Kommentar Grüne Wahlkampffehler: Das Richtige falsch verkauft
Die Grünen traten mit dem ehrlichsten Programm an und wurden bestraft. Ihr Problem: Sie hatten keine schlüssige Erzählung für das breite Publikum.
S ind die Steuerpläne schuld am Absturz der Grünen, wie es Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann kritisiert? Ja. Und nein. Es ist kompliziert.
Empirisch haltbar ist die Behauptung zunächst nicht. Der mediale Scheinwerfer richtete sich zum ersten Mal Ende April voll auf das Steuer- und Finanzkonzept, vor und nach dem Programmparteitag der Grünen.
Kretschmann wetterte in einem großflächigen Interview gegen die eigenen Pläne, andere Grüne machten begeistert mit. Sie gaben so die willkommenen Kronzeugen für CDU, FDP und marktliberal orientierte Journalisten. Die Wähler störte das kaum, die Grünen legten in Umfragen leicht zu.
Was dann folgte, war eine monatelange, hemmungslose Kampagne von Lobbyverbänden und interessierten Medien, welche die moderaten Belastungen für wenige Gutverdiener in eine Attacke auf die gesamte Mittelschicht umdeuteten.
Die allermeisten Grünen verstanden die Welt nicht mehr. Moment, sie waren doch immer die Guten gewesen? Eben noch lagen sie mitten im ökologisch denkenden Mainstream, im Bio Company-Gefühl, von allen geliebt und geschätzt. Eben noch träumten sie von kuscheligen 15 Prozent, nicht ganz Volkspartei, aber doch beinahe. Und plötzlich wurden sie als Vernichter des bundesdeutschen Wohlstandes angefeindet.
Selbstzweifel und Einsamkeit
Auf diese brutale Schärfe war die Partei schlecht vorbereitet. Es fehlten grüne Experten - welcher Landespolitiker macht schon Steuerpolitik? Es fehlten aber auch strategische Partner.
Die Gewerkschaften blieben stumm. Von der Linkspartei, die ähnliches will, grenzten sich die Grünen früh ab, denn mit Linken spricht man nicht. Nie. Auch zivilgesellschaftliche Bündnisse wie „umFAIRteilen“ begriffen die Grünen zu wenig als freundschaftliche Partner.
Am wenigsten überraschend war noch, dass der zu Stimmungswechseln neigende SPD-Chef am Ende seine Abneigung gegen Belastungen für Gutverdiener entdeckte. Plötzlich standen die Grünen sehr alleine da.
Selbstzweifel, Einsamkeit und sehr entschlossene Feinde, das ist eine ungute Mischung. Zumal der politische Gegner offenbar die Grünen als entscheidenden Hebel entdeckte, um eine Mehrheit links der Mitte zu verhindern. Die Sozialdemokratie erledigte das ja von selbst.
Das strategische Tableau der Grünen, das von Anfang an auf einer wenig aussichtsreichen Machtoption, nämlich einer tief verunsicherten SPD basierte, war diesem Ansturm nicht gewachsen. Deshalb ist es richtig, wenn die Grünen die Strategiefrage jetzt neu diskutieren. Es ist höchste Zeit.
Sie sollten sich nur in alle Richtungen öffnen, nach links und in die Mitte, und sich nicht in den uralten Kämpfen festbeißen, ob nun ausschließlich die Schwarzen oder die Dunkelroten genehm seien. Solche Scheindebatten sind im Jahr 2013 nicht mehr zeitgemäß.
Grüne waren zu ehrlich
Zurück zu den Steuern: Angesichts der bösen Gemengelage haben sich die Grünen ganz gut gehalten, sie gewannen diesen Kampf zumindest intellektuell. Wirtschaftsforscher und Fachjournalisten bestätigten die Sicht, die grüne Spitzenleute - übrigens: nicht nur Jürgen Trittin - mantrahaft vortrugen.
Die grünen Steuerpläne entlasten den allergrößten Teil der Menschen, sie ermöglichen mehr Investitionen in Schulen, Kitas oder in die Energiewende. Sie sind fair und richtig.
Doch dann begingen die Grünen einen Fehler, der absurd klingt, aber wichtig ist. Sie waren einfach zu ehrlich. Ihre Spitzenkräfte stürzten sich in Detaillistisches, sie dozierten über „die Abschmelzung des Ehegattensplittings“, über Fachbegriffe also, die sowohl Journalisten überforderten als auch die Mittelschichtsfamilie in Freiburg oder anderswo.
Bei Normalverdienern der bürgerlichen Mitte blieb ein Gefühl übrig, das mit der Realität nichts zu tun hatte. „Die meinen mich!“ Und gegen Gefühle kommt die Trittin'sche Rationalität, die immer etwas Oberlehrerhaftes hat, nicht an.
Auch das letzte Argument der Grünen, man sei wenigstens ehrlich, wirkt kümmerlich, wenn nebenher eine Pädophilie-Debatte den eigenen moralischen Anspruch zertrümmert.
Bei dieser Wahl haben die Grünen brutal einen Effekt zu spüren bekommen, den die taz-Autorin Ulrike Herrmann gut analysiert hat („Hurra, wir dürfen zahlen“, Westend-Verlag): Die Mittelschicht sieht sich in Deutschland als Teil der Elite. Und sie neigt dazu, sich mit der Oberschicht zu solidarisieren, während sie sich von der Unterschicht abgrenzt. Umgekehrt sieht sich die ökonomische Oberschicht als Teil der Mitte. Mitte, das will in Deutschland jeder sein.
Merkels Wohlfühl-Versprechen verfing
Man darf also zuspitzen: Die Familie in Freiburg, zwei Kinder, 70.000 Euro brutto im Jahr, die den Grünen ihre Stimme wegen der Steuerpläne verweigerte, wurde von sehr gut verdienenden Meinungsmachern für ihre Interessen instrumentalisiert.
Die massive Wählerwanderung von den Grünen zur CDU (420.000 Stimmen) liefert einen Hinweis darauf, dass die Furcht vor dem Griff in die eigene Tasche durchaus eine Rolle spielte. Sie liefert übrigens auch einen Hinweis darauf, dass die Energiewende längst nicht mehr als Alleinstellungsmerkmal für die Grünen funktioniert, aber das ist ein anderes Thema. Mit der CDU ändert sich nichts, dieses wolkige Wohlfühl-Versprechen der Kanzlerin verfing.
Den Grünen kann nun man vorwerfen, dass sie zu sehr einen Arbeiterklassen-Sound bedienten, der an der zufriedenen Mitte vorbei zielte, wie es Ex-Außenminister Joschka Fischer tut. Aber man kann ihnen nicht vorwerfen, sie hätten die falschen Konzepte entwickelt. Ihr Programm war komplett gegenfinanziert, es war präzise und ja, es war auch mutig.
Das ist eine erschütternde Erkenntnis dieser Wahl. Die Grünen traten mit dem ehrlichsten Programm an, und sie wurden dafür am härtesten bestraft. Eine solche Mechanik passt gut in postdemokratische Verhältnisse, sie ist aber für eine so papierverliebte Partei, wie es die Grünen sind, katastrophal.
Bitte keine Details
Die Wähler wollen es offenbar nicht so genau wissen. Sie möchten nicht gequält werden mit Details. Die Grünen müssen von Angela Merkel lernen, so verrückt das klingt. Etwas unschärfer bleiben, das Schmerzhafte nur andeuten, und es dann im Zweifel einfach tun. Merkels CDU macht es bei den Steuern ja gerade wieder vor.
Als wichtigste Erkenntnis des Grünen-Debakels bleibt jedoch etwas anderes. Die Menschen wollen von Politik vor allem ein Versprechen. Sie wollen, dass durch Politik etwas besser wird in ihrem Leben. Die Grünen haben auf 327 Seiten ein sehr gutes Programm aufgeschrieben, wissend, dass die niemand lesen würde.
Aber sie hatten keine schlüssige Erzählung für das breite Publikum. Die Story fehlte. Die Grünen verkauften ein wirres Puzzle, etwas technische Energiewende hier, etwas Bildung da, etwas Soziales dort.
Nur eine einzige Sache haben sie den Wählern wirklich ausführlich erklärt - wie teuer dieses Puzzle ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen