Krise der Linkspartei: Was würde Rosa tun?

Die Linkspartei könnte nun endgültig vor der Spaltung stehen. Gerade auch im Osten zerreißt die Partei der Streit um den russischen Angriffskrieg.

Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde

Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde Foto: K.M.Krause/snapshot-photography/imago

Am Sonntagvormittag ist es wieder so weit. Mit großen Kränzen und ernsten Mienen werden Janine Wissler und Martin Schirdewan zur Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Berlin ziehen, um still Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu gedenken. Das Vorsitzendenduo der Linkspartei wird dann auf die große Stele in der Mitte der Gedenkstätte blicken. „Die Toten mahnen uns“ steht darauf. Nur: wozu?

Die Linkspartei steht vor einem Entscheidungsjahr. Ob ihr dabei die Erinnerung an die am 15. Januar 1919 ermordeten linken Säulenheiligen helfen kann? Schaden kann der Augenblick der Besinnung sicher nicht.

Wenn er nicht zu lang dauert. Denn etwa eine Stunde nach dem stillen Gedenken trifft die übliche Luxemburg-Liebknecht-Demonstration diverser linker Gruppen und Grüppchen mit ihren roten Fahnen und eigentümlichen Parolen ein. Anders als so manches Parteimitglied hält sich die Linken-Führung davon aus gutem Grund traditionell lieber fern. Selbst das linke Gedenken ist gespalten.

Der Parteivorsitzende gibt sich optimistisch

Über Spaltungen möchte Martin Schirdewan aber nicht so gerne reden, auch das Wort Krise benutzt er im Zusammenhang mit seiner Partei nur ungern. Stattdessen spricht er davon, dass sie sich „im Umbruch“ befände. „Aber die letzten Monate haben trotz aller Schwierigkeiten gezeigt, dass es eine stabile Basis für eine Linke auf der Höhe der Zeit gibt“, übt sich der 47-Jährige in Zweckoptimismus. „Wir waren Motor für Verbesserungen für alle Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen.“

So habe seine Partei Druck gemacht für die Gas- und Strompreisbremse, die Besteuerung von Krisengewinnen und die Abschaffung der ungerechten Gasumlage. Damit habe sie doch ihren „praktischen Gebrauchswert“ bewiesen, findet er. An den Umfragewerten ist allerdings nicht abzulesen, dass das bei potenziellen Wäh­le­r:in­nen angekommen wäre.

Denn da ist ja noch dieses blöde Problem mit Sahra Wagenknecht. Was soll die Partei bloß mit ihr anfangen? Und will sie überhaupt noch etwas mit ihr anfangen? Darüber gehen die Meinungen stark auseinander.

Im Karl-Liebknecht-Haus, der Berliner Parteizentrale, ist man Wagenknechts permanenter Querschüsse längst überdrüssig, nicht wenige würden sie lieber heute als morgen los sein. Die Führung der Bundestagsfraktion sieht das aber völlig anders. Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali wollen sie auf Biegen und Brechen halten.

Parteivorsitzende Martin Schirdewan und Janine Wissler

Linken-Parteivorsitzende Martin Schirdewan und Janine Wissler Foto: Martin Schutt/dpa/picture alliance

Dabei haben sie mit Gregor Gysi einen starken Verbündeten. Intensiv bemüht sich Gysi, der am Montag 75 Jahre alt wird, derzeit, zu kitten, was nicht mehr zu kitten ist. So bastelt er seit Wochen an einem „Konsenspapier“, unter das er die Unterschriften sowohl der Partei- und Fraktionsvorsitzenden als auch von Wagenknecht bekommen will. Doch nach dem, was zu hören ist, stehen die Chancen auf Versöhnung schlecht. Was unter anderem daran liegt, dass Wagenknecht ein eindeutiges Bekenntnis zur Linkspartei ablehnt.

Zerreißprobe Ukrainekrieg

Das Bemühen Gysis, Wagenknecht per Formelkompromiss wieder zu integrieren, hat auch damit zu tun, dass der Überfall Russlands auf die Ukraine die Partei vor eine für ihn auch persönlich schwierige Zerreißprobe stellt. Gysi muss beobachten, dass ausgerechnet etliche „Reformer“, mit denen er im Osten nach dem Zusammenbruch der DDR die PDS aufgebaut hat, sich von der Linkspartei aufgrund deren vermeintlich zu kritischer Haltung gegenüber Russland entfremden. Wagenknecht spricht ihnen dagegen aus dem Herzen.

Ein anschauliches Beispiel dafür liefern die Auseinandersetzungen in Potsdam. In der rot-rot-grün regierten brandenburgischen Landeshauptstadt hat sich die Stadtratsfraktion der Linken gespalten, nachdem im September vergangenen Jahres ein Linken-Abgeordneter für einen Antrag der AfD zur Öffnung der Gaspipeline „Nord Stream 2“ gestimmt hatte.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Gegen den Willen des Kreisvorstandes beschloss eine Mitgliederversammlung Ende November mit knapper Mehrheit, dass die Partei nun mit beiden Fraktionen zusammenarbeiten solle. Das verdankte sich der Mobilisierung Altvorderer wie Heinz Vietze, letzter Erster Sekretär der SED-Bezirksleitung Potsdam und ein enger Vertrauter Gysis, und Rolf Kutzmutz, letzter Erster Sekretär der SED-Kreisleitung Potsdam und früherer PDS-Bundesgeschäftsführer.

Der Versuch, auch noch in einem Leitantrag die Formulierung „völkerrechtswidriger russischer Angriffskrieg“ durch ein bloßes „Krieg in der Ukraine“ zu ersetzen, scheiterte nur knapp mit 46 gegen 61 Stimmen.

„Moralische und politische Grenzen“ überschritten

Russlands Krieg eindeutig zu verurteilen, fällt vielen alten Ge­nos­s:in­nen schwer. Offenkundig wirkt noch die alte Verbundenheit aus Sowjet­zeiten. Für viele jüngere Mitglieder ist das nur schwer erträglich. So trat in der vergangenen Woche mit Marlen Block, Jahrgang 1980, eine der beiden Potsdamer Kreisvorsitzenden zurück. Sie sehe ihre „moralischen und politischen Grenzen“ in einem Maße überschritten, „dass der Rücktritt als Vorsitzende für mich alternativlos ist“, erklärte sie.

Im Karl-Liebknecht-Haus wird am Sonntagnachmittag eine Ausstellung eröffnet. Es geht um das Wirken des Namenspatrons in seinem Wahlkreis Potsdam-Spandau-Osthavelland. Liebknecht war der erste Linke, der 1912 in dem sogenannten Kaiserwahlkreis in den Reichstag gewählt wurde. Was waren das noch für schöne Zeiten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.