann schneller vermehren kann. „Die Landwirte spritzen dann Totalherbizide“, sagt er. Die vernichten so gut wie alle Pflanzen, die nicht gentechnisch verändert sind. Auch Pflanzen, von denen Insekten und Vögel leben. „Wir haben über 90 Prozent der Kiebitze verloren bundesweit. Genau das waren die Brutgebiete“, sagt Krüger. Die Feldlerchen seien viel weniger geworden. Dass auch Insekten betroffen sind, hat eine 2021 erschienene Studie gezeigt: Dort wurde nachgewiesen, dass auf Wiesen und in Wäldern in Deutschland inzwischen deutlich weniger Insekten unterwegs sind als vor einem Jahrzehnt. Der Einfluss der Landwirtschaft ist schon deshalb erheblich, weil sie mehr als die Hälfte der Fläche in Deutschland nutzt. Für Krüger gibt es nur eine Schlussfolgerung: Will man die Artenvielfalt schützen, muss man vor allem dafür sorgen, dass die Bauern weniger düngen und weniger Pestizide einsetzen.
Moore müssten renaturiert werden
Vernässte Moore, weniger Dünger, weniger Pestizide – aus Sicht des Umwelt- und Artenschutzes klingt es einleuchtend, was Krüger fordert. Für die Landwirtschaft und die VerbraucherInnen hätte das allerdings gravierende Folgen: Anbauflächen gingen verloren, die Pflanzen würden ohne Dünger weniger wachsen. Die Bauern könnten weniger ernten, die Erträge würden sinken, die Lebensmittel teurer. Vor einem Jahr hätte man vielleicht noch gesagt: So ist es, Umweltschutz kostet eben. Jetzt, da die Preise sowieso stark steigen, ist das nicht mehr so einfach.
Krüger ist an einer der Anlagen angekommen, die er besonders für die Umweltprobleme der Landwirtschaft verantwortlich macht: ein langes, flaches Gebäude mit Lüftungsschächten, daneben Silos für Futter. Weiße Federn liegen auf dem Boden. „Betreten verboten / Wertvoller Putenbestand“, steht auf einem Schild am Maschendrahtzaun um den Stall. Zwei weitere Ställe sind in Sichtweite.
Je Zehntausende von Tieren werden in den Ställen gehalten. Immer wieder rauschen auf der Straße große Viehtransporter mit Anhängern vorbei, die zum Schlachthof fahren. Die Tierhaltung ist der größte Verursacher von Treibhausgasen in der Landwirtschaft, die laut Umweltbundesamt für rund 13 Prozent der Emissionen in Deutschland verantwortlich ist. Deshalb, sagt Krüger, müssten die Deutschen im Schnitt weniger tierische Lebensmittel wie Fleisch, Eier und Milchprodukte essen.
Krüger ist kein Vegetarier, er hat sogar einen Jagdschein, schießt auch durchaus mal ein Reh und isst davon. Es gehe ihm nicht darum, dass die Leute gar kein Fleisch mehr essen sollten, sagt er. Krüger wäre schon zufrieden, wenn die Menschen in Deutschland nur so viel Schwein, Rind und Geflügel zu sich nehmen würden, wie aus medizinischer Sicht empfohlen wird. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung rät zu maximal 300 bis 600 Gramm Fleisch pro Woche. Derzeit verzehren Männer im Schnitt fast das Doppelte.
Niedrigerer Fleischkonsum, besseres Klima
Weniger Fleisch wäre nicht nur gesund für den Menschen, sondern auch hilfreich für die Umwelt. Wenn weniger Tiere gehalten würden, würde weniger Gülle auf den Feldern entsorgt und weniger Futter angebaut. So könnte man 10 Prozent der Agrarfläche der Natur zurückgeben, schätzt Krüger.
Um den Konsum zu reduzieren, würde Krüger Fleisch am liebsten sogar künstlich verteuern – durch einen Aufschlag von zum Beispiel 40 Cent pro Kilogramm Schwein. Diese Idee ist nicht neu: Eine Expertenkommission unter Leitung des ehemaligen CDU-Landwirtschaftsministers Jochen Borchert hat so etwas bereits 2020 vorgeschlagen. Der aktuelle Ressortchef Cem Özdemir von den Grünen würde das gern umsetzen, aber vor allem der Koalitionspartner FDP blockiert, weil die Liberalen keine neue Steuer wollen. Seit die Fleischpreise steigen, ist es für den Grünen noch schwerer, hier etwas auszurichten.
Krüger hat noch mehr Forderungen, die teils auch pflanzliches Essen weiter verteuern würden. Der Naturschützer verlangt etwa, der Staat solle dazu beitragen, dass mehr Landwirte auf Bio umstellen. Für ihn steht fest: „Wir werden uns mehr Naturschutz leisten müssen.“
Was aber hieße das für Menschen wie Sigrid Marquardt, die aus Kostengründen oft auf Fleisch verzichtet? Biofleisch kann sich die Tafel-Nutzerin erst recht nicht leisten. Öko-Hack kostet schon mal 40 Prozent mehr als konventionelles Fleisch. Dabei glaubt auch Marquardt, dass Lebensmittel tier- und umweltfreundlicher erzeugt werden müssten. „Wenn ich’s könnte, würde ich nur auf solche Sachen achtgeben“, sagt die Berlinerin, „aber von dem bisschen Geld kann man das leider nicht.“
Sind Jörg-Andreas Krüger Arme wie Sigrid Marquardt egal? Diese Kritik weist er weit von sich. Hartz-IV-EmpfängerInnen sollten mehr fürs Essen bekommen, fordert er. Die Mehrwertsteuer auf Gemüse sollte außerdem gestrichen werden, dann wäre es billiger.
Das würde nicht verhindern, dass eine bereits jetzt existierende soziale Schieflage noch größer würde. Wenn die Preise für Fleisch stiegen, könnten es sich Arme noch weniger leisten, Reiche dagegen schon. Krüger räumt das ein. Er plädiert dafür, den Reichtum stärker zu verteilen, so will er diese Ungerechtigkeit beseitigt wissen. „Wir können nicht auf Umwelt- und Agrarpolitik verzichten, immer mit der Begründung, dass 15, vielleicht 20 Prozent der Haushalte eine Art von Unterstützung brauchen.“ So, wie die Landwirtschaft jetzt der Umwelt schade, gehe es nicht weiter.
Kein Preisdumping im Lebensmittelsektor mehr
Selbst wenn man steigende Preise sozialpolitisch abfedern könnte, stellt sich noch eine andere Frage: Wenn Bauern Moore wiedervernässen, Pestizide reduzieren und Tieren mehr Platz einräumen, hätten wir dann überhaupt noch genug zu essen?
Besuch auf dem Hof von Familie Berges im Dorf Elsten im Landkreis Cloppenburg. Blickfang ist ein großes Fachwerkhaus, die Jahreszahl 1813 steht auf dem Giebel. Im Anbau werden Schweine gemästet, der strenge Geruch ihrer Exkremente liegt in der Luft. Immer wieder knallen Eicheln auf die roten Schieferdächer. Der 80-jährige Gerd Berges fährt mit einem Rad heran. Er zeigt mehrere alte Steine, zwei haben ein Loch. 4.000 Jahre alte Steinbeile seien das, sagt Gerd Berges. Er habe sie auf einem Feld gefunden. So lange lebten mindestens schon Menschen hier. Seine Familie sei seit Generationen auf dem Hof. Dann sagt er: „Sie haben es in der Hand, ob es hier weitergeht.“ Mit „Sie“ meint er die Presse und die von ihr beeinflussten VerbraucherInnen.
Gerd Berges sitzt schon auf dem Altenteil, er hat den Hof an seinen Sohn übergeben. Hubertus Berges, ein hochgewachsener 53-Jähriger in Jeans und Polohemd, empfängt zum Gespräch. Umwelt- und Tierschutzregeln sieht er eher kritisch. „Höhere Auflagen bedeuten höhere Kosten.“ Höhere Kosten verteuern seine Schweine und Futtermittel, die er anbaut. Das könnte dazu führen, dass er weniger oder gar keine mehr verkauft. Falls die Deutschen dann weniger Fleisch äßen, wäre das zwar gut für das Klima und die Natur. Aber dann wäre die Zukunft des Hofs ungewiss, die Tradition der Familie in der Landwirtschaft stünde möglicherweise vor dem Aus.
Ein paar Minuten Autofahrt vom Haus entfernt arbeitet Hubertus Berges’ Sohn auf einem Acker. Mit einem grün-gelben Traktor zieht er seine Bahnen; an der Maschine hängt ein Pflug, dessen Scharen die blassbraune Erde 35 Zentimeter tief aufreißen. Der Boden sei „auch ein ganz bisschen moorig“, sagt Hubertus Berges, während der Motor des Traktors dröhnt.
Berges hätte natürlich ein Problem damit, wenn seine Mooräcker wieder unter Wasser gesetzt würden, um zu verhindern, dass der Boden CO2 freigibt. Denn dann könnte der Landwirt dort entweder gar nicht mehr oder nur noch schwer die bisher gängigen Kulturpflanzen anbauen.
Wenn ihre Flächen wiedervernässt würden, sagt Berges, müssten die Bauern einen Ausgleich bekommen. „Dann muss man der Gesellschaft sagen: So viel kostet das. Seid Ihr bereit, das zu bezahlen?“
Mais wächst auf entwässerten Mooren
Wenig später steht Berges auf einem seiner Maisfelder. Die Pflanzen mit ihren grünen und teils schon vergilbten Blättern wachsen in sauberen Reihen. Er sei auch gegen die Pläne der EU-Kommission, den Einsatz von Pestiziden zu reduzieren, sagt er. „Wir stehen hier in einem Landschaftsschutzgebiet. Wenn sich die EU-Kommission durchsetzt, wäre der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln hier komplett verboten.“ Er brauche die Pestizide aber, um Unkräuter, Pilzkrankheiten und Schadinsekten in Schach zu halten.
Den Chemieeinsatz in Deutschland insgesamt zum Wohle der Natur zu halbieren, hält Berges nicht für nötig. Pestizide seien heute lange nicht so gefährlich wie früher. Sie würden ja von der EU überprüft und zugelassen.
Dass der Landwirt so stark mit Schädlingen zu kämpfen hat, könnte auch daran liegen, dass er dieselbe Pflanzenart in sehr kurzen Abständen auf seinen Feldern anbaut. „Wir fahren eine relativ enge Fruchtfolge“, sagt er. Im ersten Jahr baut er auf einem Acker Weizen an, im nächsten Mais, dann geht es schon wieder von vorne los. In so kurzer Zeit sterben die auf Mais oder Weizen spezialisierten Schädlinge, Unkräuter und Krankheitserreger aber nicht ab – weshalb Berges dann um so häufiger Pestizide einsetzt.
Weniger Fleischkonsum, mehr landwirtschaftliche Flächen
Berges’ Mais landet nicht auf dem Teller, sondern hauptsächlich im Trog als Futtermittel oder im Tank als Agrosprit. Der Landwirt räumt das erst auf Nachfrage ein, er kennt die Argumentation der UmweltschützerInnen. „Wir sollen weniger Fleisch essen. Dann hätte man Flächen frei“, weiß Berges. Weniger Fleisch, weniger Tiere, weniger Futter, mehr Äcker für Lebensmittel und Naturschutz, folgern die AktivistInnen. „Da muss man berücksichtigen, dass man auf längst nicht allen Flächen Brotweizen anbauen kann“, entgegnet Berges. Solche Weizensorten haben einen hohen Proteingehalt, so dass der Teig etwas leichter zu verarbeiten ist und stärker aufgeht.
Berges ist sich sicher: Wenn Deutschland von den Bauern immer mehr Umweltschutz verlangen würde, „dann können wir uns aber vielleicht auch nur noch 40, 50 oder 60 Millionen Einwohner in Deutschland erlauben“. Für mehr würden die Ernten nicht reichen. Oder Deutschland würde mehr Lebensmittel importieren müssen. Mehr Einfuhren werden aber kritisch gesehen, weil sie möglicherweise unter noch schlechteren Bedingungen produziert werden – und weil sie die Weltmarktpreise und damit den Hunger in Entwicklungsländern steigern könnten.
Sind tatsächlich so viele Flächen nur für den Futteranbau zu nutzen? Das sehen führende Experten anders. Derzeit würden lediglich 30 Prozent der Weizenernte zum Backen verwendet, sagt Friedrich Longin, Getreideforscher und Leiter der Arbeitsgruppe Weizen an der Landes-Saatzucht-Anstalt der Universität Hohenheim. Aber auch als „Futterweizen“ deklarierte Sorten eigneten sich für Mehl. 70 bis 80 Prozent des deutschen Weizens könnten problemlos zu Brot verarbeitet werden. Die Bäckereien müssten nur zum Beispiel die Knetung und die Wasserzugabe anpassen, wenn sie den Teig anrühren.
Man könnte also doch auf den meisten Äckern Lebensmittel anbauen, folgert zum Beispiel die Umweltschutzorganisation Greenpeace. Da wäre dann genug Platz, um genügend Nahrungsmittel zu ernten, selbst wenn der Ertrag pro Hektar sinkt, weil die Bauern weniger Pestizide spritzen. Das hieße: Es könnten sehr wohl alle Menschen in Deutschland satt werden. Sogar der Weltmarkt könnte versorgt werden. Mehr Umweltschutz in der deutschen Landwirtschaft würde dann auch nicht zu mehr Hunger in Entwicklungsländern führen.
3.500 Schweine auf einem Hof
Am meisten Geld verdient Berges, indem er Schweine an Schlachthöfe verkauft. In seinen Ställen kann er 3.500 Tiere gleichzeitig mästen. Herein lässt er Reporter nicht. Das sei zu gefährlich, weil sie möglicherweise den Erreger der Afrikanischen Schweinepest einschleppen könnten.
Durchs Fenster ist zu sehen, dass die Tiere auf perforierten Betonböden stehen. Bei solchen Ställen fallen die Exkremente durch die Löcher in Rinnen oder Tanks. Tierschützer kritisieren, an diesen „Spaltenböden“ könnten sich Schweine die Klauen verletzen. Sie müssten auf dem harten und verdreckten Betonboden laufen, liegen und schlafen, so dass sie ständig mit ihren eigenen Exkrementen in Berührung kämen.
Wenn die Ställe voll besetzt sind, hat ein 110 Kilogramm schweres Tier nur 0,75 Quadratmeter Platz. Es gibt keinen Auslauf, keinen Zugang zur frischen Luft, keine Stroheinstreu als Beschäftigungsmaterial. Damit sich die Tiere in dieser Monotonie und Enge nicht aus Langeweile und Frustration die Ringelschwänze gegenseitig abfressen, werden sie ihnen abgeschnitten. Auch wenn nur wenige Tiere erkranken, bekommt der ganze Stall Antibiotika. Dieser Masseneinsatz trägt dazu bei, dass die auch für Menschen wichtigen Medikamente ihre Wirkung verlieren, weil Keime Resistenzen entwickeln.
Das ist der Standard der Schweinehaltung in Deutschland. „Es ist schwer, das, was darüber hinausgeht, vergütet zu kriegen“, sagt Berges, der nun in seinem gediegenen Wohnzimmer mit Echtholzparkett, großen Fenstern und Kamin sitzt. „Und gerade in der jetzigen Zeit mit dieser wahnsinnig angestiegenen Inflation. Die Leute müssen einfach noch mehr nach dem Portemonnaie gucken“, ergänzt er. Deshalb will er den Tieren jetzt erst recht nicht mehr Platz oder gar einen Auslauf gewähren.
Schweinemast und Ethik
Aber ist es nicht ethisch geboten, die Schweine besser zu halten? Da kommt Berges ins Stocken. Nach langem Zögern antwortet er: „Die Frage habe ich mir noch nicht so oft gestellt.“ Dann sagt er, die Wünsche zur Tierhaltung würden immer aus Sicht der Menschen geäußert. Der hermetisch geschlossene Stall etwa würde das Grundbedürfnis der Tiere nach einer angenehmen Temperatur besser erfüllen als ein offener Stall. Nur Menschen würden denken, das Vieh müsse an die frische Luft. „Auch konventionelle Ware, die wir hier produzieren, die ist ja Top-Standard“, sagt der Landwirt.
Hubertus Berges bezweifelt sogar, dass die Landwirtschaft generell mehr gegen das Artensterben und für den Naturschutz tun muss. In den vergangenen zehn Jahren habe es schließlich „keine großartigen Veränderungen“ bei der Zahl der Tiere gegeben, die von Jägern in seiner Region erlegt werden, sagt er.
Damit ist er beim Kern seiner Argumentation angekommen: Er bezweifelt, dass die Landwirtschaft wirklich so große Schäden in der Umwelt anrichtet. Deshalb sieht er auch keinen Bedarf für Reformen, die Lebensmittel verteuern würden.
Naturschützer Krüger kann er so nicht überzeugen. Dieser verweist auf die Europäische Umweltagentur, der zufolge die Artenvielfalt vor allem wegen der Landwirtschaft schrumpfe. Oder auf den großen Treibhausgasausstoß und die Grundwasserverschmutzung der Branche.
„Nach dem Schock dieses Jahres durch den Ukrainekrieg werden wir das Thema Umweltschutz in der Landwirtschaft wieder lauter machen“, sagt Krüger. Und: „Wir werden den Druck auf Bundesagrarminister Cem Özdemir erhöhen.“ Jetzt, fast ein Jahr nach dem Amtsantritt des grünen Ressortchefs, sei es Zeit, dass die Bundesregierung zum Beispiel für mehr Tierschutz sorge, damit der Fleischkonsum sinkt.
Konventionelle Landwirtschaft sorgt für Artenverlust
Tatsächlich zieht die Zahlen zum hohen Treibhausgasausstoß und Artenverlust durch die Landwirtschaft außerhalb der Branche kaum noch jemand grundsätzlich in Zweifel. Aber die Inflation wird allen Prognosen zufolge auch im kommenden Jahr hoch bleiben. Da müssten die UmweltschützerInnen schon sehr viel Druck aufbauen, um zum Beispiel eine zusätzliche Abgabe auf Fleisch durchzusetzen. Heftiger Gegenwind vonseiten der Bild-Zeitung wäre garantiert.
Aber die Springer-Medien sind nicht die WählerInnen. Man kann das Umfrageergebnis, dass wegen der hohen Preise 35 Prozent der Menschen in Deutschland bei Lebensmitteln sparen, auch so lesen: 65 Prozent der Deutschen sparen eben immer noch nicht beim Essen. Offenbar könnten sie es sich sehr wohl leisten, einen zusätzlichen Tierschutzaufschlag von 40 Cent pro Kilogramm Fleisch zu bezahlen. Die Menschen, die jetzt schon sparen müssen, könnte der Staat stärker unterstützen, um die soziale Ungleichheit nicht noch zu vergrößern.
Denn für Arme wie die Tafel-Nutzerin Sigrid Marquardt ist der Kostendruck jetzt schon zu hoch. Sie habe lediglich noch einmal im Monat Fleisch auf dem Teller statt wie vor der gestiegenen Inflation einmal pro Woche, sagt die Berlinerin. „Das finde ich nicht so toll. Ich würde schon gern mindestens zweimal im Monat ein Schnitzel oder Kotelett essen.“ Einfach, weil es ihr schmecke.
Zweimal im Monat Fleisch – das wäre immer noch so wenig, dass selbst Umweltschützer wie Jörg-Andreas Krüger kein Problem damit hätten.
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