Klima-Urteil des OLG Hamm: RWE ist weltweit mitverantwortlich
Ein peruanischer Bergbauer klagt gegen den deutschen Energiekonzern und erreicht ein spektakuläres Urteil. Ihm persönlich nützt es jedoch nichts.

Saúl Luciano Lliuya hatte mit Unterstützung der deutschen NGO Germanwatch bereits 2015 Klage gegen den Energiekonzern RWE erhoben, der einer der weltgrößten CO₂-Emittenten ist. Er sah sein Haus in Huaraz unterhalb eines peruanischen Gletschersees durch eine Flutwelle bedroht, falls die Gletscher im Zuge des Klimawandels weiter schmelzen und sich große Felsblöcke lösen. Seine Forderung: RWE solle 0,47 Prozent der Kosten von Schutzmaßnahmen für das Haus bezahlen, entsprechend dem Anteil von RWE an den globalen CO₂-Emissionen.
Das Landgericht Essen hatte die Klage 2016 aus rechtlichen Gründen ohne Beweisaufnahme abgelehnt. Der Klimawandel werde durch so viele verschiedene Emittenten verursacht, dass eine Zuordnung der Flutgefahr zu RWE nicht möglich sei.
Dies sah das OLG Hamm aber anders. 2017 erklärte es die Klage für schlüssig und öffnete die Beweisaufnahme; ein erster Paukenschlag. In der Zwischenzeit gab das Gericht zwei Gutachten in Auftrag und führte 2022 einen Ortstermin in den peruanischen Anden durch.
Urteil nach acht Jahren
Nach Abschluss der achtjährigen Beweisaufnahme stellte der Vorsitzende Richter Rolf Meyer jetzt fest, dass Saúl Luciano Lliuya keinen Anspruch gegen RWE hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass sein Haus in den nächsten 30 Jahren von einer klimabedingten Flutwelle aus dem Gletschersee erfasst wird, liege unter einem Prozent. Und selbst wenn es zu einer solchen Flutwelle komme, wäre diese nur rund 20 Zentimeter hoch und stelle keine Gefahr für die Bausicherheit des Hauses dar.
Dieses Ergebnis war nach der mündlichen Verhandlung im März bereits erwartet worden. Ein Befangenheitsantrag von Lliuyas Anwältin Roda Verheyen gegen einen Gutachter scheiterte. Richter Meyer betonte am Mittwoch, der Statik-Experte Rolf Katzenbach sei eine „Koryphäe“.
Das Gericht hielt jedoch an seiner Einschätzung fest, dass derartige Klagen grundsätzlich erfolgreich sein können. Ein Eigentümer könne sich gegen Störungen wehren und Unterlassung verlangen. Das Gericht stützte sich dabei auf Paragraf 1004 des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).
„Wir haben uns nichts Neues ausgedacht“, betonte Richter Meyer, man stütze sich auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH). „Unser Urteil beinhaltet keine Rechtsfortbildung“. Es sei allgemein anerkannt, dass auch eine Gefährdung des Eigentums eine Störung sein kann. Der Eigentümer habe gegen den Störer nicht nur einen Anspruch auf Nichtstun, sondern auch auf Schutzmaßnahmen oder deren Bezahlung.
Auch ein Eigentümer in Peru könne gegen einen Störer (hier RWE) in Deutschland klagen. „Im Gesetz steht nichts von ‚Nachbarschaft‘“, erläuterte Richter Meyer. Auch eine direkte Beziehung zwischen Eigentümer und Störer sei nicht erforderlich.
Autofahrer sind nicht betroffen
Es komme auch nicht darauf an, ob sich RWE rechtmäßig oder rechtswidrig verhalten hat. „Rauchen auf dem Balkon ist erlaubt, aber wenn das die Familie im Stockwerk darüber erheblich stört, ist es unzulässig“, erklärte Richter Meyer unter Verweis auf ein BGH-Urteil von 2015. „Entscheidend ist bei Paragraf 1004 das Erfolgsunrecht, nicht das Handlungsunrecht“, so Meyer.
Auch die Kausalität zwischen den Emissionen von RWE und der Gefahr für Häuser in Huaraz sah das OLG gegeben. „Je mehr CO₂ ausgestoßen wird, desto mehr Wasser ist in der Lagune umso größer die Gefahr einer Flutwelle.“ Dieser Zusammenhang zwischen CO₂-Emissionen und schmelzenden Gletschern sei in Deutschland schon seit 1971 „vorhersehbar“, betonte Richter Meyer und verwies auf eine Physiker-Tagung, die bereits damals vor dem Treibhauseffekt gewarnt habe.
Der Anteil von RWE an den bisherigen industriellen CO₂-Emissionen, der inzwischen von 0,47 auf 0,38 Prozent korrigiert wurde, sei „erheblich“ genug, um eine Kausalität anzunehmen. Es bestehe aber keine Gefahr, dass nun jeder Autofahrer mit Paragraf 1004 verklagt werden kann, beruhigte Richter Meyer. Der CO2-Austoß von RWE und der eines normalen Bürgers stehe im Verhältnis von eins zu 0,000000028, „sieben Nullen hinter dem Komma“, half Meyer beim Mitschreiben.
Das OLG-Urteil führe auch nicht zu einem Wettbewerbsnachteil Deutschlands, betonte Richter Meyer. Auch in anderen Staaten gebe es entsprechende Klagen. Er räumte aber ein, dass solche Klagen nur in Staaten mit einem funktionierenden Rechtsstaat möglich sind. „Aber ein funktionierender Rechtsstaat ist ja auch ein Standortvorteil.“
Anwältin Verheyen: „Ein Meilenstein“
Das Urteil ist nun rechtskräftig. Das OLG hatte keine Revision zugelassen. Und da der Streitwert unter 20.000 Euro liegt, ist auch keine Nichtzulassungsbeschwerde möglich. Vermutlich hätte Germanwatch aber trotz der Niederlage im Einzelfall kein Interesse an einer Revision gehabt, denn mit den grundsätzlichen Ausführungen des OLGs ist man ja zufrieden und hätte eher eine Änderung durch den BGH fürchten müssen.
Richter Meyer sagte zum Schluss der Verkündung, er rechne nicht damit, dass es in Deutschland zu seinen Lebzeiten noch einmal einen derartigen Prozess geben werde, angesichts von Gerichts- und Verfahrenskosten in Höhe von über 800.000 Euro.
Der Kläger war – anders als im März – nicht nach Hamm gekommen. In einer kleinen Video-Pressekonferenz nach dem Urteil zeigte er sich aber nicht betrübt. „Es ging mir nie um mich“, sagte er. Geradezu euphorisch zeigte sich Anwältin Roda Verheyen, die das Urteil „sensationell“ nannte. „Ich habe während der Urteilsverkündung geweint“, sagte sie, das Gericht habe alle Argumente von RWE zurückgewiesen und sei ihrer Argumentation gefolgt. „Dieses Urteil ist ein Meilenstein, der weltweit Wirkung haben wird“, betonte Verheyen. Sie habe schon Anfragen für neue Klagen aus Huaraz, Nepal und Indien erhalten. Die Großemittenten müssten nun Rückstellungen in ihren Bilanzen bilden.
RWE erklärte, den Prozess gewonnen zu haben. Es sei „den NGOs auch in der zweiten Instanz nicht gelungen, einen Präzedenzfall zu schaffen“. Eine Haftung des Konzerns sei auch nicht gerechtfertigt, weil er sich immer an gesetzliche Vorgaben gehalten habe. RWE warnte vor unabsehbaren Folgen für den Industriestandort Deutschland, wenn „gegen jedes deutsche Unternehmen Ansprüche aus Klimafolgeschäden irgendwo auf der Welt geltend gemacht werden könnten.“
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