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Fokus auf GazakriegSolidarität heißt: sich den eigenen Abgründen stellen

Der Nahost-Konflikt wird zu eindimensional dargestellt, kritisiert unsere Kolumnistin. Oft ist er Bühne für moralische Selbsterhöhung.

Die Grenze zwischen Israel und Gaza, am 19.5.2025 Foto: Ohad Zwigenberg/ap

E in Leitsatz, ein universeller Wunsch lautet: Das Leid muss enden. Für alle Konflikte dieser Welt. Für die Ukraine, für Syrien, Kaschmir, den Sudan – für die Menschen in Gaza. Für die verschleppten Geiseln. Für Israel.

Und doch kreisen Kommentare und Appelle überproportional um Gaza. Keine neue Erscheinung. Wer die deutschen Debattenbeiträge der letzten Wochen liest, den Tonfall, die Pathosformeln, die moralische Selbstgewissheit, spürt: Hier wird mehr verhandelt als ein Krieg. Es ist auch Entlastung. Es ist das gute Gefühl, endlich auf der richtigen Seite zu stehen.

Die Lage in Gaza ist desaströs. Hunderttausende hungern, fliehen, trauern. Die Zerstörung, die Unmöglichkeit eines normalen Lebens – katastrophal. Da gibt es kein Aber. Die in Teilen rechtsextreme israelische Regierung unter Benjamin Netanjahu trägt Verantwortung. Sie sollte keine Zeit verlieren, dem ein Ende zu bereiten. Die Hamas darf hier aber nicht vergessen werden. Um den Krieg zu beenden, könnte sie jederzeit kapitulieren, endlich die Geiseln freilassen, ihre Bevölkerung erlösen. Stattdessen führt sie ihren blutigen Terror weiter. Mit realen Menschenleben als Spielball.

Währenddessen klopfen sich Kommentatoren und Social-Media-Aktivisten auf die Schulter. Der Konflikt wird eindimensional dargestellt – als Bühne für moralische Selbsterhöhung. Umso wichtiger, einen Schritt zurückzutreten: Warum gerade hier so leidenschaftlich?

Abwehr von Schuld

Es ist möglich, mehrere Dinge zugleich zu besprechen: Kriegsführung, Forderungen, Kritik – und das Bedürfnis dahinter. Wer mit moralischem Anspruch spricht, muss auch den Ort reflektieren, von dem aus gesprochen wird.

In einer Zeit, in der um Antisemitismusdefinitionen gestritten wird, ist die Frage „Wozu Antisemitismus?“ produktiver. Die Psychoanalytikerin Ilka Quindeau beschreibt Antisemitismus als unbewusstes Entledigungsmanöver: Er dient der Abwehr von Schuld. Auch das Schuldbekenntnis kann instrumentalisiert werden, zur moralischen Selbstinszenierung.

Diese Dynamik ist präsent, wird aber verdrängt. Sie heißt dann „Israelkritik“, „Humanismus“, „Moral“. Der Vorwurf, Solidarität sei bloß ein Schuldreflex, wie Josep Borrell, Ex-Außenbeauftragter der EU, formulierte, verschiebt die Perspektive. Es entsteht der Eindruck, der Holocaust habe seine Schuldigkeit getan. Dass Erinnerung heute verdächtig sei. Ein gefährlicher Gedanke. Es ist eine dialektische Umkehrung: Nachfahren der Täter fühlen sich ermächtigt, dem jüdischen Staat Lektionen zu erteilen. Die Lehre aus Auschwitz lautet plötzlich: Gerade deshalb müssen wir Israel kritisieren. Ein moralisch bequemes, politisch folgenreiches Paradoxon.

Dazu passt der Umgang mit Margot Friedländers Tod. Sie wird zu Recht geehrt, ihre humanistischen Forderungen, die sie aus ihrer Erfahrung als NS-Überlebende ableitete, leider aber von manchen umgedeutet – als parteinehmender Kommentar zum Krieg in Gaza. Dabei war sie eine versöhnliche Jüdin, sprach über Empathie, Bildung, Menschlichkeit. Sie war anschlussfähig – für ein Land, das sich nach Erlösung sehnt. Ihr „Nie wieder“ war ein Angebot. Bei anderen ist es oft ein Selbstlob.

Wie man Antisemitismus produktiv kritisiert

Was Friedländer nie laut sagte, aber vielleicht dachte: Wahre Solidarität mit Juden heißt, sich den eigenen Abgründen zu stellen – auch den unbewussten. Quindeau schreibt, nur durch Selbstreflexion lässt sich Antisemitismus produktiv kritisieren. Nicht durch Posts. Nicht durch Essays. Und nicht durch einen belehrenden Gestus gegenüber einem Land, das um sein Überleben kämpft.

Vielleicht ist es an der Zeit, Kritik an Israel nicht nur auf moralische Richtigkeit zu prüfen, sondern auch auf ihre Motivation. Wer meint, aus der Geschichte gelernt zu haben, sollte nicht zuerst Israel befragen – sondern sich selbst.

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Erica Zingher
Autorin und Kolumnistin
Beschäftigt sich mit Antisemitismus, jüdischem Leben, postsowjetischer Migration sowie Osteuropa und Israel. Kolumnistin der "Grauzone" bei tazzwei. Freie Podcasterin und Moderatorin. Axel-Springer-Preis für jungen Journalismus 2021, Kategorie Silber.
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44 Kommentare

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  • „Und nicht durch einen belehrenden Gestus gegenüber einem Land, das um sein Überleben kämpft.“ Israel kämpft um sein Überleben, sein Existensrecht… was machen denn die Palästinenser gerade? 700.000 israelische Siedler im WJL und Ost- Jerusalem, das Gebiet sieht aus wie ein Flickenteppich von Mauer und Zäunen durchzogen. Bereits vor dem 7/10 war es dort das tödlichste Jahr seit langem undesirable Kriegsbeginn hat die isr. Regierung nicht nur die größte Landaneignung seit Oslo beschlossen, sondern auch den Bau neuer Siedlungen auch auf den Golanhöhen, Zehntausende wurden vertrieben und es gab auch dort eine massive Zerstörung ziviler Infrastruktur und hunderte Tote. Es wird immer wieder von Annexion gesprochen. Gaza: fast komplette Zerstörung der gesamten Infrastruktur, Landwirtschaft, Umwelt, weit über 50.000 Tote und mehr als 100.000 Verletzte. Hunger wird als Kriegswaffe eingesetzt, laut UN 14.000 Babies in akuter Gefahr zu verhungern. Und nun spricht der PM davon alle Bewohner vertreiben zur wollen. Der PM einer Atommacht, mit Marine, Luftwaffe, Landstreitkräften inkl. Panzer + uneingeschränkte Unterstützung der größten Militärmacht USA! Wer kämpft hier gerade um sein Überleben?

  • "Diese Dynamik ist präsent, wird aber verdrängt. Sie heißt dann „Israelkritik“, „Humanismus“, „Moral“. "

    Wenn bald Hunderttausend Palästinenser, vor allem Zivilisten direkt getötet und ein vielfaches davon an Zivilisten im Zusammenhang mit der israelischen Militäroffensive gestorben, verkrüppelt oder gar verhungert sind, dann hat das natürlich etwas mit Moral zu tun. Kriegsverbrechen sind halt unmoralisch.

    Diese Kritik gegen die Politik der in Teilen rechtsextremen israelischen Regierung ist in weitenTeilen der Bevölkerung angekommen, ganz unabhängig vom Antisemitismus.

    Die Realität hat den Begriff "Israelkritik" längst eingeholt und es ist nur noch mit verengten Klimmzügen vermittelbar, warum das Angehen gegen diese Tötungen nicht schon längst höchste politische Priorität haben

  • Sorry, einmal unabhängig vom Inhalt, aber diese Form von geborgter Selbstüberhöhung geht gar nicht:



    "Was Friedländer nie laut sagte, aber vielleicht dachte: ..."!

  • Rechtfertigt der eigene Überlebenskampf, 2 Millionen Menschen auszuhungern und selbst in den Überlebenskampf zu zwingen?

    • @FEB:

      Das ist die einzige Frage, um die es hier geht.

  • Kann eine „moralische Richtigkeit“ einer falschen Motivation entspringen, Frau Zingher?



    Oder wird das Anprangern der Tatsache, dass die IDF in Gaza offensichtliche Kriegsverbrechen begeht, „moralisch unrichtig“, weil man nicht im selben Atemzug den Hamas-Terror vom 7. Oktober erwähnt? Oder nicht sofort an die Massaker an der geschundenen Bevölkerung im sudanesischen Darfur erinnert? An die Vertreibung der Rohingya aus Myanmar oder die Unterdrückung von Tibetern und Uighuren in China - und man erst noch einen Augenblick darüber nachdenken möchte, ob man diese Menschheitsverbrechen als Genozid bezeichnen kann, wie man auch davor zurückschreckt, das israelische Vorgehen in Gaza reflexartig einen Genozid zu nennen?



    Ja, es ist wahr: viele Beiträge in diesem Kontext befassen sich mit „Israel-Kritik“ - quantitativ aber etwa mindestens so viele mit der Abwehr dieser Kritik - und zwar regelrecht obsessiv, wie einzelne Israel-Kritik-Kritiker hier schon meinten.



    Das bloße Unterstellen, dass israelbezogener Antisemitismus dahinterstehe, ist jedoch so falsch wie umgekehrt die Verdächtigung, hier sollen die Verbrechen einer rechtsextremen israelischen Regierung noch relativiert werden.

  • „Es ist das gute Gefühl, endlich auf der richtigen Seite zu stehen.“

    Frau Zingher unterstellt allen, die sich zu dem Konflikt äußern, implizit, dass sie nur eine „Bühne für moralische Selbsterhöhung“ oder „Entlastung“ suchen. Diese Anschuldigung empfinde ich in ihrer Pauschalität ungerecht. Kann sich die Autorin vielleicht vorstellen, dass – und hier rede ich nur von meiner Person, die Motive anderer Kommentierender kann ich nicht beurteilen – ich mir sehr wohl Gedanken mache, warum mich gerade dieser Konflikt so sehr beschäftigt und bewegt? Und ja, das tut er. Die Gründe dafür darzustellen würden an dieser Stelle zu weit führen, aber es ist keineswegs so, dass ich mir darüber keine Gedanken gemacht hätte.

    Tag für Tag bemühe ich mich, den Nahost-Konflikt nicht einseitig zu beurteilen, und die taz leistet dazu eine große Hilfe, eben gerade, weil sie verschiedene Perspektiven zulässt. Frau Zingher aber hat diesem Anliegen einen Bärendienst erwiesen, indem sie mir und sicher vielen anderen Menschen, die hier kommentieren, genau dieses Bemühen abspricht. Schade.

  • "Die in Teilen rechtsextremistische Regierung...."-welch ein Euphemismus! Diese Regierung IST rechtsextrem, und das ohne Wenn und Aber! Ihre und die Politik der Vorgängerregierungen, die ja sogar eine palästinensische Entität (und damit auch eine eigene Staatlichkeit) in Frage stellt, ist eine der Ursachen, dass der Hamas-Hydra immer wieder neu Köpfe wachsen. Mit einem Netanjahu, einem mit intern. Haftbefehl gesuchten Verbrecher, wird es keinen Frieden geben. Das ist schreckl. für beide Völker u. insbesondere für die hoffentlich. noch lebenden Geiseln. Und Europa muss sich endlich seiner Verantwortung stellen, denn schließlich hat der Verrat der europ. Staaten an den euro. Juden während des Holocausts dazu geführt, dass die Palästinenser von ihrem Land vertrieben wurden. Schließlich begann d. Konflikt zwischen der arab. Bevölkerung und jüd. Migranten bereits Ende der 40er Jahre. An Palmach und Stern Zwei Leumi sei hier erinnert. Also bitte bei den hist. Fakten bleiben u. nicht Jedem Andresdenkenden mit der Antisemitismus-Keule drohen!

    • @Micha_1955:

      "..dass die Palästinenser von ihrem Land vertrieben wurden."



      Teilweise wurde das Land an jüdische Menschen verkauft (u.a. Herr Sarsuk,ein arabischer Bürger Beiruts),teilweise haben sie das Land freiwillig verlassen,in der Hoffnung,dass die arabischen Staaten Israel/Juden vernichten und sie danach zurückkehren können.Ich hoffe,die folgende Quelle ist nicht zweifelhaft;ich kann sie nicht einschätzen und bin auf meiner Suche auf sie gestoßen:



      juedischerundschau...-eretz-israel.html

      Die Vertreibung der arabischen Bevölkerung wird meiner,unorthodoxen,Meinung nach dadurch aufgehoben,dass die arabische Seite eine (höhere Anzahl) an jüdischen Menschen vertrieben hat.Ich bedauere es sehr,dass es damals nicht möglich schien,allen Vertriebenen sozialverträglich und freiwillig die Option der Etablierung in dem jeweils anderen Umfeld zu geben.Beide "Parteien" haben Land,Bauernhöfe,Geschäfte zurückgelassen;das hätte doch besser gelöst werden können.(Bin ich seltsam,wenn ich schreibe,dass ich mich für ein gleichwertiges Grundstück/Haus in CH/A aus D "vertreiben" lassen würde?)

      Keine Zeichen mehr.

      • @*Sabine*:

        „ Ich hoffe,die folgende Quelle ist nicht zweifelhaft;ich kann sie nicht einschätzen und bin auf meiner Suche auf sie gestoßen:“

        Ihnen kann geholfen werden:

        de.m.wikipedia.org...au_(Monatszeitung)

        www.spiegel.de/pol...ert-a-1231676.html

        Ich würde das Blatt als eindeutig nicht seriös einstufen, um es mal höflich auszudrücken.



        Und die von Ihnen aus diesem Blatt zitierte Darstellung ist es ebensowenig.

  • "Die in Teilen rechtsextreme israelische Regierung unter Benjamin Netanjahu trägt Verantwortung"

    Eine Regierung gibt lediglich den Weg vor, beschreiten läßt er sich nur wenn eine breite Mehrheit in der Bevölkerung diesen Weg aktiv unterstützt oder passiv, ohne Widerstand, begleitet.

    Macht unterm Strich = die Verantwortung für die derzeitigen Zustände in Gaza trägt die israelische Bevölkerung durch die breite Unterstützung der Maßnahmen ihrer Regierung und die Regierung welche diese Maßnahmen initiiert hat.

    Damit es nicht zu einseitig wird:

    Die Verantwortung dafür das es überhaupt dazu kommen konnte, trägt die Hamas aufgrund ihres Angriffs auf Israel und die palästinensische Bevölkerung, die diese aktiv und passiv unterstützt hat.

    Das ist lediglich die Beschreibung des Ist Zustands und sagt noch nichts über die Hintergründe aus.

    Die Autorin liegt zwar richtig, dass Selbstreflexion richtig durchgeführt vorbeugen kann gegen Selbstüberhöhung, aber in den von ihr angeführten Bereich "Kritik gegen Israel" gibt es auch noch eine andere Methode, die Wissenschaftliche. Diese ist komplexer, aber auch objektiver und sie basiert auf Fakten, ist daher näher an den realen Gegebenheiten.

    • @Sam Spade:

      Das Israel such verteidigt ist unbestritten legitim. Israel trägt aber für das Wie der Vereidigung die alleinige Verantwortung. Israel ist kein Opferstaat sondern mit die größte militärische Macht in der Region. Solange "Groß-Israel" dabei die treibende Motivation der Politik ist, tragen israelische Nationalisten und Rechtsextreme eine gewaltige Mitverantwortung.

    • @Sam Spade:

      "Die Verantwortung dafür das es überhaupt dazu kommen konnte, trägt die Hamas"

      Und wer trägt die Verantwortung für das erstarken der Hamas? Es soll da so einen rechten Ministerpräsidenten in Israel geben, der in der Existenz der Hamas die Garantie sah dass es nicht zu einer Zwei-Staaten-Lösung kommt.

    • @Sam Spade:

      Die Autorin formuliert einen moralischen Appell, sie liefert keine geschichts-, politik- oder sozialwissenschaftliche Analyse eines Konflikts oder eines Diskurses - das geht durchaus in Ordnung, nicht umsonst haben wir es hier mit der taz zu tun.😉



      Zu jedem Konflikt oder Diskurs gehören allerdings mindestens zwei Teilnehmer und es ist naiv zu glauben, die Schuld für mögliche Eskalationen läge immer nur auf einer Seite - so werfe ich Frau Zingher lediglich die einseitig anklagende Ausrichtung ihres Beitrags vor.



      Aber auch damit muss ich leben, wie gesagt: im journalistischen Geschäft geht das vollkommen in Ordnung. Wir können ja noch kommentieren.

      • @Abdurchdiemitte:

        Das Gegengewicht zu Frau Zingher bildet meiner Meinung nach Herr Bax.

  • Wow. In so wenigen Zeilen so viel auf den Punkt gebracht. Danke

    • @Pawelko:

      Haben Sie sich eigentlich mal mit dem Nahostkonflikt und seinen Wurzeln (Stichwort Balfour-Deklaration) auseinandergesetzt? Haben Sie Theodor Herzls Buch "Der Judenstaat" gelesen. In dem wurde explizit die Vertreibung der in Palästina lebenden Araber gefordert. Mit der vorfristigen Ausrufung des Staates Israel am 14.05.1948 und dem gleichzeitigen Verrat der arabischen Reaktion wurden die Palästinenser in einen Krieg getrieben, den sie nur verlieren konnten. Statt dass Europa dafür sorgte, dass die Juden in Europa eine sichere Heimstatt finden und das deutsche Volk seine Schuld dadurch büsst, dass es alle Juden entschädigt, hat man das "Problem" nach Palästina delegiert. Die Palästinenser zahlen heute den Preis für das Versagen von UNO und europ. Zivilgesellschaft, d. den hist. determinierten Antisemitismus nie aufgearbeitet hat.

  • Genau der richtige Text zur Lage!!!

  • Geschichte wiederholt sich nicht; sie wechselt die Seiten

  • Naja, jeden Kritiker der israelischen Regierung zum Nazinachfahren zu erklären ist aber nun wirklich zu einfach gedacht.

    Oder können Deutsche mit Migrationshintergrund, deren Vorfahren erst nach dritten Reich eingewandert sind, etwa niemals "richtige" Deutsche sein. Zwischen Juden und Nazinachfahren gibt es in Deutschland noch viele weitere Menschen, Menschen die aus den ehemaligen Kolonien stammen, haben auch Vorfahren/Familienmitglieder die auf Seiten der Alliierten gegen (!) die Nazis gekämpft haben und reagieren berechtigterweise sauer wenn man sie kollektiv in die Antisemitenecke rückt. Erst Recht wenn der Ankläger ein deutscher Rechter ist.

    Genauso wie es in Europa viele linke Familien gibt, deren Mitglieder aktiv gegen die Nazis Widerstand geleistet haben, die von Nazis unterdrückt wurden, die eingesperrt und manchmal auch ermordet worden sind und die entsprechend sauer werden, wenn man sie in die Antisemitenecke rückt. Erst Recht, wenn der Ankläger ein deutscher Rechter ist.

  • Ja. Die Moralhuberei laeuft bei US und Israel Themen immer zu Hoechstform auf (ja sowohl in den TAZ Artikeln als auch in den Kommentaren ). Wir haben keine extreme Wohlstandsschere wie in den USA und keinen Nachbarn wie die Hamas und bekommen es trotzdem hin, dass jeder 5. Afd waehlt. Was hier los waere, wenn noch mehr Krisen dazukommen, moechte man sich nicht ausmalen. Es gibt genuegend vor der eigenen Tuere zu kehren.

    • @apfel saft:

      „Die Moralhuberei laeuft bei US und Israel Themen immer zu Hoechstform auf …“



      Ja, Teufel noch mal, woran das wohl liegen mag? Handelt es sich doch um die zwei reinsten Unschuldslämmer auf der internationalen Schafweide. Und schließlich gibt es noch genug andere schwarze Schafe zu kritisieren.



      Möglicherweise könnte die „obsessive“ Kritik doch auch dem Umstand geschuldet sein, dass benannte Schäfchen zur eigenen Herde zählen bzw. auf der eigenen Weide stehen - wenn die sich verirren - und das ist ja nun ganz offensichtlich det Fall - , muss ich halt priorisieren und mich vorrangig um DIESE Verirrten kümmern.



      Ich bin mir nur nicht sicher, ob Sie dieser Erklärungsansatz zufriedenstellen wird.

    • @apfel saft:

      Wir haben eine extreme Wohlstandsschere in Deutschland.



      Ich wünsche ein baldiges Aufwachen aus einer gutbürgerlichen Traumwelt.

  • Es wird deshalb mit Maximalvorwürfen Pingpong gespielt, weil wir alle viel lieber Vorwürfe machen als uns selbst zu betrachten oder Vorwürfe zu hören.



    Positiv wirksame Handlungsfähigkeit entsteht dadurch besonders nicht, wenn den Leuten ein positiver Bezug zu sich selbst fehlt.

  • "Warum gerade hier (Palästina/Israel) so leidenschaftlich?"

    Das frage ich mich auch immer wieder.

    Wahrscheinlich ist es eine Kombination aus mehreren Faktoren, die Menschen gerade bei diesem Konflikt "triggern".

    Antisemitismus.



    Ein vermeintlich klarer Unterdrücker und einfaches Freund/Feindbild.



    Der böse Westen gegen den globalen Süden.



    Rassismus durch eine vermeintliche weiße Vorherrschaft (es spielt keine Rolle, dass die meisten Israelis aus dem Nahen Osten stammen).

    • @gyakusou:

      "....es spielt keine Rolle, dass die meisten Israelis aus dem Nahen Osten stammen"-haben Sie dafür Belege? Der Staat Israel wurde vorwiegend von Juden mit osteuropäischen. Wurzeln und Überlebenden des Holocausts gegründet. Bereits dort lebende Juden waren sicher hilfreich bei der Schaffung der entsprechenden Infrastruktur und Kenntnis des arabischen Gegners. Denn das waren Beide im Kampf um knappeRessourcen (Land und Wasser) von Anfang an.

    • @gyakusou:

      Das klare Feindbild (islamistischer Antisemitismus) gibt es aber auch auf der andern Seite. Wenn Palästinenser pauschal als Terroristen verleumdet werden, kräht aber kein Hahn.

  • Was für ein Text! Vielen Dank.

  • Über die flächendeckende Zerstörung von Gaza kann man lange diskutieren. Aber ich stimme zu, dass das nicht ohne Selbstrefektion geht. Wenn ich innerhalb meiner Nachkriegsgeneration anspreche, dass wir zwangsläufig antisemitische Vorurteile haben müssen, weil wir unter verdeckten Antisemiten aufgewachsen sind, stoße ich regelmäßig auf Unverständnis und Widerspruch.

    • @Wondraschek:

      Die eigene Selbstreflexion - beispielhaft angeführt mit der Debatte über die NS-Verstrickung des Großvaters unseres Kanzlers und dessen unreflektiert-abwehrenden Reaktionen darauf - und der politische Streit über das Vorgehen Israels gegenüber den Palästinensern sind aber zunächst zwei unterschiedliche Felder.



      Verwoben sind sie aber dann doch durch die die Frage nach der deutschen Schuld/Verantwortung und den Diskurs über Staatsraison.



      Insofern liegt Frau Zingher auch absolut richtig.



      Außerhalb Deutschlands mag man deshalb ja durchaus anders und „unbefangener“ mit dem Thema umgehen - niemand in Europa und der Welt kann verpflichtet werden, sich die deutsche Perspektive auf Israel anzueignen, aber man kann von Deutschland auch nicht erwarten, ausgerechnet in der ersten Reihe der Israel-Boykotteure zu stehen.

    • @Wondraschek:

      Was wundert Sie daran? Wieso gehen Sie davon aus, dass alle Deutschen zwangsläufig antisemitische Vorurteile haben? Noch bis 1900 war Deutschland im Umgang mit seiner jüdischen Bevölkerung die maßgeblich zum Wirtschaft. Aufstieg Deutschlands vor dem 1. Weltkrieg beitrug, eines der fortschr. Staaten. Das änderte sich radikal nach der Jahrhundertwende. Der zunehmende Judenhass hatte viel mit instrumentalisiertem Sozialneid und gesellschaftl. Spaltung zu tun.

  • Vorweg: Natürlich gibt es Antisemitismus, der sich als "Israel-" oder "Zionismus-"Kritik tarnt.

    Es gibt die Umkehrung wie z.B.: "Die Israelis tun den Palästinensern das Gleiche an, wie die Nazis den Juden."

    Das ist nicht nur die besagte Schuldabwehr, das ist blanker Antisemitismus.

    Ich persönlich kenne das Israel von vor 20 Jahren sehr gut und liebte damals das Land. Waren das Juden, Drusen, Beduinen, Araber, Moslems, Christen unter denen ich damals lebte? Das ist nebensächlich.

    Ebenso die ständige Verteidigung des "Existenzrechts". Das steht überhaupt nicht zur Debatte. Jederzeit müssen Deutschland, Europa, die USA und die Welt da sein, sollte die Existenz Israels bedroht werden.

    Gerade wird in Gaza nicht das Existenzrecht Israels verteidigt. Was in Gaza verteidigt wird, sind die persönlichen Ambitionen Netanjahus und die Landnahmeträume der israelischen Rechtsradikalen.

    Und das zu benennen, hat nun wirklich gar nichts mit Antisemitismus zu tun.

    Ob es irgendetwas erreicht, es auszusprechen, sei dahingestellt. Aber genauso gut könnte man sagen: Wozu überhaupt eine Zeitung wie die taz herausgeben?

    • @Stavros:

      Was die Aussage über Netanjahu & Co. betrifft, stimme ich Ihnen völlig zu. Mein wachsendes Unbehagen resultiert aus dem nicht mehr zu übersehenden Umstand, dass die israelische Politik mittlerweile primär dem politischen Überleben Nethanjahus dient, nicht einmal ansatzweise über ein Friedenskonzept verfügt und dafür buchstäblich über Leichen geht. Auch das innenpolitische Agieren erinnert eher an die Orbans, Maduros und Trumps dieser Welt. Das kommt mir auch bei Erika Zinghers Kommentar zu kurz, auch wenn ich ihrer Grundthese zustimme, dass hinter der Kritik an Israel oft fragwürde Motive stehen. Aber die selektive und opportunitätsorientierte Kritik an Menschenrechtsverletzungen ja war schon immer ein Wesensmerkmal eines Teils der Linken.



      Widersprechen möchte ich, dass das Existenzrecht nicht zur Debatte stünde. Normativ ja, aber faktisch? Selbst ersteres stellen ja schon die "From the river to the see"-Schreier in Frage, ebenso wie die mehrheitlich von den Plästinensern unterstützte Hamas, ganz zu schweigen vor dem kurz vor der eigenen Atombombe stehenden Iran. Und wenn Juden eine bittere historische Lektion gelernt haben, dann die, sich nicht auf andere verlassen zu können,

      • @Schalamow:

        Die Hamas ist eine verbrecherische Organisation, mit der keine grundsätzlichen Kompromisse möglich sind.

        Da gibt es überhaupt keine Frage.

        Ich würde sie auch nicht als Befreiungsorganisation verstehen. Und ihre eigene Bevölkerung interessiert sie überhaupt nicht. Eventuell könnte man sie noch als sehr zynische Mafiaorganisation klassifizieren, da ja einige ihrer Führer sehr gut im Ausland leben.

        Doch am Ende des Tages können die Opfer, die das Vorgehen der israelischen Regierung fordert, nicht mehr mit "Selbstverteidigung" gerechtfertigt werden.

        Ich vermute auch, das ist gar nicht mehr das wirkliche Ziel, sondern eher der "Transfer" der palästinenischen Bevölkerung, von dem die israelischen Rechtsradikalen schon lange träumen.

        Wieviel Gefahr geht heute noch militärisch von der Hamas für die Sicherheit Israels aus?

    • @Stavros:

      "Das steht überhaupt nicht zur Debatte."

      Das sehe ich anders. Die aktuelle gegnerische Kriegspartei (bitte u.a. den Iran nicht unterschätzen) will Israel und jüdisches Leben in der dortigen Region (und weltweit) vernichten. Das finde ich durchaus relevant.

      "Jederzeit müssen Deutschland, Europa, die USA und die Welt da sein, sollte die Existenz Israels bedroht werden."

      Müssen? Das denke ich nicht. Ich hoffe in diesem Punkt nur auf Deutschland und die USA. Die anderen zeigen meiner Meinung nach deutlichst, dass sie eher der gegnerischen Kriegspartei zugeneigt sind. Ich bin sehr froh darüber, dass viele dieser Länder meiner Meinung nach nicht befähigt sind, in den Krieg zu Lasten der jüdischen/israelischen Menschen einzugreifen.

      • @*Sabine*:

        Atombomben sind eine Geisel der Menschheit und ich hoffe, der Iran wird weiterhin (vom Mossad und anderen) daran gehindert, sie zu erwerben.

        Bei Ihrer Einschätzung der anderen Länder vergessen Sie aber, dass es im Nahen Osten eine komplizierte Machtbalance gibt: Die westlichen Verbündeten wie z.B. Katar und Saudi-Arabien haben kein Interesse an einem regional dominierenden Iran.

        Sie vergessen weiterhin, dass die Angriffe des Irans durch gemeinsame Luftabwehr mit Israel verbündeter Staaten abgewehrt wurden, darunter Jordanien und Frankreich.

        Israel existiert in einem gefährlichen Umfeld, das rechtfertigt aber nicht die Vertreibung, das Aushungern und die Tötung zehntausender unschuldiger Menschen.

        Das oberste Ziel muss immer der Schutz menschlichen Lebens sein, egal welcher Nationalität, Weltanschauung oder Religion.

      • @*Sabine*:

        Und durch das Handeln Israels in Gaza und nicht zu vergessen im Westjordanland, wird die Existenz Israels gesichert? Oder wird hier nicht doch Hass gesäät?

    • @Stavros:

      Auf den Punkt, Chapeau! Zumal Sie ja offensichtlich Land und Leute besser kennen als Viele, die hier Israel mit der aktuellen israelischen Regierung verwechseln.

  • Genau das passiert ja, indem kritisiert wird,das Deutschland diesen Krieg aktiv unterstützt. Vor allem auch deswegen, weil wir aktiv an dem Krieg beteiligt sind, ist die Kritik so groß.

    • @fmraaynk:

      "Genau das passiert ja, indem kritisiert wird,das Deutschland diesen Krieg aktiv unterstützt."

      Israel und jüdisches Leben in der dortigen Region wären meiner Meinung nach schon lange vernichtet, wenn Israel auf die waffentechnische Unterstützung Deutschlands angewiesen wäre.

      Das ist, wiederum meiner Meinung nach, glücklicherweise nicht so.

  • Das einzigartige an diesem Konflikt und seiner Rezeption in den Medien ist, dass man eine Überschrift lesen kann, die sagt, der Konflikt würde zu eindimensional dargestellt - und vor Lektüre des Artikels erstmal keine Ahnung hat, welche Dimension das ist.

  • Sehen wir eine individuell-eigennützige Motivation in der Gaza-"Debatte" nur bei Israelkritikern oder auch bei Unterstützern von Israels derzeitiger Kriegsführung?

    • @Kawabunga:

      Die Pointe fast aller Ideologiekritik: es geht immer nur um die Ideologie der Anderen...