Impfempfehlung für Kinder: Der moralische Impferativ
Erwachsene, die im Biergarten sitzen, während Kinder zu Hause lernen? Ausgeschlossen! Um zur Normalität zurückkehren zu können, kommt es nochmal auf alle an.
D ie Ständige Impfkommission wird voraussichtlich keine Covid-Massenimpfungen für Kinder empfehlen. Die Stiko entscheidet vor allem auf Basis medizinischer Daten, und diese Datenbasis ist momentan zu schmal. Wie mit der Empfehlung umgegangen wird, ist eine moralisch aufgeladene Frage. Und eine Frage der Solidarität.
Zu Beginn der Pandemie hat die Gesellschaft Solidarität mit den Alten eingefordert. Kinder sollten ihre Großeltern nicht besuchen, nicht mehr auf Spielplätzen toben, ihre Freunde nicht sehen, zu Hause lernen. Obwohl sie selbst kaum schwer erkranken.
Auch wenn sich das Leben für viele Erwachsene wieder halbwegs normal anfühlt – für viele Kinder herrscht nach wie vor Ausnahmezustand. Unterricht findet nur wochenweise statt, die Hälfte der Klasse haben sie seit Monaten nicht gesehen, Arbeitsgemeinschaften sind ausgesetzt, Kindergeburtstage und Klassenfahrten seit über einem Jahr abgesagt.
Wie schnell sich das Leben für die Kinder wieder normalisiert, wird nun davon abhängen, wie solidarisch die Älteren gegenüber den Jüngeren, die Kinderlosen gegenüber den Familien sind.
Für Normalität brauchen wir Herdenimmunität
Der goldene Weg zurück in die Normalität führt über die Herdenimmunität. Damit dieser magische Zustand erreicht wird, müssen über 80 Prozent der Bevölkerung geimpft sein. Allein 16 Prozent der Bevölkerung sind aber jünger als 18 Jahre. Rechnet man diese Gruppe also raus – und die Empfehlung der Stiko wird selbst impfwillige Minderjährige nicht unbeeindruckt lassen –, dann muss die Impfquote im Rest der Bevölkerung bei fast 100 Prozent liegen, damit Herdenimmunität erreicht wird.
In unserer liberalen Gesellschaft haben sich alle daran gewöhnt, ihre individuellen Rechte und Möglichkeiten jederzeit und überall durchzusetzen – ob im Supermarkt oder bei der Wahl des für sie besten Impfstoffes. Das Ziel der Herdenimmunität ist wohl nur über eine Impfpflicht zu erreichen.
Diese steht politisch nicht zur Debatte. Es ist also absehbar, dass es immer wieder zu Ausbrüchen und als Folge dieser zu Einschränkungen kommt. Diese sollten dann aber für alle Bereiche gelten. Erwachsene, die im Biergarten sitzen, während Kinder zu Hause lernen? Ausgeschlossen!
Schulen und Kitas müssen wieder öffnen – unabhängig vom Impfstatus. Freiheiten allein für Geimpfte sind nur dann berechtigt, wenn alle gleichberechtigt Zugang haben. Ist das, so wie derzeit, nicht gegeben, sollte bei steigenden Inzidenzen der Grundsatz gelten: Masken, Abstand, Hygiene für alle und überall. Und natürlich: Impfen. Nicht als Pflicht. Aber als moralischer Imperativ.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut