Kommentar Sahra Wagenknecht: Pelzkragen und Neonweste

Wagenknecht präsentiert sich in einem Video vor dem Kanzleramt als Erlöserin der Unterdrückten. Dabei ist sie seit Jahren Teil der politischen Klasse.

Frauen und Männer in gelben Warnwesten

Proteste wie in Frankreich wünscht sich Sahra Wagenknecht auch in Deutschland Foto: dpa

Nein, Sahra Wagenknecht wartet nicht auf den ADAC-Pannendienst. Die Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag ist in eine neongelbe Warnweste geschlüpft, um vor dem Berliner Kanzleramt für die Sammlungsbewegung Aufstehen zu werben.

Den Pelzkragen ihres Mantels bis dicht unters Kinn gezogen, fordert Wagenknecht in einem 75-Sekunden-Clip zur Revolte auf. Gegen die „Regierung der Reichen, die Politik der Reichen“ müsse es – so wie bei der französischen Gelbwesten-Bewegung – „auch in Deutschland mehr Widerstand geben“, sagt Wagenknecht. In Frankreich protestieren seit Mitte November Zehntausende Menschen gegen die Reformpolitik von Präsident Macron. Mehrfach kam es zu gewalttätigen, auch rechtsgerichteten Ausschreitungen.

Der Clip ist insoweit bemerkenswert, als Sahra Wagenknecht nun wirklich nicht der außerparlamentarischen Opposition zuzurechnen ist. Im Gegenteil, sie ist alles andere als abgehängt. Als gutbestallte Bundestagsabgeordnete und Chefin ihrer 64-köpfigen Fraktion ist sie Teil der politischen Klasse dieses Landes.

Das muss nicht bedeuten, dass man das reale soziale Ungleichgewicht nicht ansprechen dürfte; als Oppositionspolitikerin ist es Wagenknechts Job, die herrschenden Verhältnisse zu kritisieren. Aber Wagenknecht versucht hier den Eindruck zu erwecken, als stünde der Sturm aufs Winterpalais wie anno 1917 unmittelbar bevor, mit ihr als Erlöserin der unterdrückten Klasse.

Die Realität ist weitaus banaler. Sahra Wagenknechts Aufstehen-Engagement ist gar nicht weit entfernt von dem Ansatz jener Frau, vor deren Amtssitz sie sich filmen lässt. Ob Wagenknecht oder Merkel: Beide sind auf der Suche nach Mehrheiten. Die beiden Frauen unterscheidet aber, dass nur eine von ihnen die politische Macht hat. Sahra Wagenknecht ist es nicht. Die ist nach Abschluss der Dreharbeiten in ihre Villa im Saarland abgereist, die Neonweste hat sie womöglich ihrem Fahrer zurückgegeben.

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1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

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