Koalition streitet über Autobahnbau: Ampel kracht aufeinander
Der Verkehrsbereich liefert nicht beim Klimaschutz. Die FDP will nun aber schnellere Planungen für Autobahnen durchdrücken. Die Grünen sind dagegen.
Darum geht es: Wissing will, dass künftig der Bau und die Sanierung von Autobahnen, für die ein vordringlicher Bedarf festgestellt ist, im „überragenden öffentlichen Interesse“ liegt. Das soll Genehmigungsverfahren beschleunigen und Gerichtsverfahren erleichtern.
Ein überragendes öffentliches Interesse gilt bereits für den Bau von Windrädern und Solaranlagen. Und im politischen Berlin ist in diesen Tagen oft von mehr „LNG-Tempo“ die Rede: Neue Terminals für Flüssigerdgas (LNG) im Norden waren in weniger als einem Jahr gebaut worden, Grund war auch ein Verzicht auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung.
Wissing will wesentliche Elemente des LNG-Beschleunigungsgesetzes aufgreifen, wie es im Entwurf heißt. Eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur sei für die Wirtschaftskraft und damit verbunden für Wachstum und Wohlstand von grundsätzlicher Bedeutung. Im Ministerium heißt es, der Straßenverkehr werde laut Prognosen zunehmen, Staus sollen verringert werden. Dabei geht es dem Minister vor allem um Nadelöhre im Netz.
Automobilindustrie macht Druck
„Die Koalition muss den Hebel bei den Infrastrukturvorhaben umlegen“, sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr. „Das gilt für erneuerbare Energien, für den Ausbau der Schiene, aber eben auch für Autobahnen.“ Fraktionsvize Carina Konrad sagte, die bröckelnde Infrastruktur führe zu immer größeren Einschränkungen in der Mobilität der Bürger und zu einer Schwächung des Wirtschaftsstandorts Deutschland.
Auch die Automobilindustrie macht Druck. „Um ein attraktiver Investitions-, Innovations- und Produktionsstandort zu bleiben, ist eine ausgezeichnete analoge und digitale Infrastruktur Grundvoraussetzung“, betonte die Präsidentin des Branchenverbandes VDA, Hildegard Müller. Sie forderte dafür „maximal beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren“.
Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hat nichts gegen eine notwendige Sanierung vor allem von Brücken. Der Erhalt von Biotopen und Ökosystemen aber dürfe nicht zurücktreten gegenüber dem Straßenbau. Lemke aber verweist darauf, dass das Kabinett im Juni beschlossen habe, bei Beschleunigungsmaßnahmen zentraler Vorhaben müssten Projekte im Fokus stehen, die dem Klimaschutz dienen: „Der Neu- und Ausbau von Autobahnen, Straßen oder Wasserstraßen gehört nicht in diese Kategorie. Neue Autobahnen dienen nicht der Erreichung der Klimaziele, das Gegenteil ist der Fall.“
Grünen-Chefin Ricarda Lang monierte, im Verkehrssektor klaffe bei der Erreichung der Klimaziele eine riesige Lücke. „Statt über weitere klimaschädliche Maßnahmen, etwa die Beschleunigung von Autobahnneubauten zu spekulieren, braucht es jetzt dringend einen Plan, wie der Verkehr seine Klimaziele erreicht“, forderte Lang in der Süddeutschen Zeitung (Donnerstag) in Richtung Wissing. Der Grünen-Verkehrspolitiker Stefan Gelbhaar sagte, für die Elektrifizierung der Schiene oder den Bau von Windkraftanlagen sei eine Privilegierung im Umwelt- und Naturschutzrecht im Koalitionsvertrag vorgesehen. „Eine solche Privilegierung ist für klima- und umweltschädliche Projekte wie Autobahnen weder sinnvoll noch vereinbart.“
Scholz hält sich zurück
Und der Kanzler? Olaf Scholz (SPD) hielt sich in dem Streit bisher öffentlich zurück. Bei einer Befragung im Bundestag am Mittwoch sagte er, man wolle generell, etwa auch wenn es Verkehrsleistungen betreffe, zu weiteren Beschleunigungen kommen. „Da sind wir hart dran, da zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen.“
Die Industrie mahnt mehr Tempo an. Mit Blick auf die LNG-Terminals sagte die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverband der Deutschen Industrie, Tanja Gönner, das vom Kanzler propagierte „Deutschland-Tempo“ müsse genauso für industrielle Anlagen sowie die Verkehrs- und Digitalinfrastruktur zum Einsatz kommen. Unions-Fraktionsvize Ulrich Lange schrieb in einem Brief an Lemke, er beobachte die „Blockade“ wichtiger Vorhaben mit großer Besorgnis. Es seien auch Straßen mit ausreichender Kapazität und in einem guten Zustand nötig.
Umweltverbände dagegen warnen. Der Präsident des Naturschutzbunds Nabu, Jörg-Andreas Krüger, sagte: „Es darf keine Carte blanche für einen schnelleren Neubau von Autobahnen geben.“ Der Nabu erwarte von den Grünen einen Fokus auf Klimaschutz und Biodiversität. „Alles andere wäre eine massive Enttäuschung und eine Neujustierung der Grünen-Politik.“
Im Verkehrsbereich gebe es eine desaströse CO2-Bilanz. Wissing habe bisher keine wirksamen Maßnahmen vorgelegt. „Wir halten eine Priorisierung des Autobahnneubaus für grundfalsch.“ Der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege, sagte: „Mehr Platz für Personen und Güter auf der Schiene, das ist im überragenden öffentlichen Interesse – und nicht neue Autobahnen.“ BUND-Geschäftsführerin Antje von Broock sagte: „Mit dem absurden Vorschlag, den Neu- und Ausbau von Autobahnen zu beschleunigen und ihn zum überragenden öffentlichen Interesse zu erklären, startet die FDP einen weiteren Großangriff auf den Klimaschutz.“
Beim Klimaschutz sucht die Ampel seit Monaten vergeblich nach einer Lösung, wie ein im Koalitionsvertrag angekündigtes Klimaschutzsofortprogramm auf den Weg gebracht werden kann. Hauptknackpunkt ist der Verkehrsbereich. Die Grünen wollen unter anderem den Abbau umweltschädlicher Subventionen und ein Tempolimit auf Autobahnen – beißen damit aber bei der FDP auf Granit. Umstritten sind auch Pläne Lemkes zum Agrosprit: Sie will bis zum Jahr 2030 einen schrittweisen Verzicht von Agrokraftstoffen, die aus Pflanzen für Nahrungsmittel und Tierfutter gewonnen werden.
Im Vorfeld des Koalitionsausschusses war hinter den Kulissen von einem Gesamtpaket die Rede. Als eine mögliche Kompromisslinie bei schnelleren Planungsverfahren für Autobahnen gilt: Die Koalition könnte sich auf einige ausgewählte, dringliche Projekte verständigen. Klar scheint außerdem, dass es für die Sanierung des maroden Bahnnetzes deutlich mehr Geld gibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Social-Media-Verbot für Jugendliche
Generation Gammelhirn