Forderung nach „nordischem Modell“: SPD-Frauen wollen Sexkaufverbot
Die Koalition unter Schröder hat Prostitution in Deutschland liberalisiert. Jetzt drängen führende Sozialdemokratinnen auf eine Kehrtwende.
So fordert etwa die Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF), Maria Noichl, ein Sexkaufverbot und Freierbestrafung. „Noch einmal zur Klarstellung“, twitterte sie am internationalen Hurentag Anfang Juni: „Sexarbeit ist weder Sex noch Arbeit. Sexarbeit ist Menschenrechtsverletzung!“ Auch im Gespräch mit der taz wird Noichl deutlich: „Am Tag von 30 Männern penetriert zu werden, mag für eine sehr kleine Gruppe die Erfüllung sein“, sagte sie. Aber die Realität sehe für viele Frauen anders aus: Prostitution sei „ein Spinnennetz, in dem sich Frauen verfangen“. Mit einer liberalen Prostitutionsgesetzgebung verkomme Deutschland „zum Puff Europas“.
Sollte sich diese Positionsbestimmung innerhalb der AsF durchsetzen, wäre sie ein Paradigmenwechsel für die sozialdemokratischen Frauen. Noch 2014 waren die Frauen unter ihrer damaligen Vorsitzenden Elke Ferner der Überzeugung: „Ein Verbot der Prostitution löst keine Probleme. Weder Zwangsprostitution, Armutsprostitution noch Drogenprostitution können damit verhindert werden“, so ein Beschlussbericht der damaligen Bundeskonferenz. Das sogenannte nordische Modell verstärke die soziale Ausgrenzung von und die Gefahren für Prostituierte, befanden die Frauen. Arbeitsbedingungen und sexuelle Selbstbestimmung der in der Prostitution Tätigen sollten verbessert werden.
Diese Positionen könnten bald der Vergangenheit angehören – denn Noichl, erst seit einem Jahr AsF-Vorsitzende und Mitglied des SPD-Parteivorstands, steht nicht allein. Im April forderte die ehemalige SPD-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin das nordische Modell in der Zeitschrift Emma. Der Landesverband der AsF Bayern will die Einführung, so hat er es im Mai beschlossen.
Nicht Prostituierte, sondern Freier werden bestraft
In Baden-Württemberg gibt es bereits einen Beschluss des SPD-Landesvorstands, sich für die Umsetzung des Modells in Deutschland starkzumachen, im Herbst soll der Landesparteitag folgen. Die Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier arbeitet daran, das Thema in der Fraktion auf die Tagesordnung zu setzen.
In Deutschland war Prostitution bis nach der Jahrtausendwende sittenwidrig. Prostituierte bewegten sich in einer Grauzone, konnten sich zum Beispiel nicht bei der Krankenkasse anmelden oder sozialversichern. 2002 verabschiedete Rot-Grün das Prostitutionsgesetz, das die Rechte von Prostituierten stärken sollte und sexuelle Dienstleistungen legalisierte. Seit Anfang 2018 gilt zudem das sogenannte Prostituiertenschutzgesetz für die je nach Schätzungen bis zu 400.000 Prostituierten in Deutschland. Das Gesetz wurde erst nach langem Ringen zwischen Union und SPD eingeführt, von Beginn an lehnten es vor allem Berufsverbände und Beratungsstellen ab: Prostituierte müssen einen „Hurenpass“ mit Lichtbild bei sich tragen und Steuererklärungen abgeben, BordellbetreiberInnen müssen sich registrieren lassen.
Das nordische Modell hingegen bestreitet, dass Frauen überhaupt selbstbestimmt als Sexarbeiterinnen tätig sein können, und sieht ein Sexkaufverbot vor, in dem nicht die Prostituierten bestraft werden, sondern gegen die Freier zum Teil hohe Geldstrafen verhängt werden. Vor 20 Jahren wurde es in Schweden eingeführt, mittlerweile gilt es unter anderem in Norwegen, Island, Irland und Frankreich. 2014 forderte auch das EU-Parlament in einer nicht bindenden Resolution, das nordische Modell einzuführen und Prostitution „aktiv zu bekämpfen“. Unumstritten ist das Modell allerdings nirgends: durch Verbote verschwinde Prostitution nicht, sondern werde in die Illegalität gedrängt, so die Kritik.
In Deutschland spricht sich deshalb die Mehrheit der Organisationen, die sich mit Menschenrechten und Rechten von Sexarbeiterinnen beschäftigen – darunter der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen, Hydra oder Amnesty International –, nicht für ein Sexkaufverbot, sondern für eine Verbesserung der rechtlichen und gesellschaftlichen Situation von Prostituierten aus. Auf der anderen Seite stehen sogenannte Abolitionistinnen wie Alice Schwarzer, Terre des Femmes oder die von Leni Breymaier gegründete Ausstiegsorganisation Sisters.
Eine deutsche Partei unterstützt das nordische Modell bislang nicht – doch nun werden die Stimmen innerhalb der SPD dafür lauter. „Ich kämpfe für eine Welt ohne Prostitution“, sagt Breymaier der taz. „Momentan ist Dynamik im Thema.“ Gerade wurde der Betreiber eines Bordells in Stuttgart wegen Beihilfe zu Menschenhandel verurteilt. Im März fand in Mainz der „Weltkongress Prostitution“ gegen sexuelle Ausbeutung von Frauen und Mädchen und für ein Verbot von käuflichem Sex statt, unter den rund 350 Teilnehmerinnen war Alice Schwarzer.
Breymaier ist Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion für Zwangsprostitution. „Da fängt der Wahnsinn schon an“, sagte sie: „Als ob Prostitution etwas anderes sein könnte als Zwang.“ Prostitution mache Frauen an Leib und Seele kaputt.
Leni Breymaier, Bundestagsabgeordnete
Die Befürworterinnen des nordischen Modells rühren die Werbetrommel. Im Juli soll es in Karlsruhe eine Veranstaltung der Landespartei zum nordischen Modell geben, sagte die Vize-Landeschefin der SPD in Baden-Württemberg, Dorothea Kliche-Behnke, der taz. Und in Berlin lädt Breymaier nach eigenen Angaben Ende Juni zusammen mit dem CDU-MdB Frank Heinrich zum Parlamentskreis mit dem Arbeitstitel „Prostitution verbieten“ ein.
Große Zuversicht bei den Befürworterinnen
In der SPD-Fraktion im Bundestag regt sich kaum Widerstand. Ulrike Bahr, früher selbst Berichterstatterin zur Prostitution der Partei, will sich momentan lieber nicht zum Thema äußern. Der frauenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Sönke Rix, neben Breymaier ebenfalls Berichterstatter für Prostitution, ist trotz mehrfacher Nachfrage nicht für die taz zu sprechen. Per Mail teilt er schließlich mit, eine Debatte um den richtigen Weg, Zwangsprostitution zu bekämpfen, gebe es nicht nur in der SPD. Zumindest in dieser Wahlperiode werde es keine „grundsätzlichen Änderungen“ mehr geben.
Einzig Elke Ferner, frühere Staatssekretärin der SPD im Frauenministerium und Vorgängerin von Maria Noichl als Vorsitzende der AsF, verweist auf den bislang gültigen Beschluss der SPD-Frauen. „Zwangsprostituierte müssen jede erdenkliche Unterstützung bekommen, die Nutznießer müssen hart bestraft werden“, sagte Ferner. „Aber diejenigen, die der Prostitution freiwillig nachgehen, dürfen nicht diskriminiert werden.“ Sie sei der Auffassung, dass Prostituierte mit Einführung des nordischen Modells in die Illegalität gedrängt würden. „Mag sein, dass das eigene Gewissen derjenigen mit einer klaren Position reiner ist. Aber ich bezweifle, dass es denjenigen hilft, die der Prostitution nachgehen.“
Doch Elke Ferner hat ihr Amt an Maria Noichl übergeben – und Noichl will erreichen, dass das nordische Modell auf Bundesebene auf der Tagesordnung steht: 2020 bei der Bundeskonferenz der AsF, dann auch auf SPD-Ebene. „Momentan haben wir die Mehrheiten dort noch nicht“, räumt sie ein. Aber dass das nordische Modell über kurz oder lang nicht nur in Deutschland, sondern „in ganz Europa kommt – da bin ich mir sicher“.
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