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Haltung von Haustieren„Wir genießen, dass wir überlegen sind“

Haustiere waren uns nie näher, dennoch bleiben sie uns unterworfen. Der Kultur­wissen­schaftler Roland Borgards will eine Haltung ohne Herrschaft.

Er hat die Strümpfe schön: vom Menschen gemachter Pudel auf einer Hundeshow in New York, 2025 Foto: Dolly Faibyshev/Redux/laif

Interview von

Lino Wimmer

taz: Herr Borgards, große Kulleraugen, ein rundes Gesichtchen und eine winzige Nase. So sehen viele Haustiere aus. Was gefällt uns daran?

Roland Borgards: Darauf gibt es eine angenehmere und eine weniger angenehme Antwort. Die angenehme Antwort kommt aus der Biopsychologie: Die Haustiere sehen aus wie Kinder, deshalb wollen wir uns um sie kümmern. So gut wie alle kleinen Nachkommen von Wirbeltieren haben kurze Beine, sehen rundlich und ein bisschen pummelig aus.

Dass wir unsere Kinder süß finden, hilft uns, für sie zu sorgen und sie zu schützen. Es ist empirisch gut belegt, dass diese Merkmale ihre Wirkung nicht verfehlen. Man könnte also sagen, dass es in unserer Natur liegt, armen kleinen Dingern helfen zu wollen, zum Beispiel den Möpsen.

taz: Und die weniger angenehme Antwort?

Bild: privat
Im Interview: Roland​ Borgards​

ist Professor für Neuere deutsche Literatur an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Er ist Mitbegründer mehrerer Forschungsnetzwerke und Publikationsreihen im Forschungsfeld der Tierstudien sowie Herausgeber tierliterarischer und theoretischer Texte.

Borgards: Es gibt diese Tiere nur, weil wir sie so gezüchtet haben. Das betrifft nicht nur den Mops und andere überzüchtete Hunderassen, sondern alle Haustiere. Wir haben sie nicht in der Natur vorgefunden, sondern selbst hergestellt, so wie ein Werkzeug. Insofern ist die Niedlichkeit, die wir empfinden, nicht unschuldig.

Was finden wir schön, wenn wir uns in eine weggezüchtete Mops-Nase verlieben? Wir genießen dabei wahrscheinlich immer auch, dass wir diesen hilfsbedürftigen Kreaturen überlegen sind und unsere Macht über die Natur so groß ist, dass wir sogar etwas fabrizieren können, das leidet.

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taz: Das ist eine ziemlich düstere Vorstellung. Woran machen Sie das fest?

Borgards: Es gibt eine Ambivalenz, die in jeder Niedlichkeit steckt. Stellen Sie sich vor, Sie wollen mit süßen Hundewelpen knuddeln. Wenn wir jemand oder etwas cute finden, geht es dabei nicht nur um zärtliches Kuscheln, das Fürsorgliche kann übergehen in einen gewaltsamen Zugriff, etwa ein Quetschen. Die sehen zum Reinbeißen aus, sagt man. Auch da spielt Aggressivität eine Rolle.

taz: Sollten wir also damit aufhören, niedliche Haustiere zu züchten?

Borgards: Wir sollten das jedenfalls niemals auf eine Weise tun, die Qualen verursacht. Ob es einem Tier gut geht oder nicht, ist messbar. Bestimmte Züchtungen folgen ausschließlich kurzfristigen menschlichen Interessen, seien es kapitalistische, soziale oder ästhetische. Wie es den Tieren dabei geht, ist völlig egal.

Das Züchten solcher zwar niedlicher, aber in Qual lebender Haustiere ist für mich die Spitze des menschlichen Egoismus. Denn dabei geht es nur um den eigenen Spaß, sogar um ein Vergnügen an der Herrschaft über das Tier.

taz: Wäre es da nicht konsequent, Haustiere ganz abzuschaffen, so wie viele radikale Tier­schüt­ze­r:in­nen es fordern?

Borgards: Nein, das sehe ich anders. Es ist nicht nur unmöglich, die Verbindung der Menschen zu den Tieren zu kappen, es ist auch nicht wünschenswert. Wir brauchen den Kontakt mit Tieren. Wir sind zwar gefährlicherweise eine besonders mächtige Spezies. Aber genau deshalb sollten wir diese Rolle verantwortungsvoll annehmen.

wochentaz

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taz: Gerade wegen dieser Macht wollen radikale Tier­schüt­ze­r:in­nen Tiere befreien. Sie sehen sklavereiähnliche Zustände.

Borgards: Haustiere sind keine wilden Tiere, sondern gemischte Wesen. Sie sind Produkt einer Domestizierung durch den Menschen. Bevor sie das erste Mal miaut oder gebellt haben, ist unser Verhältnis zu ihnen schon durchzogen von Macht. Nicht jeder Haustierbesitz ist automatisch ein sklavereiähnlicher Zustand. Aber es besteht ein hohes Risiko, dass es zu solchen Verhältnissen kommt.

taz: Wie könnte eine gute Mensch-Haustier-Beziehung denn aussehen?

Borgards: Ich finde es hilfreich, sich Haustiere als Mitbewohnende vorzustellen. Wohngemeinschaften handeln ständig aus, wie sie die Grundbedürfnisse aller Parteien im Zusammenleben berücksichtigen können. Wie sauber wollen wir es haben, wie laut, wie viel Zeit verbringen wir zusammen? Haustiere sollten Teil dieser Aushandlungsprozesse sein, als mitbewohnende Personen einer Interspezies-WG.

taz: Heute schlafen Hunde und Katzen mit im Bett, bekommen künstliche Hüftgelenke und professionelle Beerdigungen. Die Abgrenzung von Mensch und Haustier bröckelt. Steckt darin nicht auch eine Chance für ein herrschaftsfreies Miteinander?

Borgards: Eine sehr große Chance sogar. Genau dieses menschenähnliche Zusammenleben mit uns macht es möglich, sie als Mitbewohnende anzuerkennen. „Make kin, not babies“, sagt die Philosophin Donna Haraway, auf Deutsch: Knüpft Verwandtschaften, statt Babys zu machen. Dabei hat sie die Tiere im Sinn.

taz: Was verändert sich im Zusammenleben mit einem Hund, den ich als meinen Verwandten betrachte?

Borgards: In einer authentischen Beziehung verändern sich beide Leben, also nicht nur das Leben des Tieres, sondern auch mein eigenes. Joshua Vassilakis, der bei mir eine Arbeit über cute Hunde geschrieben hat, formuliert es so: Alles, was der Hund an Vermenschlichung mitmacht, die Hundekleidung, das Schlafen im Bett, fordert auch eine Vertierlichung des Menschen.

Denn wenn ich meinen Hund dazu animiere, sich meiner Lebensweise anzunähern, sollte ich umgekehrt auch dazu bereit sein, mich seiner Lebensweise anzunähern. Das erwarten wir auch von menschlichen Freun­d:in­nen und Verwandten.

taz: Wie kann ich mir das vorstellen?

Borgards: Ich habe neulich eine schöne Szene beobachtet, in einem Park in Stockholm. Ein junger Hund ließ seinem Besitzer, der mit Freunden gemütlich auf einer Picknickdecke saß, keine Ruhe – er wollte spielen.

Der Hundebesitzer hat dann nicht nach einem Stöckchen gesucht, das er werfen kann, sondern ist seinem Hund auf allen Vieren hinterhergerannt. Dann hat sich der Mann auf den Rücken gelegt und seinen Hund freudig angebellt. Mich hat beeindruckt, wie stark der Hundebesitzer sich an den Spielregeln des Hundes orientiert hat.

taz: Das wäre mir ziemlich peinlich. Was spricht gegen das Stöckchenwerfen?

Borgards: Nichts, denn es macht den Tieren ja Spaß. Ich würde es auf keinen Fall verbieten wollen. Aber achten Sie auf die Choreografie: Der Mensch bleibt aufrecht stehen, der Hund rast hin und her. Beim Stöckchen werfen führen wir die jahrtausendealte Geschichte von Mensch und Hund auf.

taz: Inwiefern?

Borgards: Stellen Sie sich einen großen Schäferhund vor, dem Sie einen riesigen Stock in einen Fluss werfen. Der Hund rast los, springt mehrere Meter weit ins Wasser und kommt nass wieder heraus – mit dem Stock im Maul. Genau so fühlt sich Naturbeherrschung an, und darum geht es in der Geschichte von Mensch und Hund.

Der Mensch hat den Wolf, ein Wesen aus der Natur, zu sich geholt und ihm Dinge beigebracht, die er selbst nicht konnte, vor allem bei der Jagd. Mit ihren feinen Nasen spüren Hunde Wild auf und können ihm besser als wir durch den Busch nachrennen. Und der Mensch hat es geschafft, dass dieses Wesen das Wild wieder zu ihm zurückbringt, da es eine Belohnung erwartet.

taz: Dass wir die Natur als etwas sehen, das wir bändigen und nach Belieben nutzen können, steckt tief in unserer kulturellen DNA. Können wir von Haustieren lernen, die Natur mit anderen Augen zu sehen?

Borgards: Ich bin als Mensch immer auch ein Tier. Das ist selbstverständlich, das wissen wir aus dem Biologieunterricht. Haustiere geben uns aber die Gelegenheit, das eigene Menschsein auch als etwas Tierliches zu erfahren.

Dank ihnen kann ich spüren, dass ich als Mensch nicht einsam auf der Welt bin, weil ich sie mit anderen Tieren teile, mit denen ich zusammenlebe. Im Kontakt mit ihnen können wir am eigenen Leib erleben, dass wir in das große Netz des Lebens eingebunden sind, und wir können dieses Netz bereichern und erweitern. So ist es nicht nur mit unseren eigenen Haustieren, sondern auch mit den Vögeln im Garten, denen ich Futter gebe, oder der Nachbarskatze, die bei mir vorbeischaut.

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20 Kommentare

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  • Nun ja, es gibt die Merkmale schon in der Natur, sonst könnte man sie nicht züchten. Die Haustiere sind ja nicht genmanipuliert. Nur in der Natür würden diese schnell ausgesiebt, weil nicht überlebensfähig. Letzlich muss man sagen, trägt der Mensch hier ungewollt zur Erhaltung des Genpools bei.

  • Unsere Katzen sind der Meinung, dass wir ihre Mitbewohner:innen sind.

  • Wie wäre es damit: Keine Haustierhaltung?

    Anarchie mit Tieren, also Haltung ohne Herrschaft, funktioniert nicht, solange das Tier nicht intellektuell das Konzept Anarchie versteht.



    Das nutzen wir halt leider schamlos aus und knechten alle Arten von Tieren zu unserem Nutzen.

  • Schlimm genug, dass wir Tiere halten um sie zu essen, eine Haltung zu unserem Vergnügen finde ich moralisch sehr fragwürdig. Dazu kommt, dass ein Teil der zu fressenden Tiere auch an die Plaisiertiere verfüttert wird.



    Was für ein Abgrund!

  • Mein Magen knurrt ich bin gierig, ich bekomm Speichelfluss und rieche gerne leckere Männer - nicht zu vergessen, mir wachsen Haare an viel mehr Stellen als ich das mit der Öffentlichkeit teilen möchte .... Natürlich bin ich ein hoch kultivieres Tier.



    Es erstaunt mich jedoch über alle Maßen wenn Artgenoss*innendas offenbar erst Tiere halten müssen und diesen profanen Fakt wahrzunehmen.



    Herrschaftszeiten was glaubt ihr wer ihr seid 😅

  • Na ja, sind wir wirklich überlegen? Das ist die Frage.

    Unser Hirn ist zwar ein brillanter Bio-Computer, doch machen wir den Check, was dieser auf der Erde bisher für ein gigantisches Leid erzeugt hat, steht er auf einem Berg von Minus-Punkten

    Und "Machet euch die Erde untertan!" ist wahrscheinlich der schrecklichste Satz der Menschheitsgeschichte.

    Mir gefällt es besser wie die Buddhisten an die Sache rangehen.

    Da geht es nicht um die Vermenschlichung von Tieren sondern um das Erkennen ihrer Essenz, die identisch mit der unsrigen ist.

    Buddha: "Die Wesen mögen alle glücklich leben, und keines möge ein Unheil treffen! Möge unser ganzes Leben Hilfe sein an anderen. Ein jedes Wesen scheuet Qual, und jedem ist sein Leben lieb. Erkenne dich selbst in jedem Sein, und quäle nicht und töte nicht."

    "Erkenne dich selbst in jedem Sein." Das ist der entscheidende Punkt. Tiere sind "fühlende Wesen". Das gilt so im Buddhismus, Taoismus, Jainismus, teilweise im Hinduismus und Sufismus.

    Die glaubensorientierten Religionen hängen da hinterher. Doch auch bei den Christen gab es einen Franz von Assisi.

    Es wird Zeit für einen weitaus freundschaftlicheren Umgang mit Tieren.

  • So genial ich Loriot auch fand, aber ich hätte ihm gerne mal gesagt, dass das Hecheln seiner geliebten Möpse nichts mit Lebensfreude zu tun hatte, sondern damit, dass die durch ihre verengten Nasen nicht genug Luft bekommen haben.

  • Wir genießen, dass wir überlegen sind. Diese Art mit unserer Umwelt umzugehen gestaltet so gut wie jede Beziehung.

  • Wer im Rudel nicht an erster Stelle steht, wird beherrscht. Im Tierreich gelten nun einmal andere Regeln.

    • @ZTUC:

      Nicht nur im Tierreich. Unsere Spezies ist ein Teil davon und diese Regeln gelten auch für uns. Man braucht sich nur aufmerksam umzusehen....

    • @ZTUC:

      Im Tierreich besteht ohne das selbstherrlich-dumme Eingreifen des Menschen immer ein Gleichgewicht zwischen Jägern und Gejagten.

  • Schon traurig, dass das Thema Qualzuchten immer wieder besprochen werden muss. Im Übrigen finde ich die meisten gesundheitlich problematischen Schönheitsideale wie platte Nasen, kurze Beine, Knautschgesichter etc. eher hässlich.

    P.S. Ich weiß natürlich, dass mein aktueller Avatar an Grumpy Cat erinnert und das eine Katze mit Gendefekt war, die nur 7 Jahre alt wurde, aber eine Karikatur ist ja etwas anderes. Ich würde niemals befürworten, dass so etwas „in Serie“ gezüchtet wird.

  • Auch hier fällt mir die überall anwendbare Aussage von Platon ein:



    Alles in Maßen!



    Es gibt wohl kaum eine bessere Feststellung. Weder muss das pure Profitinteresse des Züchters im Vordergrund stehen, noch die überzogenen Forderungen militanter Tier"Schützer". Und auch die modische, selbstgefällige Art und Weise Haustieren Kleidchen oder Anzüge aufzuzwingen. Das ist pure Quälerei für das Tier und idiotische Eigenbefriedigung einer verklemmten, egoistischen Persönlichkeit

  • 1) Katzen haben keine Besitzer, Katzen haben Personal. 😆



    2) Für viele alleinstehende, meist alte Menschen ist das Haustier leider oft der noch einzige soziale Kontakt. Ein Haustier kann also sehr wohl auch Therapie sein.

    • @Hans Dampf:

      Unser Hund ist kein Haustier sondern Familienmitglied.

    • @Hans Dampf:

      Stimmt. Kann ich mit meiner Katze jeden Tag erleben.

      Herr Borgards​ scheint ein bestimmtes Bild vor Augen zu haben und blendet den Rest aus.

    • @Hans Dampf:

      »Katzen haben keine Besitzer, Katzen haben Personal.«

      Den Spruch habe ich ja noch NIE gehört.

  • Der Hund meines Bruders forderte mich regelmäßig auf, ihn durch den Garten zu jagen. Er war mir hinsichtlich Geschwindigkeit und Behendigkeit haushoch überlegen. Selbst wenn ich mich schnaufend auf den Rücken legte, kam er zwar neugierig näher, blieb aber wachsam und wich sofort mit einem eleganten Sprung aus, wenn ich nach ihm griff. Nur dem Geraschel der Tüte mit den Leckerlis konnte er nicht widerstehen und kam dann so nahe, dass ich ihn fassen konnte. Wer hier wohl wen beherrschte?

    • @Il_Leopardo:

      Habe gerade unserem Friedemann 🐕 , ein siebenjähriger Labrador, ihre feine, tierische Episode vorgelesen - hatte den Eindruck es gefiel ihm, jetzt gibt er mir gerade zu verstehen, wir wollen nach draußen 😉

      • @Alex_der_Wunderer:

        Tüte mit den Leckerlis nicht vergessen!