Frankreich verbietet islamische Gewänder: Laizität von Kopf bis Fuß
Erziehungsminister Attal verbietet Schülern und Schülerinnen, aus religiösen Motiven lange Kleider zu tragen. Dafür muss er kein Gesetz erlassen.
Unklar war die Frage, ob diese bis auf die Füße reichenden Gewänder – namentlich „Abaya“ für Frauen oder „Qami“ für Männer – auf einem religiösen Gebot im Islam beruhen. Nicht dieser Meinung ist der Repräsentative Rat der Muslime in Frankreich (CFCM), für den die Abaya keine spezifisch islamische Kleidung darstellt. Und darum sieht der CFCM auch keinen unmittelbaren Handlungsbedarf bei diesem Thema.
Für den zuständigen Minister muss diese Kleidung als ostentatives Zeichen einer religiösen Zugehörigkeit betrachtet werden. Und diese sind offiziell und per Gesetz aus den öffentlichen Schulen der Französischen Republik verbannt. „Wenn ein Lehrer das Klassenzimmer betritt, soll er nicht auf den ersten Blick die Religion seiner Schülerinnen und Schüler erkennen können“, argumentiert Attal.
In diesem Sinne hat er mit dem expliziten Verbot vor allem eine von den lokalen Schulleitungen gewünschte Klärung geliefert. Einen neuen Paragrafen braucht es seiner Darstellung nach dazu nicht, da das Gesetz von 2004 in dieser Hinsicht bereits ausreicht, weil darin keine ausführliche Liste der nicht zulässigen Bekleidungen aufgeführt ist.
Religion an Frankreichs Schulen
Die Beschwerden wegen Verstößen gegen die Laizität – die strikte religiöse Neutralität in den staatlichen Schulen – haben sich laut einem von mehreren Medien am Montag zitierten internen Rundschreiben des Erziehungsministeriums mehr als verdoppelt: von 2.167 für 2021/22 auf 4.710 für das Schuljahr 2022/23. Das nationale Bildungssystem sei wegen zunehmender islamischer Kleider in Schulen „mit einer Epidemie konfrontiert“, warnte Staatspräsident Emmanuel Macron.
Attal kündigte den in der Sorbonne versammelten Rektoren am Donnerstag an: „Unser Schulsystem wird getestet. Wir wissen, dass in den letzten Monaten religiöse Bekleidungen wie Abaya und Qami in gewissen Schulen aufgetaucht sind. Wir werden dem entschieden die Stirn bieten.“
Sein Vorgehen entspricht der Politik der letzten drei Jahrzehnte, islamische Kopftücher in Schulen und Verwaltungen und Integralverschleierung in der Öffentlichkeit sukzessive zu verbieten. Zweifellos wird dem Erziehungsminister in den kommenden Tagen vorgeworfen werden, er habe dem Druck von ganz rechts nachgegeben oder zumindest versucht, den Rechtspopulisten den Wind aus den Segeln zu nehmen, die bei jeder Gelegenheit vor einer „Gefahr der Islamisierung“ warnen.
Positiv reagieren die Schulleitungen auf das Verbot. Sie fühlten sich bislang auf sich gestellt. Auch die Lehrergewerkschaften begrüßen Attals Entscheid, betonen aber, dass in jedem Fall der Dialog mit den betroffenen Familien einer Sanktion vorzuziehen sei.
Aus eigener Erfahrung meint in der französischen Tageszeitung Le Monde der Lehrer Rémy-Charles Sirvent, „in neun von zehn Streitfällen“ könnten die Schulbehörden im Gespräch eine Lösung finden. Zudem müsse vermieden werden, dass wegen solcher Konflikte Schülerinnen und Schüler aus dem Bildungssystem der Republik ausgeschlossen und in private religiöse Einrichtungen ausgegrenzt werden.
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