Höflichkeitsformen im Hotelgewerbe: Tausendmal Du
Auf einmal duzen alle, das kann auch unser Autor in seinem Gasthof beobachten. Doch auch dabei kommt es auf den richtigen Tonfall an.
Es ist derzeit viel von Zeitenwenden die Rede. Wo tatsächlich eine stattfindet, das ist bei Sie und Du. Gerade bekomme ich ein Schreiben von meinem Energieversorger und werde auf einmal geduzt. Mir fällt das aber nur durch den höflichen Hinweis auf, man habe noch nicht alle Servicetexte zu hundert Prozent umstellen können, daher werde ich möglicherweise an einigen Stellen noch mit Sie angeredet.
Tatsächlich finde ich drei Stellen mit Sie in der langen Mail. Und frage mich, wird mich bald auch der Fiskus freundlich mit Vornamen ansprechen und an die Abgabe der Steuererklärung für 2022 erinnern?
Auch in der Beziehung von Gast und Gastgeber wird das Du wenigstens in unserem Gasthaus häufig. Ursprünglich dachte ich, das habe geografische Gründe. Denn ist es nicht so? Je weiter man im deutschsprachigen Raum nach Süden kommt, umso mehr wird der Dialekt gepflegt und da regiert das Du – bis man von den Grias-Dis in Tirol ausschließlich geduzt wird.
Inzwischen habe ich einen sehr klugen Text gelesen, der häufiges Duzen mit der Höhenlage verbindet. Danach ist das Tiroler Du sozusagen ein Berg-Du. Wenn Menschen in gefährlichen Lagen wie in den Alpen zusammenleben, symbolisierten sie Solidarität und Hilfsbereitschaft untereinander mit dem einfachen Personalpronomen. Interessante These.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Für sie spricht auch, dass oft auch dort das Du verbreiterter ist, wo man unter viel Leid und Schmerz über Jahrhunderte lernen musste, mit dem Meer zu leben, wie etwa in den Niederlanden oder Skandinavien. Was zu der großen Frage führt, ob wir uns alle bald wegen des fortschreitenden Klimawandels mehr duzen werden?
Es gibt nur ein Problem
Was das vermehrte Du in unserem Gasthaus angeht, da kommt es auch auf den Ton an. Neulich duzte mich ein älterer Herr aus Vorarlberg in einer Art, als hätte er mir einst das Fläschchen gegeben. Da siezt man dann erst mal zurück.
Aber wenn eine Gruppe von taz-Leser:innen bei uns zu Gast ist wie im Juni, dann bildet sich in kürzester Zeit eine Atmosphäre wie in einem Freundeskreis, in der ein „Sie“ einfach fehl am Platz ist. Denn wenn einem als Gastgeber die Herzlichkeit auf einmal noch mehr Freude macht und die andere Seite spiegelt, dass ihr der Aufenthalt doch einigermaßen gut tut, dann ploppt auf einmal das Du auf, ohne ein förmliches Angebot.
Ein Gast aus den Niederlanden erzählte mir neulich, so mache man das bei ihm zu Hause immer, nachdem er sich als Frans vorgestellt hatte.
Nur ein Problem hat das ganze Sie und Du. Wenn man mit den eigenen Servicetexten durcheinanderkommt, und der Gast dann am Check-in sagt: „Herr Kabisch, wir waren doch schon beim Du.“
Leser*innenkommentare
Jim Hawkins
Mir geht diese Duzerei auf den Sack.
Wenn ich mich nicht irre, hat Ikea damit angefangen. Und jetzt wanzen sich alle an einen ran.
Werden distanzlos, so als könnte man ihren Atem riechen.
Ich sieze auch den Obdachlosen, dem ich einen Euro gebe. Es sei denn, er duzt mich, dann ist es OK.
JEDERHATSEINEMEINUNG
Also ich bin sehr froh darüber, dass es im Deutschen die Unterscheidung zwischen "Sie" und "Du" gibt. Wenn beide damit einverstanden sind, kann man zu einem späteren Zeitpunkt gerne zum "Du" übergehen.
In meiner Firma hatten wir zudem einen guten Mittelweg gefunden. Alle - bis hoch in die Regionen der Geschäftsführung - haben sich mit dem Vornamen angesprochen, dabei aber das "Sie" benutzt. Das sorgte für einen freundlichen Umgang miteinander, wobei gleichzeitig die im Beruf notwendige Distanz aufrechterhalten wurde.
Brot&Rosen
am meisten nervt mich die duzerei beim penny-radio.
da wird mit dem "du" + dem "ihr" + dem "bei Euch in hamburg" z.b. ständig eine nähe hergestellt, die einfach nur pseudo ist.
dieser duzerei würde ich gerne den garaus machen, doch leider: wie sollte das gehen? dem sind wir einfach machtlos ausgeliefert.
Suryo
Ich hab mal eine Zeitlang bei einer sehr großen Organisation gearbeitet, wo schon vor 20 Jahren alle per Du (sein mussten).
Meine Erfahrung: berufliche Konflikte werden viel schneller persönlich, wenn sich alle duzen.
Es hilft, wenn ein Level an Formalität und damit Distanz zwischengeschaltet ist. Man kann immer noch vom Sie zum du wechseln, wenn man sich tatsächlich gut kennt und sicher ist, dass man miteinander auskommt. Aber jemanden Duzen zu müssen, zu dem man eigentlich gerne Abstand hätte, ist schwierig. Zumal das Du im beruflichen Umfeld ja oft nur Hierarchien verschleiert, die, wenn's hart auf hart kommt, natürlich existieren.
Krumbeere
@Suryo 3x Daumen hoch
Rheingauer
Wir haben Probleme.
Vorab, ich werde dieses Jahr sechzig und ich duze seit Jahren fast jeden und hatte damit noch nie Probleme.
Und mich darf auch jeder duzen, solange das nicht abfällig oder herablassend ist (kann man übrigens auch beim soiezen so rueberbringen) Kommt halt auch darauf an wie man duzt.
Und warum soll ich jemanden den ich eben erst auf englisch mit Vornamen angeredet habe (und natuerlich geduzt) 2 minuten später mit Nachnamen und sie ansprechen. Iss doch totaler BF.
Und wems nicht passt der kann ja freundlich darum bitten gesiezt zu werden.
Krumbeere
@Rheingauer Umgekehrt wird ein Schuh draus: Man kann das Du anbieten -nicht umgekehrt.
Und auch da gibt es Höflichkeitsregeln.
Der Ältere bietet das du an, der Vorgesetzte bietet es an oder der Gastgeber. -Übrigens, duzen sie ungefragt mal einen Polizisten. Da bekommen sie eine Anzeige wegen Beleidigung!
rero
@Krumbeere Auch bei Polizisten kommt es darauf an.
Wenn das Duzen keinen Mangel an Respekt ausdrückt, können die überraschend entspannt sein, habe ich mitbekommen.
Janix
Kommerz-Dus sind nichts wert, im Gegenteil. Bei Ikea noch eine Marotte, ist es bei anderen Pseudo-Nähe, die zumindest ich mir verbitte, falls Werbetexter gerade mitlesen sollten.
Auch in Gaststätten finde ich es bemüht, wenn direkt von anderen Gästen oder Wirten geduzt wird, außer man spürt, dass es sehr gut gemeint ist.
tabernac
@Janix Besonders unangenehm empfinde ich das Duzen der BVG, die einen dann auch noch ungefragt liebt
Lowandorder
Holländer - issen feines Stichwort! (Engländer wohl ähnlich)
Reminiszenz: Sollte wollte mal wieder international bella figura machen.
(Ja Ja - son frei schwebender Vogel - die linke 🪶 stecken die sich gern an den Hut!;)
Einweihung der Richterschule in Zutphen!
Alle einschl Präsi & Vors. des Richterbundes und die Leiterin sprachen uns untereinander mit Vornamen an - aus meiner Sicht - egal in welcher Sprache (3 +;)
Duzten uns. Warum genau sprach ich die Leiterin darauf an!
”Nein. Wir Siezen uns!“ - Ihre Erklärung hab ich nicht verstanden.
(Der holländische Kollege exKrakeranwalt - er begeistert mein Mark VI 🎷- icke 🎺 !;)) Wohl schon.)
Wenn ich’s recht weiß - ist das auf der Insel wohl ähnlich.
Suryo
@Lowandorder Das englische you heißt nicht etwa du, sondern ihr. Das eigentliche du ist das mittlerweile fast ausgestorbene thou.
Im Grunde ist Englisch also noch formeller als das Deutsche: alle siezen sich, sogar Eltern und Kinder.
Zudem gibt es speziell in Großbritannien sehr viele subtile und weniger subtile Hierarchie-Marker. Und in den USA herrscht bei aller oberflächlichen Lockerheit oft eine rigidere Hierarchie als in Deutschland.
Janix
@Lowandorder Auch in scheinbaren Du-Kulturen gibt es die möglichen Abstände.
Im Englischen das "Sir" bzw. andere kleine Marker.
Im Niederländischen würde die ältere Tante auch gerne mal ge-U-t, also gesiezt! Auch da gibt es die Unterschiede zwischen dem Du und dem Du über andere Zeichen.
Im Deutschen das hanseatische Sie: "Heiko, haben Sie ..."
Und das rheinische: "Frau Schmitz, hässt Do ..."
Dem Rheinen ist alles Rhein.
Lowandorder
@Janix Wiewohl aus Coesfeld & D-doof beherrscht Jürgen Roters als gelungener Nachfolger vom unseligen Antwerpes das rheinländische Du-Siezen mühelos - zB wenn er sich etwas spät dran im Casino an mir kurz vorbeischob und nach vorne rief “…haltet mir nen Platz frei!“ & sich wieder schmunzelnd in die Essenreihe stellte. (klar - Antwerpes hätte sich eher die Finger im Hosenstall abgebrochen: Gehobener & Mittlerer Dienst - durften auch Freunde sich nicht Duzen! & ps Sekretärinnen nicht auf seinem! Flur - Wohnung nehmen - vgl Lovando mal ausführlicher!;)((
klar - Manche sind halt gleicher
Krumbeere
Ich empfinde diese duzerei unerträglich. Nach dem ich, wie millionen andere auch, im Juni einen Einzelvertag für das Kabelfernsehen abschliessen musste, wählte ich den bisherigen Versorger Vodafone. Im Angebot, Vertragsoptionen etc. wurde ich ungefragt geduzt. Daraufhin bat ich dies zu unterlassen da ich das als übergriffig enpfinde.
In der Antwort stand was von moderen Umgangsformen blabla. Ich schrieb dann zurück, das die Anrede auch was mit Respekt zu tun hat und lehnte das Angebot ab.
Ahnungsloser
@Krumbeere Respekt hat mal rein gar nichts mit duzen oder siezen zu tun.
Ich duze alle meine Mitarbeiter und werde auch von ihnen geduzt. Und wir haben sehr viel gegenseitigen Respekt.
Ist in unserem Unternehmen in 90% aller Bereiche so. Bis hoch in die GF.
Eine Unterscheidung Sie/Du wird immer in größeren Meetings schwierig, wenn man einen Teil duzt, den anderen siezt.
Krumbeere
@Ahnungsloser Einen Menschen, mit dem ich zunächst rein beruflich zu tun habe, spreche ich mit Sie an und erwarte auch ein Sie. Ein Du bedeutet eine Herabsetzung und Verniedlichung des Gegenüber. Selbstverständlich gibt es auch Kollegen, mit den ich schon viele Jahre zusammenarbeite und die ich mit Du anrede (nach beiderseitigem Einverständnis).
Wenn wir ein Meeting mit anderen haben, sprechen wir uns im Meeting trotzdem mit Sie an.
Sollte das Du in ihrem Unternehmen die Regel sein ...okay. Das können Sie aber nicht als Voraussetzung für die Allgemeinheit ausserhalb des Betriebs anwenden.
Ahnungsloser
@Krumbeere Kann jeder handhaben wie er will. Mir ging es um das Thema „Respekt“. Das hat nichts mit Du/Sie zu tun.
Bei uns im Unternehmen kommt dazu, dass wir eine sehr geringe Fluktuation haben. Daher kommen auch die Führungskräfte (bis hoch zur GF) Fast alle aus dem eigenen „Stall“. Das ist daher auch ein Grund für unseren sehr guten Umgang miteinander. Und jemanden zu siezen den ich eigentlich duze, halte ich für albern.
Hinzu kommt, dass ich (wir) sehr international arbeiten. Auch da ist es üblich sich mit Vornamen und natürlich „you“ anzusprechen
D. MEIN
Das Du ist noch harmlos.
Völig überrascht wird man, wenn einen der Kellner, wie in Rostock, mit Lovely begrüsst.
War keine Nachtbar sondern ein normales Restaurant.