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Lockerung der SchuldenbremseBitte jetzt mal eine große Koalition der Vernunft

Hannes Koch
Kommentar von Hannes Koch

Ja, der Staat braucht viel mehr Geld – noch mehr als gedacht. Union, SPD und Grüne sollten sich im noch amtierenden alten Bundestag zusammenraufen.

Die Finanzierung der Bundeswehr ist im kommenden Jahrzehnt vordringlich Foto: Deutzmann/imago

J etzt haben wir den Salat. Der Bund braucht jede Menge Geld. Doch die Mehrheitsverhältnisse im neuen Bundestag erschweren es massiv, den Staat mit ausreichenden Finanzen auszustatten. Deshalb sind Erwägungen bei SPD und Grünen nachvollziehbar, die Schuldenbremse im Grundgesetz jetzt noch mit der alten Mehrheit zu lockern. Bei der Union geht es hin und her.

Seit der Münchner Rede von US-Vizepräsident J. D. Vance wissen wir, dass der transatlantische Westen zerbröselt. Der Europäischen Union droht die Gefahr, von Moskau herumgeschubst zu werden. Dagegen helfen nur starke europäische Truppen und eine einsatzfähige Bundeswehr. Mittlerweile werden Militärausgaben von 3 Prozent der Wirtschaftsleistung gefordert – das wären rund 120 Milliarden Euro pro Jahr, fast 70 Milliarden mehr als jetzt.

Und es gibt noch die anderen Herausforderungen: die Krise des deutschen Wirtschaftsmodells, die verminderte Lebensqualität durch marode Infrastruktur und die nötigen Ausgaben für Klimaschutz. ÖkonomInnen nennen dafür einen zusätzlichen Investitionsbedarf von 60 Milliarden Euro jährlich. So beläuft sich die gesamte Finanzlücke auf eine Größenordnung von 130 Milliarden Euro. Das sind keine Summen, die sich beschaffen lassen, indem man das Bürgergeld kürzt und Bürokratie abbaut.

In der Kosovo-Frage ging es auch

Vordringlich ist die Finanzierung der Bundeswehr im kommenden Jahrzehnt. Aber AfD und Linke werden im neuen Bundestag da wohl nicht mitmachen. Sie haben genug Sitze, um die Zweidrittelmehrheit zu verhindern, die für die Änderung der Schuldenbremse erforderlich ist. Dagegen verfügen Union, SPD und Grüne jetzt noch über die nötige Mehrheit, um die Schuldenbremse zu lockern – grundsätzlich oder mit einem höheren Bundeswehr-Sondervermögen.

Aber darf die alte Mehrheit das? Ja, bei der Kosovo-Sondersitzung 1998 ging es auch. Und sie muss: Außenpolitische Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit sind die Voraussetzungen für alles andere. Dieses Argument wiegt schwerer als der Respekt, der neuen Mehrheit nicht in die Parade zu fahren.

Überparteiliche Zusammenarbeit notwendig

Die zusätzliche Kreditfinanzierung von Infra­struktur und Klima-Investitionen könnte die neue Union-SPD-Regierung dann ab März vielleicht auch mit den Linken regeln. Diese Überlegungen basieren aber auf der Hoffnung, dass sich eine neue Bereitschaft zu überparteilicher Zusammenarbeit einstellt.

Äußerungen von Boris Pistorius und einigen Unions- und Grünenpolitikern deuten in diese Richtung, wenngleich der künftige Kanzler Merz zuletzt eher ablehnend klang. Eine solche große Koalition der Vernunft jenseits der Lager erfordert Mut, entspräche aber der kritischen Lage.

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Hannes Koch
Freier Autor
Geboren 1961, ist selbstständiger Wirtschaftskorrespondent in Berlin. Er schreibt über nationale und internationale Wirtschafts- und Finanzpolitik. 2020 veröffentlichte er zusammen mit KollegInnen das illustrierte Lexikon „101 x Wirtschaft. Alles was wichtig ist“. 2007 erschien sein Buch „Soziale Kapitalisten“, das sich mit der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen beschäftigt. Bis 2007 arbeitete Hannes Koch unter anderem als Parlamentskorrespondent bei der taz.
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22 Kommentare

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  • Wo ist das Problem. Die einzigen die mit Sicherheit dagegen Stimmen dürfte die AfD sein.



    So weit ich das mitbekommen habe würden weder die Grünen noch die Linke Fundamentalopposition betreiben.



    Also muss die Regierung was anbieten.



    Wenn Merz aber meint nicht mit den Stimmen der Linken durchbringen zu wollen dann soll es eben so sein.

  • Überschrift auch: Koalition der großen Vernunft

  • Man könnte sich ja mal fragen, was damals war, mit dem Kosovo. Warum das keinen Aufschub duldete. Und wieso man demgegenüber Jahre später, als die Russen auf ukrainischen Autobahnen auf Kiew fuhren, sich mit den Beschlüssen Wochen und Monate Zeit lassen konnte. Und weshalb etwas übers Knie gebrochen werden müßte, dessen Befassung der zukünftige Bundeskanzler so vehement abgelehnt hat, als es eine Mehrheit dafür gab? Die Wahl werde schon nicht so knapp ausgehen. Und Lindner den Haushalt 2025 nur deswegen nicht aufgestellt haben, weil er Scholz irgendwie verärgern und die Entlassung provozieren mußte - das Geld müsse doch dagewesen sein. Und ganz klar, niemand hat die Grenzen schließen wollen. Die Aussage gab es ja, anders formuliert, schon einmal. Nur hat man damals, im Gegensatz zu heute, Mittel und Mannschaften gehabt, um das in der PK verweigerte Versprechen nahezu umgehend einzulösen. Merz wollte demgegenüber ein Gesetz beschließen, was zwangsläufig hätte gebrochen werden müssen.

    Nein, so wenig wie die Koalitionsverhandlungen ein Selbstläufer sind, ist es Merz' Wahl zum Bundeskanzler. Ganz abgesehen davon, daß er immer noch den Nehammer machen kann, ...

  • "Bitte jetzt mal eine große Koalition der Vernunft"

    Das ist der Wurm ja schon im Titel. Vernunft wird im Bundestag eher klein geschrieben, daher könnte es eher eine kleine Koalition werden. Politische Machtgier und größtmögliche Wirtschaftsinkompetenz haben da mehr das Sagen.



    Es wird weiterhin keine Sanierung der Bahn, der Schulen geben. Soziale Projekte werden weiter gestrichen - dringender nötig als je! Integrationsmaßnahmen wurden schon halbiert, dabei müsste man sie verzehnfachen, um die notwendige Migration zu gewährleisten, die wir brauchen, um die demografische Katastrophe abzumildern, die auf uns zurollt.



    Und natürlich werden weiter die Reichen beschenkt, was unsere Wirtschaft keinen Millimeter weiterbringen wird, aber zu größeren Lücken um Haushalt führt. Und die sozioökonomische Ungleichheit befeuert weiter den Trend nach immer weiter rechts. Etc.



    Ich bins leid.

    • @Jalella:

      Merz muß jetzt, wo die Grünen als Machtfaktor auf absehbare Zeit eliminiert sind und es bei der Union einen neuen Hauptfeind braucht, ganz dringend wissen, ob die "Omas gegen Rechts" jemals einen Cent Staatsknete erhalten hätten. Schließlich würde dessen Rückforderung nicht nur den Haushalt 2025 retten.

  • Es ist schon ekelhaft: erst die Schuldenfrage (nicht etwa politische Konzepte und Demonstrationen, wie eine konstruktive Opposition es tun würde) benutzen, um die Vorgängerregierung einzureißen, dann im Wahlkampf die Schuldenbremse verteidigen nur um anschließend sofort davon Abstand nehmen und das tatsächlich tun, was man der Vorgängerregierung vorwarf, tun zu wollen. Und das alles am neu gewählten Bundestag vorbei, damit die Lockerung der Regelungen der Schuldenbremse ohne die Linke so gestaltet werden kann, dass das, was die hineinverhandeln würden (Sozialer Wohnungsbau bspw.), ausgeschlossen werden kann. Das ist in der Gesamtschau so winkeladvokatenhaft wie Steuervermeidungstricks für Hedgefonds. Moment, war da nicht was?

    • @My Sharona:

      Merz dreht sich wie ein Brummkreisel. Der scheint derzeit noch weniger berechenbar als Trump.

      Ihn als Parteivorsitzenden hinzusetzen war ja in Ordnung, solange die Union noch in der Oppoosition saß und dort keine Machtoptionen hatte. Jetzt, nachdem er das historisch zweitschlechteste Wahlergebnis, um ganze 20 Prozent unter der Zielmarke des Generalsekretärs, als "gut" ausgegeben und schon damit hinreichend Realitätsferne bewiesen hat, ist es für die Union dringend Zeit, sich Gedanken über einen brauchbaren Kandidaten für die anstehende Kanzlerwahl zu machen.

  • Nach Allem, was sich jetzt schon so hören lässt, wird die nächste Regierung noch einmal eine Vervielfachung an Unfähigkeit gegenüber der Ampel (die ich vor drei Jahren bei ihrem Zustandekommen an dieser Stelle schon einmal als Himmerfahrtskommando bezeichnet hatte) mit sich bringen, allein schon das Hin und Her des zukünftigen 'Kanzlers' (?) in der Frage einer Änderung der Schuldenbremse beweist, dass die Herren Reaktionäre der CDU keinerlei Plan haben, wie es weiter gehen soll. Vielleicht dämmert es den zum Regieren Verdammten ja gerade, wie teuer die neuen Schulden werden, wenn sie zu einem Zinsanstieg beitragen und damit viele private Projekte ausbremsen, aber in ihrer Wirkung wieder die Inflation anheizen, die die Schere zwischen arm und reich weiter vergrößern und damit dazu führen, dass die Kosten für einen sozialen Ausgleich noch einmal steigen, wenn sie nicht nach kurzer Zeit dem blauen Mob weiteren Zulauf bringen. Um eine derart komplexe Situation in den Bergriff zu bekommen, sehe ich bei Merz, Söder, Linnemann & Co keinerlei geistige Kapazität, Sprechblasen sind keine Politik. Eigentlich brauchen wir eine Regierung der Wissenschaftler ganz ohne Einmischung von Parteien.

  • "Ja, der Staat braucht viel mehr Geld – noch mehr als gedacht."



    Und deshalb lösen wir die Schuldenbremse, hauen ein paar hundert Milliarden einfach so raus und wundern und dann, warum die Inflation wieder ansteigt, der Euro gegenüber dem Dollar noch wertloser wird und daraus resultierend die reale Kaufkraft ins Bodenlose fällt. So eine Art "Argentinien light" wird das dann.



    Am Ende bezahlen immer wir den Preis für Neuverschuldung. Wer mit knapp 1 Billion Steuereinnahmen nicht zurecht kommt, kommt auch mit +300 Milliarden Neuschulden nicht zurecht.

    • @Hans Dampf:

      Also sitzen wir weiter rum und schauen zu, wie ringsum alles vergammelt, während alle anderen großen Wirtschaftsmächte investieren?

  • Das sollte der alte Bundestag sicher nicht mehr machen. Die Union hatte das Angebot von SPD und Grünen aber die haben sich bockig gestellt und erstmal mal Neuwahlen erzwungen. Jetzt können sie zusehen wie sie da wieder raus kommen. Die Grünen werden das nicht unterstützen.

    • @noname0815:

      Wenn es um Geld für Rüstung geht, sind die neuen Grünen immer dabei...

  • Aber es bleibt noch die Eitelkeit vieler Märzes, die das NICHT so sehen. Wer ein Privatflugzeug fliegt denkt doch: seid so fleißig wie ich, dann reicht es Euch auch, ihr Schnorrer.



    Mir ist Angst

    • @SchMERZlassnach:

      Und ich seh die gefährlichen Eitelkeiten vor allem bei rot und grün...



      Die Grünen können natürlich jetzt wieder ihre soziale Ader entdecken und allerlei fordern was sie vor der Wahl noch machtversessen hinten runterfallen ließen - in der Opposition kann man völlig legitim die eigene Moral vor staatspolitische Verantwortung stellen, hat die CDU die letzten Monate ja auch gemacht werden einige sagen und treffen dabei auch einen Punkt.



      Und wenn die SPD meint, siehe Philipp Türmer gestern bei Lanz, so weitermachen zu wollen wie bisher - null Selbstreflektion, der hat da echt auf Positionen beharrt für die man gerade minus 10% kassiert hat - unglaublich.



      Ich hab die böse Vermutung das in der SPD gerade die Idee erwächst, dass es NUR am Gesicht und Ruf Olaf Scholz' lag - nochmal siehe Türmer gestern bei Lanz und seine Äußerungen über Scholz, den Wahlkampf, etc



      Wenn die wirklich meinen sie müssen ihren Kurs gnadenlos verteidigen obwohl sie damit 10% verloren haben während die AfD 10% dazugewann, dann wirds zappenduster.



      Die müssen nicht blind der Union hinterherlaufen, aber es muss schon die Erkenntnis her, dass ein "weiter so" vom Wähler klar mit NEIN beantwortet wurde.

      • @Farang:

        Ich hoffe sehr, dass die SPD weiterhin zu Ihren Werten steht.



        Die 10% mehr für die "afd" sind nicht allein Wählerwanderung von der SPD.



        Es wäre fatal, auf die Linie der afd einzuschwenken.



        Das ist gut an der "cdU" abzulesen, die eine rechte Politik gemacht hat und damit ihr zweitschlechtetes Ergebnis ihrer Geschichte einfuhr .



        Ganz offensichtlich hat die cdU den Aufstieg der "afd" damit nicht verhindert.



        Ich lebe gerne in einer Demokratie und hoffe, dass Parteien wie die SPD dafür sorgen, dass es so bleibt!



        Merz Vorstoß gegen NGOs erinnert an die Rachepolitik Trumps .Das ist weit entfernt von demokratischem Verständnis.



        Im Übrigen nimmt die csu, die ja eine 6% Partei ist, den Mund gewohnheitsmäßig voll. Mit welchem Recht eigentlich?

  • Das entscheidende Wort steht ungefähr im Zentrum des Textes: "jährlich".



    Über einen einmaligen Ausnahmekredit mag man reden können, wenn auch mit großem Vorbehalt. Was in erstaunlich kurzer Zeit die Folgen sind, wenn jemand Jahr für Jahr um mindestens ein Fünftel über die Einnahmen lebt, weiß jede Hausfrau, auch wenn sich etliche Akademiker der geistigen Fächer schwer damit tun.

  • "Vordringlich ist die Finanzierung der Bundeswehr im kommenden Jahrzehnt"

    Da fallen mir reihenweise vordringlichere Bereiche ein. Und Sie wissen vermutlich auch welche.

    Die Aufrüstung kommt mir allmählich vor wie Migration, ein Thema, das möglichst alle anderen Bereiche von der Prioritätenliste verdrängen soll, die einer Mehrheit zugute kommen könnten.

    Wie wird das finanziert? Na wie immer, durch Umverteilung von unten nach oben. Und deshalb soll es jetzt noch schnell durchgemauschelt werden. Manche haben noch immer nicht verstanden, warum die Ampel gescheitert ist.

  • Dem kann ich nur zustimmen!



    Ich hoffe, der kommende Kanzler zeigt ebenfalls die nötige Weitsicht, die er für sein Amt benötigt.

  • Wie kann man nur auf die abstruse Idee kommen, den alten Bundestag abstimmen zu lassen, weil die Zusammensetzung des Neuen nicht passend ist? Das ist eine direkte Missachtung der Wähler.



    Ein Zeitproblem liegt nicht vor, weil die Frist bis zur ersten Sitzung des neuen Bundestages kurz ist. Und erst eine neue Regierung kann das Geld in ihrem Haushalt auch verwenden. Es muss zwar zügig gehandelt werden, aber es besteht wirklich kein Grund zu diebischer Eile.



    Und der Vergleich mit der Entscheidung zum Kosovo ist an den Haaren herbeigezogen. Damals ging es um Tage.

    Übrigens. Wäre es nicht intelligenter, erst mal festzulegen, was gebraucht wird, dann zu schauen was es kostet und zum Schluss Geld bereitzustellen, statt einfach mal festzulegen, eine bestimmte Summe auf den Kopf hauen zu wollen?

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Das Thema brennt auf den Nägeln und der "Alte Bundestag" ist noch zuständig, verantwortlich, nicht zum Däumchendrehen verpflichtet. Das Thema ist außerdem eine Nagelprobe für die zuverlässige Koalitionsfähigkeit der CDSU innerhalb eines zweifelsfrei demokratischen Spektrums im "Neuen Bundestag".

      • @Lichtenhofer:

        Der neue Bundestag muss bis zum 25.03.25 zusammentreten. Steht bis dahin eine Lieferung von 500 Panzern an, die dringend bezahlt werden müssen?

        Die Wähler in D werden mangels Volksabstimmungen nur aller paar Jahre nach ihrer Meinung gefragt. Die aktuelle Meinung wurde am Sonntag abgegeben. Man sollte sie in dieser wichtigen Frage beachten. Auch wenn es wahrscheinlich legal wäre, sie zu ignorieren. Der Schaden für das Vertrauen in unsere Demokratie wäre viel größer, als ein (eigebildeter) Nutzen.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Legal wäre es schon, aber legitim?