Elterngeld für Bestverdienende: Ein anderer Blick auf die Welt
Die geplante Streichung des Elterngelds für besonders gut Verdienende ist fatal. Denn sie trifft vor allem Männer – und die haben Nachholbedarf.
In Berlin gibt es viele öffentliche Toiletten, bei denen auf der einen Seite ein kostenlos zugängliches Pissoir ist. Auf der anderen Seite muss man 50 Cent bezahlen, um hinter verschlossenen Türen sein Geschäft zu verrichten. Genderpolitisch ist das eine große Ungerechtigkeit. Denn Frauen müssen immer blechen. Aber müssten Männer auch zahlen, würden viele einfach irgendwohin pinkeln. Das kann und muss man zu Recht doof finden. Gesamtgesellschaftlich aber hat die pekuniäre Ungerechtigkeit einen positiven Effekt: Es stinkt wenigstens im Wortsinn nicht zum Himmel.
Damit sind wir beim Thema dieses Textes: Männer und ihre Steuerung durch Finanzpolitik. Aktuelles Beispiel: die geplante Kürzung beim Elterngeld.
Weil Finanzminister Christian Lindner (FDP) allen seinen Kolleg:innen für den Bundeshaushalt, der am Mittwoch beschlossen werden soll, deftige Sparauflagen aufgebrummt hat, will Familienministerin Lisa Paus (Grüne) künftig die Förderung von besonders reichen Eltern ausschließen. Paare mit einem Jahreseinkommen von mehr als 150.000 Euro sollen künftig kein Elterngeld mehr bekommen. Bisher liegt die Einkommensgrenze noch bei 300.000 Euro.
Die erste Reaktion liegt auf der Hand. Wer so viel Geld hat, muss nicht auch noch vom Staat gepampert werden, bloß weil er sich ums Baby kümmert. Also weg mit dem Scheiß.
Zu kurz gedacht
Aber das ist zu kurz gedacht. Denn beim genauen Hinschauen erkennt man: Die Kürzung trifft in erster Linie Väter. Also Männer. Denn es gibt nur eine Gruppe, bei denen die elternzeitnehmenden Väter vorne liegen: die der Eltern mit hohem Voreinkommen. Von allen, die den höchst möglichen Elterngeldsatz von 1.800 Euro pro Monat bekommen, sind mehr als 60 Prozent Männer.
Bei allen anderen ist die Beteiligung der Männer an der Babybetreuung immer noch peinlich niedrig. Frauen beantragen dreimal häufiger Elterngeld als Männer. Und sie beziehen es viermal länger. Auf einen Papamonat kommen also 12 Mamamonate.
Dieses krasse Ungleichgewicht hat viele Gründe. Einer davon ist die Situation am Arbeitsplatz. Männer, die Väter nicht nur auf dem Papier sein wollen, haben es im Arbeitsalltag extrem schwer, ihr Recht auf eine Familienauszeit auch wahrzunehmen. Wer den Vätermonologen auf Spielplätzen lauscht, kennt die Geschichten von Kollegen, die sich lustig machen. Vor allem aber von Vorgesetzten, die Vätern alle Steine in den Weg legen. Elternzeit? Mach dich nicht lächerlich!
Nur wie könnte man dieses verkorkste Weltbild in den immer noch überwiegend männlich geprägten höheren Hierarchieebenen nahezu aller Betriebe, diese völlig überholte Sicht auf die Geschlechterrollen aufbrechen? Durch mehr Erfahrung.
Steine aus dem Weg geräumt? Leider nicht
Jeder einzelne Mensch in Leitungsfunktion, der eine intensive Elternzeit erleben durfte, ist ein Gewinn. Weil sie den Blick auf die Welt verändert. Auch auf die Arbeitswelt. Den Umgang mit Kolleg:innen in ähnlicher Situation.
Woher ich das weiß? Weil ich selber seit vielen Jahren leitender Redakteur mit Personalverantwortung bin. Und weil ich mich nach zwei Elternzeiten entschuldigen musste bei Kolleg:innen, denen ich früher nicht alle Steine aus dem Weg geräumt habe. Im Gegenteil.
Der Weg zu mehr Vätern in Elternzeit führt also auch über das Wissen bei den Vorgesetzten auf den höchsten Hierarchieebenen. Über Menschen mit tendenziell sehr gutem Einkommen. Und genau die trifft die nun geplante Kürzung.
Finanziell hätte diese Vätergruppe das Elterngeld gewiss nicht nötig. Als in Euro ausgedrückte gesellschaftliche Anerkennung aber umso mehr. Und es ist eine für die Gesamtgesellschaft lohnende Investition, weil sie – nein, keine Revolution von oben, aber doch an entscheidender Stelle eine Kettenreaktion auslösen kann.
So aber wird gut verdienenden Männern zu verstehen geben, dass es auf sie bei der Kinderbetreuung nicht so ankommt. Da ist es kein Wunder, wenn sich viele beim Wickeln wie beim Pinkeln ins Gebüsch schlagen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Erpressungs-Diplomatie
Wenn der Golf von Mexiko von der Landkarte verschwindet
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Zwei Todesopfer nach Anschlag in München
Schwer verletzte Mutter und Kind gestorben