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Seerechtsprofessorin über Seenotrettung„Bei Not muss geholfen werden“

Die Kapitänin der „Sea-Watch 3“ hat Menschen aus Seenot gerettet und wurde nach dem Anlegen in Italien verhaftet. War das rechtens?

Diese drei Menschen und 50 weitere wurden von der Crew der „Sea-Watch 3“ gerettet Foto: ap
Christian Rath
Interview von Christian Rath

taz: Gibt es eine rechtliche Pflicht, Menschen aus Seenot zu retten?

Nele Matz-Lück: Ja. Wenn jemand auf See in Lebensgefahr gerät, dann muss geholfen werden. Das ist schon lange völkerrechtliches Gewohnheitsrecht, es steht aber auch ausdrücklich im UN-Seerechts-Übereinkommen, das 1994 in Kraft trat.

Gilt diese Hilfspflicht auch gegenüber Personen, die sehenden Auges die Schiffbrüchigkeit herbeiführen – etwa indem sie in Libyen in ein untaugliches Boot steigen und dann auf Rettung hoffen?

Natürlich gilt auch dann die Rettungspflicht. In einer Notlage muss geholfen werden, unabhängig davon, wie die Notlage entstanden ist. Polizei und Rotes Kreuz helfen bei einer Notlage an Land ja auch auf jeden Fall und prüfen nicht erst die Vorgeschichte.

Welche Pflicht hat eine Kapitänin, die Schiffbrüchige aufgenommen hat?

Sie muss diese an einen sicheren Ort bringen. Das kann ein Hafen oder ein Schiff sein.

Könnte die Kapitänin gerettete Migranten auch nach Libyen zurückbringen?

Libyen ist für Migranten kein sicherer Ort. Es ist allgemein bekannt, dass afrikanische Migranten in Libyen in menschenunwürdigen Lagern leben müssen, wo sie misshandelt, gefoltert und oft auch getötet werden.

Muss Italien gerettete Migranten aufnehmen, wenn Lampedusa der nächste sichere Hafen ist?

Nein. Es gibt zwar eine Rettungspflicht auf See, aber es gibt keine Aufnahmepflicht der Küstenstaaten. Dies wird zurecht als Konstruktionsfehler des Seerechts kritisiert. Derzeit ist es so, dass sich nach jeder Seenotrettung Staaten freiwillig melden müsssen, um die geretteten schiffbrüchigen Migranten aufzunehmen.

Es gibt doch aber das Recht auf einen Nothafen?

Ja, aber dieses Recht ist eng begrenzt. Es gilt nur, wenn das rettende Schiff nun selbst in Seenot ist, zum Beispiel weil es so überladen ist, dass es beim aufkommenden Sturm zu kentern droht.

Was ist, wenn die Wasser- und Nahrungsvorräte zur Neige gehen?

Daraus ergibt sich kein automatisches Einfahrtsrecht in den Hafen. Der Küstenstaat muss zwar helfen, könnte aber auch Lebensmittel und Wasser zum Schiff bringen, um die Situation an Bord zu verbessern.

Und was ist, wenn Kinder und schwangere Frauen an Bord sind?

Im Fall der Sea Watch 3 hat Italien zwölf besonders verletzliche Personen an Land gelassen. Die übrigen 40 Personen waren weder Kinder noch schwanger. Deshalb hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vorige Woche eine Eilverfügung gegen Italien abgelehnt.

Italien verstößt also nicht gegen das Völkerrecht, wenn es sich grundsätzlich weigert, Migranten an Land zu lassen, die von privaten Schiffen im Mittelmeer gerettet wurden?

Nein, solange Italien in konkreten Notfällen hilft, kann es frei entscheiden, welche Personen es an Land lässt und welche Schiffe es in seine Häfen einlaufen lässt.

Die Kapitänin der Sea Watch 3, die Deutsche Carola Rackete, argumentierte, dass sich die Lage an Bord zugespitzt hat. Sie befürchtete, dass Verzweifelte sich etwas antun könnten. Ist das keine Notlage?

Das dürfte eine Notlage sein. Die Kapitänin hat hier einen Beurteilungsspielraum, denn sie ist vor Ort und für die Situation an Bord verantwortlich. Daraus folgt aber nicht, dass sie einfach in den Hafen einfahren kann. Italien könnte ja auch eine psycholgische Betreuung an Bord organisieren. Die Kapitänin muss also mit einer Sanktion für die eigenmächtige Einfahrt in den Hafen rechnen.

Italien spricht zudem von einer Bestrafung wegen Begünstigung der illegalen Einreise von Migranten.

Nach italienischem Recht musss Rackete wohl auch damit rechnen, obwohl sie keine kommerzielle Schlepperin ist, sondern humanitäre Hilfe leistete.

Im Interview: Nele Matz-Lück

45, ist seit 2011 Rechtsprofessorin an der Universität Kiel, mit Schwerpunkt Seerecht.

Verstößt die Bestafung humanitärer Helfer nicht gegen höherrangiges Recht?

Wohl nicht. Das Völkerrecht verpflichtet die Staten zwar, Schlepperei zu bestrafen, aber es gibt keine Staatenpflicht, humanitär motivierte Hilfe bei der illegalen Einreise straffrei zu lassen.

Gilt das auch , wenn jemand Flüchtlingen hilft, die anschließend Asyl erhalten?

Ja. Die Genfer Flüchtlingskonvention sieht zwar Straffreiheit für die illegale Einreise der Flüchtlinge selbst vor, aber keine Straffreiheit für ihre Helfer.

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15 Kommentare

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  • Der Europäische Gerichtshof für Menschenrecht hat vor 8 Tagen die Klage der Frau Rackete abgewiesen und diese Frau hat keinen anderen Hafen gesucht! Zeit hatte sie genug! Italien muss die Sea Watch nicht in Italien anlegen lassen. Was gibt es dabei nicht zu verstehen? Was gibt es da noch zu diskutieren? Wird über andere Urteile des EuGH auch so intensiv diskutiert?

  • 0G
    05653 (Profil gelöscht)

    Die italienischen Behörden hätten, hätten, könnten, ...



    Die italienischen Behörden haben aber nichts unternommen, um die Notlage an Bord zu entschärfen. Im Gegenteil sollte sich die Notlage anscheinend aus politischen Motiven weiter zuspitzen. Folglich hat Frau Rackete als zuletzt Verantwortliche an Bord ganz richtig entschieden in den Hafen einzulaufen.

  • Soweit Rackete internationales Seerecht befolgt hat, kann sie auch nach italienischem Recht nicht bestraft werden.



    Wofür sie bestraft werden kann, ist, wenn sie eine andere, nach italienischem Recht legale Alternative gehabt hätte, das Seerecht zu befolgen.

  • Auf einem Schiff gilt das Recht des Landes, dessen Flagge es trägt (auch wenn es nicht direkt als Territorium zählt). Also auch Grund-, Menschen- und Asylrechte. Da gilt nicht nur das Seerecht.

    Es würde mich mal interessieren, ob ein Asylantrag, der direkt auf einem holländischen Schiff gestellt wird, in Holland gültig ist. Und ob so ein Antrag formlos gestellt werden kann. Und ob der dann von den Behörden in Holland bearbeitet werden muß. Und ob dann dem Asylbewerber nicht angemessene Unterbringung zusteht, während er auf sein Verfahren wartet.

    Abgesehen davon ist ganz klar die EU am Zug, hier was zu machen in dem Sinne, daß die Leute wenigstens Asyl beantragen können und die Entscheidung in irgendeiner Unterkunft an Land abwarten. Es würde reichen, wenn EU-Länder wenigstens ihre eigenen Schiffe anlegen lassen müßten.

    • @kditd:

      Ob ein Asylantrag gestellt werden kann oder nicht ist ja vollkommen unerheblich, da es auf einen Ausgang des Asylverfahrens nicht ankommt.

      Richtig ist, dass die Niederlande aufgrund der Flagge eine besondere Schutzpflicht hat. Im Gegensatz z Italien dürften die Niederlande ihre Häfen nicht verschließen.

      P.S. Privatpersonen sind nicht zur mündlichen Entgegennahme von Asylanträgen berechtigt.

  • Nele Matz-Lück (Rechtsprofessorin an der Universität Kiel, mit Schwerpunkt Seerecht.): "Es gibt zwar eine Rettungspflicht auf See, aber es gibt keine Aufnahmepflicht der Küstenstaaten. Dies wird zurecht als Konstruktionsfehler des Seerechts kritisiert."

    Retten "Ja", an Land bringen "Nein". - Das ist kein Konstruktionsfehler des Seerechts, sondern hört sich eher nach 'Schwachsinn' an. Müsste da nicht mal schleunigst "nachgebessert" werden oder will man solange abwarten, bis sich das Flüchtlingsproblem von selbst erledigt hat?

    • 8G
      86970 (Profil gelöscht)
      @Ricky-13:

      naja, Schwachsinn ist ein zu hartes Wort. Die IMO wollte damals (so Anfang der Nuller-Jahre) diese Lücke schließen, hauptsächlich um den Handelschiffen Rechtssicherheit zu verschaffen (also ihnen die Gewissheit zu geben, die Aufgenommenen zügig irgendwo wieder abgeben zu können). Aber es war niemand bereit, da einen Blankoscheck für irgendwas auszustellen. Deshalb blieb es dabei, dass nur der Staat verpflichtet ist, der für die jeweilige SAR-Zone zuständig ist. Das war im vorliegenden Falle halt Libyen...

  • Heute nicht umsonst gelebt. Danke.

  • 9G
    93649 (Profil gelöscht)

    Vielleicht könnte die TAZ das Interview mal den Herren Steinmeier und Maas zukommen lassen, damit sie - anstatt nur Lippenbekenntnisse abzugeben - vor Ort im Mittelmeer deutsche Schiffe stationieren, die in Not geratenen aufnehmen und sicher nach Deutschland bringen können.

  • Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Matz-Lück, sehr geehrter Herr Rath,

    vielen Dank für die Darstellung der rechtlichen Zusammenhänge. Die stimmt voll und ganz mit dem hierzu ergangenen Gutachten des Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages überein. Vor dem Hintergrund der "Seenotrettung-darf-nicht-kriminalisiert-werden-Kampagne" einiger NGO's und einiger Politiker war eine solche Darstellung leider dringend notwendig.

    Ich bitte dennoch um eine wichtige Ergänzung. Wie ist die Situation einzuschätzen, wenn die angebliche Notlage von der Kapitänin selbst herbeigeführt worden ist, indem sie die Geretteten nicht in Übereinstimmung mit dem Seerecht an einen sicheren Ort gebracht hat, sondern schlichtweg 17 Tage lang auf hoher See ankerte. Die angebliche Verzweifelung ist ja erst durch den Ausgang eines von Beginn an aussichtlosen Gerichtsverfahrens verursacht worden. Wenn den dann tatsächlich eine Notlage bestanden haben sollte, wäre dieser Punkt entscheidungserheblich.

    • 8G
      86970 (Profil gelöscht)
      @DiMa:

      ich denke, die Ursache selbst wird keine nennenswerte Rolle spielen. Wichtiger ist die Frage, ob überhaupt eine Notlage im Sinne des Seerechtes vorlag. Habe dazu einen eigenen Beitrag geschrieben, siehe unten.

  • Exzellentes Interview. Konkrete Fragen. Knappe, und doch inhaltsreiche und konkrete Antworten. Unaufgeregt und bar jeder moralinsauren Hysterie. Danke dafür.



    Der Zweck heiligt eben nicht in jedem Fall alle Mittel.

  • 8G
    86970 (Profil gelöscht)

    Der mit Abstand beste Beitrag bisher zur aktuell arg überhitzten Debatte. Danke an die TAZ dafür. Habe bei jeder Aussage von Frau Matz-Lück zustimmend genickt, denn genau so sieht es im Seerecht tatsächlich aus, das ich in Theorie & Praxis kenne.

    In den Verfahren gegen Frau Rackete wird es m.E. hauptsächlich um 2 Aspekte gehen:



    1. war der von SeaWatch reklamierte "Notstand" tatsächlich "Seenot" im Sinne des Seerechtes? Dort versteht man unter Seenot eine unmittelbare Lebensgefahr. In der Praxis heißt das üblicherweise: Schiff sinkt oder brennt oder Besatzungsmitglied/Passagier ist lebensgefährlich verletzt/ erkrankt. Von SeaWatch wurden einige Übelstände benannt, die dem Praktiker teilweise nur ein müdes Grinsen entlocken (volle Fäkalientanks, Wassermangel). Wieso das so ist, kann ich gerne erläutern. Die Suizid-Androhungen der Passagiere sind ein Thema für sich. Hier werden die Richter sehr genau überlegen, ob sie das anerkennen und damit ein in der Praxis unbeherrschbares Fass aufmachen wollen

    2. Das Rammen/ Abdrängen whatever des italienischen Zollbootes: hier wird das Gericht eine genaue Analyse des Anlegemanövers vornehmen. Dazu nur soviel: die Sea-Watch3 hat eine 2-Maschinen-Anlage, solche Fahrzeuge sind recht leicht zu manövrieren. In der Nacht war wenig Wind, Strom spielte sicher auch keine Rolle. Heißt: Rackete hätte das Anlegemanöver jederzeit abbrechen können, ohne das Zollboot in Bedrängnis zu bringen. Ebenso hätte sie jederzeit so manövrieren können, dass das am Kai liegende Boot wieder "Luft" bekam. Hat sie aber nicht. Dieser Punkt wird ihr sicher noch viel Ärger einbringen.

    (PS: ja, ich habe schon Anlegemanöver mit Schiffen dieses Kalibers absolviert, und zwar reichlich)