Kommentar G20-Prozesse in Hamburg: Bluten für die anderen
Wegen einer Taucherbrille verurteilt: Die Strafen für zwei Menschen, die am Rand der G20-Krawalle festgenommen wurden, sind lächerlich.

E ine „harte Bestrafung der Täter“, die an den Ausschreitungen zum G20-Protest Schuld sind, hat Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) gleich mehrfach öffentlich gefordert. Jetzt bekommt er sie: Die Gerichte liefern wie bestellt. Die beiden Haftstrafen, die bei den Verfahren gegen G20-Gegner am Montag und Dienstag verhängt wurden, sollen Exempel statuieren: „Wer sich an den Ausschreitungen beteiligt hat, geht in den Knast.“
Dabei haben sich die beiden Verurteilten, der 21-jährige Peike S. und der 24-jährige Stanislaw B., wahrscheinlich gar nicht an den Ausschreitungen beteiligt. S. sogar ganz sicher nicht – er wurde am Donnerstagabend festgenommen, saß also in Untersuchungshaft, als es zu den Krawallen im Schanzenviertel kam. Trotzdem wurde er explizit für die „bürgerkriegsähnlichen Zustände“ verantwortlich gemacht, die er aus der U-Haft verfolgen konnte. Das ist Hohn und Spott für ein Justizsystem, das individuelle Strafen für individuell nachweisbare Taten zur Prämisse hat.
B. könnte theoretisch dabei gewesen sein – nur gibt es dafür keine Indizien. Ihm wird etwas ganz anderes zur Last gelegt: Er wurde mehr als eine Stunde vor Beginn der friedlichen Großdemo „Grenzenlose Solidarität“ in 2,4 Kilometer Entfernung vom Startpunkt festgenommen, weil er Sachen dabei hatte, die man auf einer Demo nicht dabei haben darf: Pfefferspray, Böller und eine Taucherbrille. Das ist ein lächerlicher Vorwurf für eine Haftstrafe.
Die Richter argumentierten jedoch in beiden Fällen, man müsse den „generalpräventiven Aspekt“ bedenken. Das heißt: Man muss Leute abschrecken, Straftaten zu begehen. Sie geben damit zu, dass das Gericht die Freiheit zweier Menschen opfert, um andere zu belehren. Wie kann das mit dem Rechtsstaat vereinbar sein?
Hier werden Menschen in Sippenhaft genommen, indem sie für etwas bestraft werden, das andere getan haben. Die Richter nehmen, was sie kriegen können. Die, die randaliert haben, hat die Polizei nicht gekriegt. Für dieses Versagen müssen jetzt andere bluten.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!