Korte zum Niedergang der Linkspartei: „Es geht jetzt um alles oder nichts“

Jan Korte zieht sich als Parlamentarischer Geschäftsführer zurück. Er warnt vor dem Zerfall der Linkspartei – und geht in Sachen Wagenknecht eine Wette ein.

Jan Korte guckt grimmig

Will sich einen proletarischen Cannabis-Club suchen: Jan Korte von der Linken Foto: Christian Spicker/imago

taz: Herr Korte, Sie haben angekündigt, sich aus der Spitze der Linksfraktion zurückzuziehen. Haben Sie die Hoffnung in Ihre Fraktion, in Ihre Partei oder in beide verloren?

Jan Korte: Nichts davon. Keineswegs habe ich meine Hoffnung verloren. Es sind vor allem persönliche Gründe, die mich dazu gebracht haben, etwas kürzer treten zu wollen. Ich merke, dass der Akku leer ist. Vor allem ist die Zeit dafür einfach gekommen.

Mit gerade mal 46 Jahren?

Na ja, ich bin mit 28 Jahren in den Bundestag gekommen, gehöre dem Fraktionsvorstand seit 2009 an und bin seit sechs Jahren erster Parlamentarischer Geschäftsführer, so lange wie keine und keiner aus den anderen Fraktionen. Außerdem ziehe ich mich ja nicht aus der Politik zurück. Selbstverständlich werde ich auch weiter um Die Linke kämpfen. Denn das bin ich der Partei, der ich sehr viel zu verdanken habe, schlicht schuldig.

Aber hat Ihr Rückzug nicht doch auch etwas mit dem traurigen Zustand der Linkspartei im Bundestag zu tun? Schon 2012 beklagte der damalige Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi, in der Fraktion herrsche Hass. Seitdem hat sich die Situation nicht verbessert, sondern verschlechtert.

Dass es Hass in der Linksfraktion gibt, halte ich für Quatsch. Sicher, es gibt Leute, die wünschen sich gegenseitig die Pest an den Hals. Dass es sehr anstrengend ist, äußerst divergierende Strömungen zusammenzuhalten, gebe ich zu. Aber ich halte das immer noch für notwendig.

Sie halten es also auch weiterhin für richtig, dass die Linksfraktion von einem rein machtpolitischen Bündnis des Reformerlagers um Dietmar Bartsch, zu dem auch Sie gezählt werden, mit Sahra Wagenknecht und ihrer Anhängerschaft dominiert wird?

Zum einen, um mal hier ganz offen zu reden, gibt es kein Reformerlager mehr. Das hat sich zerlegt, wie andere Strömungen auch. Zum anderen gibt es in der Fraktion keine Bündnisse mehr. Stattdessen versuchen viele kleine Interessengrüppchen, ihre Latifundien zu sichern. Ich bleibe trotzdem dabei, dass es wichtig ist, die Fraktion zusammenzuhalten. Wenn die Linksfraktion zerfallen sollte, würde das der Linken schwer schaden. Jeder, der damit leichtfertig spielt, der hat zu wenig Ahnung von Politik.

Das Einzige, was noch Konsens in Ihrer Partei zu sein scheint, ist die Feststellung, dass sie sich in einer existenziellen Krise befindet. Sehen Sie da noch irgendeinen Ausweg?

Dass wir in diesem Punkt alle einer Meinung sind, ist doch schon ein Fortschritt. Bei manchen hat es ja etwas gedauert, bis sie das begriffen haben. Wir müssen, bei allen kleinteiligen Auseinandersetzungen, endlich mal im Hinterkopf behalten, dass wir ja aus einem gemeinsamen Grund in diese Partei und in die Fraktion gekommen sind. Weil wir alle, durch die Bank, eine gerechte, bessere Gesellschaft wollen. Weil wir Armut nicht akzeptieren und weil wir die Ausbeuter verabscheuen. Und genau deshalb werden wir auch gebraucht. Tatsächlich geht es jetzt um alles oder nichts. Da darf es keine Illusionen geben.

Und wenn die Linkspartei nun zerfällt?

Dann könnte es die nächsten 15 bis 20 Jahre keine relevante linke Partei mehr geben in diesem Land. Deswegen irritiert es mich, wie einige da mit dem Feuer spielen.

Das scheint aber einen Teil in Ihrer Partei und gerade auch in Ihrer Fraktion wenig zu interessieren. Da wird intensiv über eine konkurrierende Wahlliste zur Europawahl diskutiert.

Das kann ich in keiner Weise nachvollziehen. In dieser Frage bin ich ein totaler Parteidogmatiker: Mit einer Partei, der man alles verdankt, was man ist, sollte man anders umgehen.

Trotzdem verkündet Ihre Fraktionskollegin Wagenknecht, dass mit der Linkspartei nichts mehr anzufangen sei und sie sich bis spätestens Ende des Jahres entscheiden wird, ob sie es wagen will, einen Konkurrenzladen aufzumachen.

Mir geht die permanente Beschäftigung mit Sahra Wagenknecht unendlich auf die Nerven. Es gibt offenbar Leute, die wachen mit dem Bild von ihr auf und gehen mit diesem Bild abends wieder ins Bett. Das hat obsessive Züge, sowohl auf der einen Seite bei jenen, die sie für Gott halten, aber auch auf der anderen, die sie für den Teufel hält.

Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass ausgerechnet die prominenteste Linken-Politikerin nicht nur Ihre Partei permanent schlechtredet, sondern eben auch öffentlich die Gründung einer neuen Partei anvisiert.

Ich gehe davon aus, dass sie das nicht tun wird.

Dann lassen Sie uns doch eine Wette abschließen: um eine Flasche Champagner oder eine Kiste Bier?

geboren 1977 in Osnabrück, sitzt seit 2005 für die Linke im Bundestag. Seit 2017 ist er erster Parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion.

Die Kiste Bier natürlich.

Auf ihrem Höhepunkt 2009 hatte die Linkspartei mehr als 78.000 Mitglieder und kam bei der Bundestagswahl auf 11,9 Prozent. Heute sind es nur noch um die 50.000 Mitglieder und nicht einmal mehr 5 Prozent. Wie erklären Sie sich diesen Niedergang?

Ich glaube, dass bereits 2009 die ersten Fehler gemacht wurden. Wir konnten Rekordergebnisse bei Arbeitern und Arbeitslosen erzielen, weil wir für sie die Lücke füllten, die die SPD durch ihren neoliberalen Kurs unter Schröder und Müntefering …

Stichwort Agenda 2010.

… geöffnet hat. Doch dabei waren wir vor allem eine Projektionsfläche. In der Praxis wurden unsere Diskussionen zunehmend abgehoben und ritualisiert. Die Lebensrealität derjenigen, als deren Vertretung wir uns sahen, geriet zunehmend aus dem Blick. Damit verbunden waren wir in der Folgezeit nicht in der Lage, adäquat zu analysieren, wie die Gesellschaft und übrigens auch die Produktionsverhältnisse sich verändert haben. Die Vorstellung davon, was Rolle und Aufgabe der Linken sein sollte, ist heute verschwommen und widersprüchlich. Wir haben ein inhaltliches Problem, wir haben ein strategisches Problem und wir haben ein Funktionsproblem. In der Summe ist das natürlich eine harte Nuss.

Woran liegt das?

Wir sind damals auf einer Erfolgswelle geschwommen und haben gedacht, wir könnten einfach immer so weitermachen. Dabei haben wir nicht erkannt, wie fragil diese Partei eigentlich ist, die sich ja aus Menschen zusammensetzt, die aus unterschiedlichen linken Traditionen und Vorstellungswelten kommen. Der Glaube, das wird schon so einfach zusammenwachsen, war zu naiv.

Mit einem Wahlerfolg nach dem nächsten war es ab dem Jahr 2011 auch vorbei …

… dann brachen unsere inneren Widersprüche auf. Auf die Grundsatzfrage, wofür diese Partei eigentlich da ist, haben wir keine gemeinsame Antwort mehr gefunden. Es ist eine alte Krankheit: Je schwächer die Linke ist, umso mehr beharkt sie sich in Grabenkämpfen. Mittlerweile haben unsere Diskussionen einen pathologischen Zustand erreicht. Es gibt bisweilen eine Verkommenheit im Umgang miteinander, die ich nicht für möglich gehalten habe. Ich finde zum Beispiel die öffentlichen Angriffe auf Janine Wissler, Martin Schirdewan und Dietmar Bartsch unterirdisch, genauso, wie ich es daneben finde, Sahra Wagenknecht in die rechte Ecke zu stellen. Da ist einigen jedes Maß verloren gegangen.

Bartsch und Gysi haben gerade einen Aufruf veröffentlicht, in dem sie zu Selbstbeherrschung und Selbstdisziplin aufrufen. Meinen Sie, dass Durchhalteparolen reichen?

Ich finde nicht, dass da nur Durchhalteparolen drinstehen. Es gibt in dem Aufruf keinen Satz, den ich nicht unterschreiben würde.

Na ja, es ist eine Ansammlung von Allgemeinplätzen.

Meinetwegen. Aber es ist eine Ansammlung von richtigen Allgemeinplätzen, gegen die ich nichts sagen kann. Die Frage ist: Was machen wir daraus?

Was ist Ihre Antwort?

Wider allen Abgesängen werden die beiden Kreisstädte in meinem Wahlkreis jetzt von linken Oberbürgermeisterinnen regiert. Im Oktober 2021 hat Silvia Ristow in Bernburg die Stichwahl gewonnen, Mitte März dieses Jahres Christina Buchheim in Köthen, jeweils mit deutlichem Vorsprung. Die Linke kann also gewinnen – wenn es ihr gelingt, die Menschen mit ihren Sorgen und Nöten ernst zu nehmen, sie ganz konkret und nicht von oben herab belehrend anzusprechen. Daraus Schlussfolgerungen zu ziehen, das würde ich mir wünschen.

Und die wären?

Wir müssen aufhören, uns selbst ideologisch in die eine oder andere Richtung zu verengen. Die Linke muss wieder für all jene attraktiv werden, die unter den ungerechten gesellschaftlichen Verhältnissen in Deutschland leiden.

Nämlich?

Für die Malocherin in Bitterfeld, die Angst hat, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, für die von Grundsicherung lebende Familie in Bremerhaven, die nicht weiß, wie sie über die Runden kommen soll – und selbstverständlich auch für den Studierenden in Berlin, der sich bei Fridays for Future engagiert oder für die Rettung von Geflüchteten einsetzt. Wie das gelingen kann, demonstriert gerade Jean-Luc Mélenchon in Frankreich, von dem wir viel lernen könnten. Wir dürfen Milieus nicht gegeneinander ausspielen – und schon gar nicht aus der Partei heraus beschimpfen.

Um doch noch einmal auf sie zurückzukommen: Sahra Wagenknecht orientiert sich lieber an Vorbildern wie der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen oder dem burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil aus Österreich, zwei rechten Sozialdemokrat:innen, die eine sozialpaternalistische Politik mit gesellschaftspolitisch rechtsoffenen Positionen verbinden.

Darin sehe ich keine Perspektive für eine linke Partei. Wer einen linksliberalen Kurs fährt, der die soziale Frage ignoriert, endet letztendlich irgendwann im Hintern der Herrschenden, davon bin ich auch nicht überzeugt. Warum aber eine Politik für die ganz unten verbunden werden muss mit dem Reflex, den Einsatz für Menschen- und Bürgerrechte oder gegen den menschengemachten Klimawandel als Lifestylezeugs abzutun, leuchtet mir nicht ein.

Russlands Überfall auf die Ukraine hat die Gräben entscheidend vertieft. Selbstverständliches scheint für Teile Ihrer Partei nicht selbstverständlich zu sein, etwa die Forderung nach dem Rückzug der russischen Truppen. Wie ist das möglich?

Es ist völlig unumstritten in der Partei, dass Russland die Ukraine angegriffen hat, also wer Aggressor und wer Opfer ist. Daher kann und will ich mir nicht vorstellen, dass irgendwer bei uns nicht will, dass die russischen Truppen nicht schnell wieder abziehen. Dass dieser fürchterliche Krieg bei uns und in der Friedensbewegung aber zu heftigen Diskussionen führt, ist logisch.

Was ist die linke Antwort?

Selbstverständlich müssen wir Positionen korrigieren, allerdings ohne zu Renegaten zu werden. Auch wenn ich Russland scharf verurteile, ist das doch kein Grund, plötzlich die Nato toll zu finden. Und wenn ich höre, wie diffamierend bei den Grünen und großen Teilen der SPD jetzt über Brandts Entspannungspolitik gesprochen wird, da kotze ich im Strahl. Auch halte ich es weiter für völlig falsch, die Bundeswehr hochzurüsten. Da bin ich froh, dass es noch eine Partei im Bundestag gibt, die diesen Wahnsinn nicht mitmacht.

Haben Sie schon darüber nachgedacht, wie Sie die gewonnene Zeit nach Ihrem Ausscheiden aus der Fraktionsspitze nutzen wollen?

Aber ja! Zum einen freue ich mich darauf, dass ich bald mehr Zeit habe, um angeln zu gehen. Und außerdem will ich mir einen proletarischen Cannabis-Club suchen.

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