Enteignung von Wohnungskonzernen: Es darf enteignet werden
Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes fällt eindeutig aus: Die Forderung von „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ ist zulässig.
„Eine Vergesellschaftung des Wohnungsbestandes von Immobilienunternehmen in Berlin mit mindestens 3.000 Wohnungen wäre auf der Grundlage von Art.15 GG möglich“, schreiben die von Parlamentspräsident Wolfgang Wieland beauftragten Gutachter in einem 38 Seiten langen Papier. Der Artikel 15 des Grundgesetzes sieht vor, dass unter anderem „Grund und Boden“ gegen Entschädigung in Gemeineigentum überführt werden kann – darunter fallen, so das Prüfergebnis, auch die „Bestandteile und Zubehör“ der Grundstücke, also Wohnungen.
Zwar sei der Artikel 15 in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie zur Anwendung gekommen, dennoch ist der Paragraf „geltendes Recht“. Dass es in der Berliner Verfassung keine entsprechende Norm gibt, steht der „Zuständigkeit des Landes Berlin zum Erlass eines entsprechenden Gesetzes“ nicht im Wege. Laut den Gutachtern kann trotz gewisser Bedenken die Verhältnismäßigkeit eines „Vergesellschaftungsgesetzes bejaht werden“. Ausschlaggebend hierfür sei das „weite politische Ermessen des Parlaments“.
Ebenso auf Zustimmung stößt die Zielstellung des Volksbegehrens, ausschließlich private Gesellschaften zu verstaatlichen. „Es erscheint sachlich gerechtfertigt, öffentliche und genossenschaftlich organisierte Wohnungsunternehmen von einer Sozialisierung auszunehmen, da die Annahme nicht willkürlich erscheint, dass bei ihnen der Schutz der Mieter vor überhöhten Mieten eher gewährleistet ist als bei privaten, auf Gewinnerzielung ausgerichteten Unternehmen.“
Eindeutiges Urteil
Der Sprecher von Deutsche Wohnen und Co. enteignen, Rouzbeh Taheri, spricht auf Anfrage der taz von einer „positiven Überraschung über die Eindeutigkeit des Urteils“. Momentan befinde sich der Vorschlag, für den die Initiative bereits 77.000 Unterschriften, davon etwa 60.000 gültige, gesammelt hatte, in der Prüfung der Innenverwaltung. „Spätestens mit diesem Gutachten dürfte es für den Innensenator keinen Grund mehr geben, die Überprüfung in die Länge zu ziehen“, so Taheri. Er erwarte einen „positiven Bescheid in den nächsten Wochen.“
Die Prüfung hatte Anfang Juli begonnen, eine Frist gibt es aber nicht. Bei anderen Volksbegehren dauerte eine Prüfung schon mal ein ganzes Jahr. Das Enteignungsbegehren ist aber deutlich weniger komplex. Es formuliert nämlich kein konkretes Gesetz, sondern fordert den Senat auf, ein entsprechendes Gesetz zu erlassen. Der Landesvorstand der Linken hatte bereits vor zwei Wochen gefordert, es dürfe bei der Prüfung „keine Verzögerung“ geben.
Einen kleinen Dämpfer für die Initiative enthält das Gutachten dennoch. So sei eine Vergesellschaftung mit einer Entschädigung „deutlich unter dem Verkehrswert“ nicht angemessen. Die Initiative sprach bislang von einem Entschädigungswert von 7,3 bis 13,7 Milliarden Euro, eine interne Kostenschätzung des Senats von 28,6 bis 36 Milliarden Euro. Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) hatte zuletzt selbst von 20 Milliarden Euro gesprochen. Für Taheri ist die Summe ein „politischer Aushandlungsprozess“.
Die Mieterbewegung der Stadt hat sich unterdessen darauf verständigt, in der aktuellen Debatte um gesetzliche Regulierungen der Mieten selbst aktiv zu werden. Am 3. Oktober wollen die Initiativen, die im Bündnis Mietenwahnsinn Berlin zusammengeschlossen sind, erneut auf die Straßen gehen. „Richtig deckeln, dann enteignen. Rote Karte für die Spekulation“, soll das Motto lauten. Darüber haben sich bei einem Bündnistreffen am Diestagabend mehr als 70 VertreterInnen verschiedener Initiativen geeinigt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge