Existenzkrise der Linkspartei: Wissler und Schirdewan treten ab
Die Parteivorsitzenden wollen nicht mehr weitermachen. Zwei Monate vor ihrem Bundesparteitag muss die Linke nach einer neuen Führungsspitze suchen.
Er denke, „dass unsere Partei in der jetzigen Situation neue Perspektiven und Leidenschaft braucht, um die notwendige Erneuerung voranzutreiben“ begründete Schirdewan seinen Abschied. Die vergangenen dreieinhalb Jahre an der Parteispitze seien „enorm kräftezehrend“ gewesen, schrieb Wissler in ihrer Erklärung. Jetzt sei „es Zeit, mal einen Schritt zurückzugehen und den Kopf mal durchzulüften“.
Wissler steht seit Februar 2021 der Linkspartei vor, Schirdewan amtiert seit Juni 2022. In ihre gemeinsame Vorsitzendenzeit fällt die Abspaltung des Wagenknecht-Lagers, der Verlust des Fraktionsstatus im Bundestag und der verheerende Absturz bei der Europawahl, bei der die Linkspartei nur noch auf 2,7 Prozent der Stimmen kam. Derzeit liegt sie in den Umfragen bei 3 Prozent.
Mit dem Wissen von heute hätte sie „manche Entscheidung anders getroffen“, zeigte sich Wissler selbstkritisch. Als sie den Vorsitz übernahm, hätte sie ihre Aufgabe darin gesehen, „die Partei in ihrer gesamten Breite zusammenzuhalten“. Allerdings hätte sie bald feststellen müssen, „dass viele Brücken, die ich bauen wollte, bereits mehrfach eingerissen waren“.
Sie hätte sich „gewünscht, dass sie „die Partei nicht durch eine Abspaltung hätte führen müssen“, so Wissler. Aber der Abgang von Sahra Wagenknecht und ihrem Anhang hätte sich nur um den Preis verhindern lassen, „dass wir keine linke Partei mehr wären“.
Verloren gegangenes Vertrauen
Das Ergebnis der Europawahl und die Umfragen in Ostdeutschland zeigten, „wie schwer es ist, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen und dass wir einen langen Weg vor uns haben“. Sie sei jedoch davon überzeugt, dass es eine Partei links von SPD und Grünen brauche, die die Eigentumsverhältnisse grundlegend infrage stellt und „den Kampf um soziale Rechte verbindet mit dem Kampf gegen jede Form von Unterdrückung“, gab sich die 43-jährige hessische Bundestagsabgeordnete gleichwohl unverdrossen.
Auch nach der Abspaltung von Wagenknecht & Co. seien notwendige inhaltliche Weiterentwicklungen zu langsam angegangen worden, räumte Schirdewan ein. Es brauche „ein Ende der teilweise destruktiven Machtpolitik in unseren eigenen Reihen“, forderte der 49-jährige Berliner Europaabgeordnete.
Mit Blick auf die künftige Parteispitze appelierte er: „Gebt denen, die nun bald das Steuer übernehmen, die Chance und das Vertrauen, die Partei auch führen zu können.“ Den Vorsitz der Linksfraktion im EU-Parlament will er behalten. Wer auf dem Parteitag im Oktober Wissler und Schirdewan nachfolgen wird, gilt derzeit noch als völlig offen. Das Personalkarussell dreht sich kräftig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu