Jesuit über Hungern aus Protest: „Erpressung ist nicht gegeben“
Der Jesuit und Aktivist Jörg Alt hat dem Klimaschützer Wolfgang Metzeler-Kick vom Hungerstreik abgeraten. Dennoch unterstützt er ihn.
taz: Herr Alt, der Klimaaktivist Wolfgang Metzeler-Kick ist seit März im Hungerstreik, um den Kanzler dazu zu bringen, in einer Regierungserklärung die Dramatik der Klimakrise einzugestehen. Sie kennen Metzeler-Kick seit Langem, waren auch schon in Aktion mit ihm. Können Sie als Priester gutheißen, wenn er sein Leben riskiert?
Jahrgang 1961, Jesuitenpater und promovierter Sozialwissenschaftler aus Nürnberg. 2021 machte Alt bundesweit Schlagzeilen, als er noch essbare Lebensmittel aus den Mülleimern von Supermärkten holte, sie anschließend öffentlich verschenkte und dann die Polizei rief und sich wegen Diebstahls anzeigte. Seitdem nahm er an Aktionen der Letzten Generation und Extinction Rebellion teil. Seither laufen gegen Alt verschiedene Strafermittlungsverfahren.
Jörg Alt: Ich habe von Anfang an abgeraten von dem Hungerstreik, weil ich eben nicht überzeugt war, dass der Hungerstreik zur jetzigen Zeit erfolgreich sein kann. Die Situation ist ganz anders als beim Hungerstreik 2021 im Bundestagswahlkampf. Weil die rechte Seite deutlich stärker geworden ist. Das macht es einem Politiker nochmal schwerer, auf solche Forderungen einzugehen. Aber nachdem Wolfgang sehr reflektiert und intelligent die Dinge bedacht hat und sich dafür entschieden hat, diesen Weg trotzdem zu gehen, respektiere ich das und unterstütze, wo ich nur kann.
Viele Kritiker:innen führen die Verantwortung an, die Metzeler-Kick für seinen 14-jährigen Sohn hat.
Verantwortung für Kinder kann zwei Dimensionen haben. Das eine ist, ob ich mein Kind in eine absehbar schwierigere Zukunft persönlich begleite oder ob ich versuche, diese absehbar schlimme Zukunft bestmöglich noch in irgendeiner Weise beeinflussen zu können. In Abwägung aller Gründe hat sich Wolfgang Metzler-Kick für die zweite Lösung entschieden.
In seiner Regierungserklärung am Donnerstagmorgen sprach der Bundeskanzler vom menschengemachten Klimawandel als der größten globalen Herausforderung, vor der wir stehen. Das ist nicht gerade Klimawandel-Leugnung. Was würde es darüber hinaus ändern, wenn der Kanzler die drei Forderungen der Hungerstreikenden ausspricht?
Der eine Punkt ist ja, dass wir eigentlich gar kein CO2-Budget mehr haben, dass wir schon jetzt auf Kosten des globalen Südens und der kommenden Generation leben, also auf Kosten von Wolfgangs Kind. Die Bundesregierung erweckt aber immer noch den Eindruck, dass es alles gar nicht so schlimm ist, dass wir noch Reserven haben und dass die Technik uns irgendwie retten wird. Wir hören schon seit Angela Merkel, dass der Klimawandel eine große Herausforderung ist, zugleich hat sich im politischen Handeln nichts angemessen schnell verändert, und darum geht es ja.
Wir wissen alle, dass der Klimawandel die größte Herausforderung ist. Aber wir verstehen nicht, wie dringlich es ist, und wir verstehen auch nicht, wie dringlich angemessenes Handeln ist, und wir verstehen auch nicht, was das für einschneidende Veränderungen in unserem Wirtschafts- und Lebensstil bedeutet. Und darüber müssen wir halt reden.
Es gibt auch aus der Klimabewegung Stimmen, die den Hungerstreik kritisch sehen. Ein solches Zeichen der Hoffnungslosigkeit könne auch dazu führen, dass Menschen sagen: „Dann ist ja eh schon alles egal.“
Jeder Mensch ist für das verantwortlich, was er entscheidet und tut, und ich würde dann eher wie Papst Franziskus sagen: Wer bin ich, über Wolfgang und seine Entscheidung zu richten? Ich bin über seine Entscheidung nicht glücklich, aus vielen Gründen. Aber nochmal: ich respektiere sie und versuche letztlich eben jetzt auch das Beste aus seiner Entscheidung herauszuholen.
Manche sprechen von Erpressung, zu Recht?
Erpressung ist letzten Endes, dass man von einem anderen etwas erzwingen will zum eigenen Vorteil, und das ist in diesem Fall nicht gegeben. Worum es bei dem Hungerstreik geht, ist eigentlich, dass das der Öffentlichkeit vor Augen gestellt werden soll, wovon die Wissenschaft und Klimagerechtigkeits-Aktivisten seit Jahren und Jahrzehnten warnen. Ohne den Hungerstreik würden wir dieses Interview nicht führen. Also, ein Hungerstreik hat durchaus das Potenzial, in der Gesellschaft auch noch mal eine Debatte anzuschieben, die es ohne ihn nicht gäbe. Und daraus erwächst halt die Hoffnung, dass wir vielleicht doch ein paar Schritte weiterkommen.
Beim Demokratiefest vor einer Woche hat der Kanzler den Hungerstreik so kommentiert: „Zu sagen, ich löse die Situation mit einem Bekenntnis zu irgendetwas, ist kein Ausweg, denn es ist keine religiöse Veranstaltung“. Ist Klimaprotest für Sie als Jesuit doch eine religiöse Veranstaltung?
Das ist völliger Blödsinn. Klimagerechtigkeit ist kein Gegenstand der Religion, sondern der Ethik. Religion ist Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht, wie es im Hebräerbrief heißt. Aber Klimawissenschaft ist nun wirklich eine Wissenschaft, die sich mit Fakten und Vorhersagen beschäftigt. Und wir sehen ja, dass die Vorhersagen der Klimawissenschaft alle eintreffen, nur eben schneller als ursprünglich angenommen.
Ich finde also eher die Frage relevant, ob ich eine Bevölkerung wie Erwachsene oder wie quengelnde Kinder behandle: Wenn man, wie etwa beim Bürgerrat Klima, eine Bevölkerung wie erwachsene Menschen behandelt und ihnen Risiken und Nebenwirkungen klar erklärt und was sich daraus an Handlungen ergibt, dann bekommt man eine andere Resonanz, als wenn man die Bevölkerung wie quengelnde Kinder behandelt, denen man alle Wünsche folgend Meinungsumfragen erfüllt, wie es die FDP will, wenn sie lieber Straßen als Schienen fördert.
Verlangt der Klimawandel wirklich nach Märtyrern?
Man hat auch 2021 beim Hungerstreik der Letzten Generation befürchtet, dass das Kreise zieht. Das hat es nicht getan. Wolli ist jetzt nicht jemand, der morgens aufgewacht ist und gesagt hat, ich mache einen Hungerstreik, sondern es wäre wichtig, sich ins Gedächtnis zu rufen, was er alles vorher schon gemacht hat, um auf diese Probleme aufmerksam zu machen. Insofern ist für ihn der Hungerstreik eine ultima ratio. Jeder sollte erst mal so viel tun wie Wolfgang Metzeler-Kick, um das Problem zu lösen, bevor er über ihn die Lanze bricht.
Sie halten den Hungerstreik also doch für gerechtfertigt.
Ich finde immer noch den offenen Brief gut, den der Klimaforscher Hans-Joachim Schellnhuber damals zum Hungerstreik der Letzten Generation geschrieben hat. Er schrieb: Die Lage ist so ernst, dass euer Hungerstreik gerechtfertigt ist. Und dann hat er gesagt, der Deutsche habe die Tendenz, Hungerstreikende immer dann zu lieben, wenn sie tot sind oder weit weg. Wie Gandhi oder Nawalny. Ich ergänze: wenn die Hungerstreikenden im eigenen Garten sitzen, dann finden die Deutschen sie peinlich. Es ist immer einfach, von außen über jemanden zu richten, der sich die Entscheidung verdammt schwer gemacht hat.
Gandhi, Nawalny oder die Demokratie-Aktivistin Netiporn Sanesangkhom, die kürzlich in thailändischer Haft gestorben ist und von den Streikenden im Invalidenpark angeführt wird – ist es nicht etwas anderes, in einer Diktatur dieses radikale Mittel zu wählen, als in Deutschland, in dem freie Rede und viele Formen der Einflussnahme möglich sind?
Ja, und letzten Endes gewinnen immer die Lobbyisten und die FDP. Also: wie viel Freiheit haben wir in unserem Land? Das ist ja schon auch die Anfrage der Klimagerechtigkeits-Aktivisten: Wer hat in unserem Land das Sagen? Und wenn die Mehrheit der Bevölkerung ein Lebensmittel-Retten-Gesetz oder ein Tempolimit will, aber eine 3-Prozent Partei sagt: 'nö, haben wir keinen Bock drauf’. Was ist dann die Demokratie wert? Die falschen Leute setzen sich immer wieder durch. Auch wenn es vielleicht netter verpackt ist, als in anderen Ländern. Wenn Politik und Gesellschaft weiter berechtigte und wohlbegründete Anliegen ignorieren, muss man natürlich auch damit rechnen, dass verzweifelte Menschen immer extremere Mittel in Stellung bringen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos