Kopftuchverbot in Österreich: Regierung zielt auf muslimische Mädchen ab
Ein neues Gesetz verbietet muslimischen Mädchen unter 14 Jahren, im Unterricht ein Kopftuch zu tragen. Expert:innen äußern Bedenken.
In Österreichs Schulen herrscht ab dem kommenden Schuljahr ein Kopftuchverbot für Unter-14-Jährige, also in den ersten acht Klassenstufen. Dies hat die parlamentarische Regierungsmehrheit von ÖVP, SPÖ und liberalen Neos beschlossen. Auch die rechtsradikale FPÖ stimmte am Freitag im Nationalrat für das Verbot.
Ein derartiges Kopftuchverbot gab es bereits unter der türkis-blauen Regierung von Sebastian Kurz. Dieses wurde jedoch 2020 vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben, weil es gegen den Gleichheitsgrundsatz und die Religionsfreiheit verstieß. Ungeachtet dessen sah auch die aktuelle Dreierkoalition ein Kopftuchverbot bereits in ihrem Regierungsprogramm vor – offenbar in der Erwartung, diesmal im Rahmen der Verfassung zu bleiben. Expert:innen und NGOs bezweifeln dies.
Im Gesetzstext wird mit der „bestmöglichen Entwicklung und Entfaltung im Sinne des Kindeswohls“ sowie mit „Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und Sichtbarkeit von Mädchen“ argumentiert. Das Tragen eines „Kopftuchs, welches das Haupt nach islamischen Traditionen verhüllt“, ist damit im Unterricht verboten. Die Erziehungsberechtigten werden verpflichtet, für die Einhaltung des Verbots zu sorgen.
Bei einmaligem Verstoß ist die Schulleitung oder eine sie vertretende Lehrperson verpflichtet, ein Gespräch mit der Schülerin und einem Erziehungsberechtigten zu führen. Kommt es zu einem erneuten Verstoß, muss die Schulbehörde verständigt werden. Bei weiteren Verstößen muss auch die Kinder- und Jugendhilfe hinzugezogen werden. Dann werden auch Strafen von 150 bis 800 Euro fällig.
Nicht weit genug
Das Kopftuch sei „kein reines Stück Stoff, sondern ein Zeichen der Unterdrückung“, sagte Integrationsministerin Claudia Plakolm (ÖVP). Zu möglichen Gründen, ein Kopftuch freiwillig zu tragen, sagte sie nichts. Dem Neos-Fraktionschef Yannick Shatty zufolge geht es nicht um eine Einschränkung, sondern um den Schutz der Freiheit von Mädchen bis 14 Jahren. Von Neos und Sozialdemokraten wurde auf begleitende Maßnahmen etwa zur Aufklärung über das Verbot verwiesen.
Einzig die Grünen stimmten gegen das Gesetz. Sie sehen zwar Handlungsbedarf, halten die nun beschlossene Regelung aber für nicht verfassungskonform. Der FPÖ wiederum ging das Vorhaben nicht weit genug. Sie ließ im Nationalrat auch über ein Verbot „für das gesamte schulische Personal, insbesondere Lehrerinnen“, abstimmen. Ein solches fand jedoch keine Mehrheit.
Expert:innen kritisieren das neue Gesetz. Amnesty International sieht den Grundsatz der Nichtdiskriminierung verletzt, weil sich das Gesetz nur gegen eine bestimmte Personengruppe richtet. Amnesty begrüße zwar grundsätzlich Maßnahmen zur Förderung von Selbstbestimmung und Gleichberechtigung. Mit einem Kopftuchverbot, das selbst diskriminierend sei, werde das aber nicht gelingen.
Der falsche Weg
Kopftuchtragenden Mädchen werde das Signal vermittelt, dass über ihren Körper verfügt werde, sagte Angelika Atzinger, Vorstandsmitglied des Netzwerks österreichischer Frauen- und Mädchenberatungsstellen, gegenüber der Hilfsorganisation SOS Mitmensch. „Sie erleben, dass das Kopftuch verboten, andere religiöse Symbole aber erlaubt sind“, sagt Atzinger. „Für jene, die tatsächlich Zwang erleben, wird das keine Probleme lösen.“
Auch SOS Mitmensch kritisiert das Gesetz und verweist auf bereits bestehende Ansätze, die Selbstbestimmung von Mädchen zu fördern und patriarchalen Rollenverständnissen entgegenzuwirken. Dazu gehörten in den Schulen etwa soziale Lernwochen sowie Konfliktbearbeitung im Rahmen des Unterrichts. Ein Kopftuchverbot sei aber der falsche Weg.
Kritik kam auch von der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ): „Kein Kind darf zum Kopftuch gedrängt werden, das ist für uns unverrückbar. Aber ebenso darf kein Kind durch staatliche Verbote daran gehindert werden, seine religiöse Identität freiwillig zu leben.“ Die IGGÖ kündigte eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof an.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert