Unterstützung für Tafeln: Gefahr der Vereinnahmung
Immer mehr Tafeln werden öffentlich gefördert. Tafelvertreter:innen und Politik warnen vor falschen Signalen.
Empörung in den sozialen Medien erntete auch Markus Söder, bayerischer Ministerpräsident (CSU), als er bei der Münchner Tafel, bekleidet mit einer blauen Schürze, den Kund:innen Brotlaibe überreichte. Auf Twitter postete er das Foto und verkündete, dass Bayern die finanzielle Förderung der Tafel aufstocke. Pikanterweise gehört Bayern zu den Bundesländern, die kürzlich das Gesetz zum Bürgergeld für die Betroffenen verschlechterten.
In mehreren Bundesländern, so etwa in Sachsen, Bayern, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, werden Tafeln vor Ort aus staatlichen Mitteln unterstützt, wobei sich die Fördersummen im Vergleich zu sonstigen öffentlichen Ausgaben eher bescheiden ausnehmen.
In Nordrhein-Westfalen beispielsweise „hat das Land in einem Pilotprojekt den Aufbau von Verteilzentren mitfinanziert“, berichtet Petra Jung, Sprecherin des Landesverbandes Tafel Nordrhein-Westfalen. Das Umweltministerium sagte dem Landesverband eine Projektförderung über drei Jahre bis zum Februar 2023 zu, mit einer Zuwendungshöhe von 740.000 Euro. Mit der Förderung solle unter anderem die Logistik, etwa der Einsatz von Sattelschleppern, von Kühlfahrzeugen und Kühlhallen, finanziert werden, sagt Jung. Man sei zuversichtlich, dass die Förderung auch nach dem Februar 2023 verlängert werde.
Zahl der Kund:innen steigt, Lebensmittelspenden sinken
„Im Thema öffentliche Förderung der Tafeln ist Bewegung drin“, heißt es beim Dachverband Tafel Deutschland, in dem 960 Tafeln organisiert sind. Der Verband fordert schon seit Längerem staatliche finanzielle Unterstützung bei der Grundfinanzierung unter anderem für den Dachverband und für den Ausbau der Logistik in den Ländern. Die zusätzliche Förderung ist nötig, nicht nur weil die Zahl der Kund:innen inzwischen auf zwei Millionen gestiegen ist. Auch die Logistik der Spendenakquise hat sich weiterentwickelt und verändert.
„Die Spenden von den Herstellern sind wichtiger geworden“, sagt Karltheodor Huttner, Landesvorsitzender der Tafel Sachsen. Die Spenden aus dem Handel hingegen seien rückläufig. Supermärkte verkaufen ihre Waren mit ablaufendem Mindesthaltbarkeitsdatum inzwischen selbst verbilligt. Durch die digitale Warenwirtschaft in den Supermärkten entstehen zudem weniger Überschüsse.
Die Hersteller seien abhängig von den Vorgaben der Supermärkte, berichtet Huttner. Die Märkte verlangten von den Herstellern, gewünschte Waren sehr kurzfristig liefern zu können. Die Hersteller produzieren daher viel auf Vorrat, bleibt die Nachfrage von den Supermärkten aus, entsteht plötzlich ein Überschuss bestimmter Waren in den Fabriken selbst, der dann von den Tafeln kurzfristig abgeholt werden muss. „Da braucht man Fahrzeuge, Möglichkeiten der zentralen Lagerung, der Kühlung“, erklärt Huttner.
Die Tafel Sachsen war der erste Landesverband, der vor sechs Jahren staatliche Förderung in Anspruch nahm. „Wir erhalten etwa eine Million Euro im Jahr an staatlicher Unterstützung“, sagt Huttner. Mit dem Geld werden unter anderem Fahrzeuge, Kühllaster, Lagerräume finanziert und auch die Arbeit der Ehrenamtlichen mit einer minimalen Aufwandsentschädigung unterstützt.
Berge von Backwerk, kaum Gemüse
Mehr staatliche Förderung für die Lebensmittelausgabestellen wird aber auch kritisch gesehen. Die Berliner Tafel, als erste Tafel Deutschlands im Jahre 1993 gegründet, lehnt eine konstante öffentliche Förderung ab und erklärt in ihren Leitlinien: „Staatliche Gelder werden bewusst nicht in Anspruch genommen.“ Man wolle „den Staat nicht aus der Pflicht entlassen, die Grundversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten“, so die Leitlinien.
Bei einer konstanten staatlichen Förderung bestehe die Gefahr, „von politischen Mehrheiten abhängig oder auch politisch vereinnahmt zu werden“, sagt Antje Trölsch, Geschäftsführerin der Berliner Tafel, „eine Förderung für uns würde zudem gleichzeitig weniger Förderung für andere Vereine und soziale Einrichtungen bedeuten“. Der Verein finanziert seine Arbeit durch Mitgliedsbeiträge und Spenden auch von Unternehmen. Der Versuch einer unliebsamen politischen Vereinnahmung zeigte sich in Berlin auch im Oktober, als die AfD im Berliner Abgeordnetenhaus einen Antrag auf einen staatlichen „Fördertopf“ für die Tafeln stellte, der aber keine Mehrheit fand.
In den Grundsätzen der Tafel steht die Lebensmittelrettung im Vordergrund und erst dann kommt die Armenversorgung. Schließlich ist der Staat dafür zuständig, den Bürger:innen durch die Grundsicherung ein finanzielles Existenzminimum zu garantieren, und er sollte sie nicht auf Lebensmittelspenden verweisen dürfen, um ihren täglichen Bedarf zu decken.
Überdies hängen die Spenden der Tafeln von der Logistik und den Lieferbedingungen in der Branche ab und orientieren sich keineswegs an den konkreten Bedarfen der Armen. Dies weiß jedeR Tafelkund:in, die zu bestimmten Zeiten vor einem Berg von süßem Backwerk steht, während die Gemüseregale halbleer sind und kaum noch Milchprodukte zu haben sind.
Der Finanzbedarf der Tafeln bringt auch die Politik in einen Zwiespalt. In Brandenburg hatte die rot-schwarz-grüne Landesregierung in diesem Frühjahr einen Antrag der oppositionellen Linken abgelehnt, die Tafeln mit einer finanziellen Grundförderung konstant zu unterstützen. Sozialministerin Ursula Nonnenmacher (Grüne) hatte erklärt, der Staat dürfe neben der Grundsicherung, die das Lebensnotwendige sicherstellen solle, keine „konkurrierenden Hilfesysteme“ aufbauen. Im Herbst wurden den Tafeln in Brandenburg immerhin 120.000 Euro aus Lottomitteln zugesichert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Lektionen der Woche
Deutschland ist derweil komplett im Wahn