Angekündigter Abschied: Wagenknechts Zeitspiel

Die Linke sollte sich nicht von Sahra Wagenknecht auf der Nase herumtanzen lassen. Ein Bruch ist unausweichlich – und zwar jetzt.

Sahra Wagenknecht spricht vor einer Menschenmenge, von hinten fotografiert

Sahra Wagenknecht auf der Friedensdemo in Berlin am 25. Februar Foto: Christian Mang / Reuters

Das ist die vielleicht letzte Chance für die Linke: Sahra Wagenknecht hat öffentlich eine erneute Kandidatur für die Partei ausgeschlossen. Jetzt dürfte selbst der allzu lang aussichtslos um eine Verständigung bemühte Gregor Gysi erkennen, dass die Brücke zu ihr und ihrer Anhängerschaft längst eingestürzt ist.

Kann die Linke ohne Wagenknecht? Auf jeden Fall kann sie längst nicht mehr mit ihr. Jeder Tag, an dem die Partei nicht offensiv den Bruch mit der in trüben Gewässern fischenden Populistin und ihrem zerstörerisch wirkenden Anhang vollzieht, bringt sie dem Abgrund einen Schritt näher. Schon jetzt hat die Partei viele Mitglieder verloren, die dringend gebraucht würden für eine emanzipatorische Linke. Fehlt den Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan weiterhin die Kraft und den Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali die Einsicht für den notwendigen Bruch, wird sich der Aderlass ungebremst fortsetzen.

Wagenknecht hat die Zeit, die die Partei nicht hat. Je mehr sich die Linke an ihr zerreibt, desto besser steht es um die Chancen für ihr eigenes politisches Projekt, über das sie und ihre Vertrauten hinter den Kulissen schon lange intensiv diskutieren: ein Wahlbündnis zur Europawahl im Frühjahr 2024, das – gefüttert mit Stimmen aus der bisherigen Linken- und AfD-Wähler:innenschaft sowie dem „Querdenker“-Milieu – der Startschuss für eine neue Partei sein soll. Um eine solche Konkurrenzkandidatur zu realisieren, kann Wagenknecht noch mindestens bis zum späten Herbst mit ihrem Austritt aus der Linken warten.

Ob eine „Liste Wagenknecht“ Erfolg haben wird, ist mehr als fraglich, zu disparat ist das Spektrum, das sich in ihr zusammenfinden würde. Wahrscheinlicher ist, dass es ihr ähnlich ergehen wird wie einst der Piratenpartei. Aber um die Linke ins außerparlamentarische Nirwana zu befördern, dafür könnte es reichen. Will sie noch eine Aussicht haben, die unabwendbare Spaltung zu überleben, darf die Linkspartei Wagenknecht nicht weiter das Gesetz des Handelns überlassen.

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Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Mehrere Buchveröffentlichungen (u.a. „Endstation Rücktritt!? Warum deutsche Politiker einpacken“, Bouvier Verlag, 2011). Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft.

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