Kapitänin Carola Rackete: Rackete frei, Salvini in Wut
Eine Untersuchungsrichterin hat die Seenotretterin in allen Anklagepunkten freigesprochen. Für Matteo Salvini ist das eine schwere Schlappe.
Carola Rackete ist frei. Am Dienstagabend hob die zuständige Untersuchungsrichterin im sizilianischen Agrigent den Haftbefehl auf und erklärte in ihrer Begründung sämtliche Anschuldigungen gegen die Kapitänin der Sea Watch 3 für haltlos.
Gehorsamsverweigerung gegenüber einem Kriegsschiff, Widerstands- oder Gewaltakte gegen ein Kriegsschiff, verbotswidrige Navigation in italienischen Hoheitsgewässern: Dies waren die Vorwürfe, aufgrund derer Rackete verhaftet worden war, nachdem sie in der Nacht zum Samstag mit 41 Migranten an Bord im Hafen von Lampedusa angelegt und dabei ein Patrouillenboot der Finanzpolizei gerammt hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte daraufhin die Bestätigung des Haftbefehls, zugleich aber seine Aussetzung beantragt, unter der Auflage, dass Rackete sich nicht in der Provinz Agrigent – zu der auch Lampedusa gehört – aufhalten dürfe.
Doch die Untersuchungsrichterin Alessandra Vella wies die Anklage in allen Punkten zurück. Zunächst einmal handele es sich bei dem Boot der Finanzpolizei nicht um ein Kriegsschiff, hielt sie fest. Vor allem aber habe die Kapitänin bis hin zum Anlegemanöver im Hafen nichts anderes getan, als ihrer Pflicht zur Rettung von Menschen in Seenot nachzukommen. Gewiss, dieses Manöver sei gefährlich gewesen, doch ein eventuelles Verbrechen liege schon deshalb nicht vor, weil Rackete „in Erfüllung einer Pflicht gehandelt“ habe.
Die Pflicht zur Seenotrettung nämlich sei nicht schon damit erledigt, dass Schiffbrüchige an Bord genommen werden, sondern schließe ihren Transport in einen sicheren Hafen ein. Und dieser Hafen sei nun einmal Lampedusa gewesen, da weder die libyschen Häfen noch Tunis als sichere Häfen gelten könnten.
Schwere Schlappe für Salvini
Weitergehend führte die Untersuchungsrichterin aus, dass das von der Regierung am 14. Juni verabschiedete „Sicherheitsdekret 2“ keine Anwendung auf NGO-Schiffe finden könne. Dieses Dekret legt fest, dass den Rettungsschiffen die Einfahrt in italienische Hoheitsgewässer verweigert werden kann und dass bei Zuwiderhandeln Geldbußen von bis zu 50.000 Euro sowie im Wiederholungsfall die Beschlagnahmung des Schiffs fällig werden. Da aber NGO-Schiffe mit ihren völlig legalen Rettungsaktivitäten nicht gegen Gesetze verstießen, könnten sie nicht zum Objekt solcher Sanktionen werden, führt Vella aus.
Eine schwere Schlappe ist dieser Beschluss vor allem für den Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini, der seit Tagen gegen die „reiche deutsche Kriminelle“ hetzt, für die es nur eine Lösung gebe: „Ins Gefängnis!“ Salvini sprach umgehend von einem „schändlichen und politischen Urteil, das eine Verbrecherin auf freien Fuß setzt und Italien schadet“.
Er will jetzt seinerseits die sofortige Ausweisung Racketes aus Italien verfügen. Doch auch dafür braucht er eine richterliche Zustimmung – und die dürfte wenigstens in den nächsten Tagen kaum erteilt werden, denn Rackete hat am 9. Juli einen weiteren Anhörungstermin in Agrigent in einem zweiten Ermittlungsverfahren gegen sie.
Justiz stellt sich hinter Seenotretterin
Dort lautet der Vorwurf, sie habe sich der Beihilfe zur illegalen Einwanderung schuldig gemacht. Die Kapitänin der Sea Watch 3 muss jedoch keineswegs fürchten, dass die Staatsanwalt Agrigent sich in diesem Punkt Salvinis Position zu eigen macht. Dies wurde gestern deutlich, als der Leitende Staatsanwalt Agrigents, Luigi Patronoaggio, bei einer Anhörung im italienischen Abgeordnetenhaus auftrat.
Stück für Stück nahm er zentrale Positionen der Regierung auseinander. Es gebe keinerlei Belege für Kontakte zwischen NGOs und libyschen Schleppern, erklärte er. Die libyschen Häfen seien nicht sicher, die libysche Küstenwache sei nicht in adäquater Weise in ihrer Such- und Rettungszone präsent. Damit sind alle Voraussetzungen dafür gegeben, dass auch dieses Verfahren gegen Rackete mit einer Einstellung endet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja