Kolumne Habibitus: Ich bin einfach nur sauer
Weil ich ein explizites Gedicht geteilt habe, wurde ich 24 Stunden bei Facebook gesperrt. Das ist nicht nur nervig – es offenbart auch Strukturen.
W ährend mein USB-Ventilator mir durch die stickige Büroluft eine sanfte Brise zuweht, mein Rücken bereits nass geschwitzt ist und der Baulärm ein Übriges tut, um meine Nerven zu strapazieren, scrolle ich wie ein Phantom meine Facebook-Timeline herunter. Alle Beiträge sind schon einige Stunden alt. Jedes Mal, wenn ich einen Beitrag kommentieren oder selbst liken will, erscheint eine Fehlermeldung.
Facebook hat mich für 24 Stunden vom Veröffentlichen geblockt. Sozusagen auf die Stille Treppe™ gesetzt. Die temporäre Sperrung ist einem meiner Jobs geschuldet: Als Redakteur_in beim Missy Magazine veröffentlichte ich auf der Seite der Publikation eine Kolumne unserer Autorin Sibel Schick, die auch für die taz schreibt.
Dieses Mal schickte sie uns ein Gedicht mit dem Titel „Männer sind Arschlöcher“. Sie beschreibt darin das Dilemma, dass es wenig nützt, einzelne Cis-Männer sympathisch, solidarisch oder süß zu finden, weil ihr Arschlochsein strukturell bedingt sei. Das macht Sinn. Ich sag’s mal, wie es ist: So wie Almans zu rücksichtslosen Kröten erzogen werden, ist die Rolle von Männern im Patriarchat klar definiert und das Verhalten entsprechend. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Dass dieses Gedicht provoziert und polarisiert, ist klar. Niemand möchte aufgrund seines Geschlechts als Arschloch bezeichnet werden. Dann wiederum würde auch niemand behaupten, gerne an die eigene Familiengeschichte der (Mit-)Täter_innenschaft erinnert zu werden. Weil die Konfrontation mit der Realität schmerzhaft sein kann.
Eine durch unterdrückende Strukturen geformte Welt
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Machtposition ist immer ein anstrengender Prozess, aber auch ein notwendiger. Sex ist ganz cool und so, aber hast du schon mal verlernt, eine rücksichtslose Kröte oder ein Arschloch zu sein?
Es nervt, keine Freund_innen unter „Almans hassen diesen Trick“-Memes taggen, keine Selfies liken und vor allem meinen Job nicht machen zu können. Aber wisst ihr, was noch mehr nervt? Dass ein Beitrag, der nicht einmal sexistisch ist, von Facebook gelöscht wird, ein Haufen antisemitischer, rassistischer, völkischer, homofeindlicher, transfeindlicher, sexistischer und anderweitig menschenfeindlicher Beiträge aber nicht.
Die Hassprediger_innen von der Bild dürfen ihre ekelhaften Artikel verbreiten, ein polemisches Gedicht über Männer im Missy Magazine wird jedoch zensiert. Auf der von Facebook eingekauften App Instagram wird die Abbildung eines Nippels, der keinem Cis-Mann zugeschrieben wird, schneller gelöscht als die eines Hakenkreuzes.
Leider ist das genau die Welt, wie sie durch unterdrückende Strukturen geformt wird. Deshalb ist das Gejammer von Menschen, die von Antisemitismus, Rassismus und Sexismus profitieren, in Debatten um #MeTwo und #MeToo manchmal lauter als die Stimmen der Betroffenen. Ich bin nicht sauer auf Sibel Schick oder das Missy Magazine, sondern auf Facebook. Ich würde das Gedicht immer wieder teilen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?