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Ein-Euro-Jobs als DruckmittelDie Zwangsarbeit kehrt zurück

Eine neue Weisung der Arbeitsagentur droht Bürgergeldempfängern mit Ein-Euro-Jobs. Hamburgs Jobcenter will das gleich probieren.

„Arbeitsgelegenheit“: Der Pakistaner Bilal putzt für knapp einen Euro pro Stunde in seiner Unterkunft in Ellwangen Foto: Wolfram Kastl/dpa

Hamburg taz | Nur mit einer Randbemerkung sprach Hamburgs Jobcenter-Chef Dirk Heyden ein heikles Thema an: die Rückkehr des Ein-Euro-Jobs als Zwangsmaßnahme. Bei einer Fachtagung über Hilfen für Langzeitarbeitslose sagte er, für das kommende Jahr seien 920 Arbeitsgelegenheiten (AGH) finanziert. Da gebe es definitiv keine Kürzung mehr. Und er könne auch „beruhigen“, diese Plätze seien schon zu 95 Prozent besetzt und man werde jetzt „keine Ärgermaßnahmen einrichten, um die Termintreue oder ähnliches zu berücksichtigen“.

Heyden spielt auf eine neue Weisung der Arbeitsagentur von Ende Oktober an, nach der Bürgergeldempfänger, die wiederholt nicht zu Terminen kommen oder Maßnahmen verweigern, „durch Zuweisung in eine AGH verpflichtet“ werden können. Als Sanktion droht die Kürzung des Bürgergelds. Heyden nannte dies eine „politisch motivierte Debatte“, die aus „operativer Sicht“ eine „absolut untergeordnete Bedeutung“ habe.

Doch dann fuhr er fort, man werde die Zielgruppe für AGH „um die kleine Gruppe von Menschen erweitern, die eben nicht mitarbeiten“. Dafür werde man „mal anfangen, für die ersten AGH-Maßnahmen einzelne Kunden auszuwählen. Wir wollen uns konzentrieren auf die Kunden, die wir dreimal eingeladen haben und die dreimal nicht zum Beratungsgespräch gekommen sind. Das ist tatsächlich ein Problemfeld für uns.“

Auch in einer Mail seines Jobcenters an Vertreter der Landesarbeitsgemeinschaft der Beschäftigungsträger (LAG Arbeit), die zur Fachtagung eingeladen hatten, ist die Rede davon, dass man an die Weisung gebunden sei und in den kommenden Monaten „erste Erfahrungen gesammelt“ werden sollen.

Auch wenn die Gruppe der potenziell von der Zwangsarbeit Betroffenen klein ist, werden die damit von Presse und Politik befeuerten Ressentiments gegenüber Erwerbslosen weiter gespeist

Olga Fritzsche, Bürgerschaftsfraktion Die Linke

„Das hört sich an, als würde das Jobcenter die Weisung umsetzen, und das finde ich falsch“, sagt Petra Lafferentz vom Vorstand der LAG Arbeit. „Meines Wissens hat das Jobcenter Spielräume und ist autonom.“ Mit der Zwangsandrohung werde die Arbeitsgelegenheit als Angebot diskreditiert. „Die suchen nicht Personen, für die Arbeitsgelegenheiten ein guter Schritt wären, sondern die, für die das eh nicht taugt“, so Lafferentz.

„Integration in den Arbeitsmarkt funktioniert nie über Zwang“, sagt die Sozialpolitikerin Olga Fritzsche von den Linken. „Auch wenn die Gruppe der potenziell von der Zwangsarbeit Betroffenen voraussichtlich klein ist, werden damit die von Presse und Politik seit Langem befeuerten Ressentiments gegenüber Erwerbslosen weiter gespeist.“ Fritzsche geht davon aus, dass das Jobcenter die Weisung umsetzten muss, aber dabei Ermessensspielraum hat. „Sie müssen die Betroffenen nicht zu einer AGH verpflichten.“

Arbeitsgelegenheiten sind auch bekannt als Ein-Euro-Jobs, weil es zusätzlich zur Hilfe zum Lebensunterhalt einen bis zwei Euro Lohn pro Stunde Arbeit gibt. Sie waren seit ihrer Einführung im Zuge der Hartz-Reform 2005 sehr umstritten, eben weil sie Zwangscharakter hatten. Mit Einführung des Bürgergelds zum 1. Januar 2023 sollte das vorbei sein, der entsprechende Passus wurde aus dem Gesetz gestrichen.

Doch die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP legte im Sommer im Rahmen einer „Wachstumsinitiative“ fest, dass für Bürgergeldempfänger „Konsequenzen bei fehlender Mitwirkung verschärft“ und Sanktionen „kalibriert“ werden sollen. Zudem wird im Bundeshaushalt der Bürgergeldetat für 2025 drastisch gekürzt, weshalb solche Maßnahmen „den Leistungsbezug restriktiver gestalten sollen“, wie der Paritätische Wohlfahrtsverband in einer Analyse schreibt.

Mit diesem Etat, und das war das eigentliche Thema der Tagung „Langzeitarbeitslose ohne Perspektive?“, wird das Budget für die Verwaltung der Jobcenter ebenso gekürzt wie die sogenannten Eingliederungs­titel, aus denen Integrations-Angebote für Langzeitarbeitslose bezahlt werden.

In Hamburg steht die Bürgerschaftswahl vor der Tür und die Bilanz der sozialen Arbeitsmarktpolitik ist nicht gut, weil die reiche Stadt kein Geld dazugibt, obwohl „die Zahl der Arbeitslosen wieder steigt“, wie Klaus Wicher vom Sozialverband SoVD sagte.

Erst vor einem Jahr, das machte der Geschäftsführer der LAG Arbeit, Bernd Schröder, deutlich, waren rund 520 AGH-Jobs in Stadtteilprojekten gestrichen worden. Bei Protesten dagegen wurde deutlich, dass die Betroffenen diese auf freiwilliger Basis als hilfreich betrachten, weil ihr Alltag dadurch Struktur bekommt. Rund 30 Projekte mussten in der Folge schließen oder ihre Angebote deutlich reduzieren, berichtet Schröder. Er warf eine Grafikkurve an die Wand, die bei Hamburgs Beschäftigungsmaßnahmen einen nun schon 14 Jahre dauernden Abwärtstrend zeigt. Es fehlten Sozialkaufhäuser, Seniorencafés und Fahrradprojekte, besonders in ärmeren Vierteln.

Als SPD und Grüne vor vier Jahren ihre Koalition in Hamburg schlossen, versprachen sie, alternativ zu AGH mehr richtige, sozialversicherungspflichtige Jobs über das Teilhabechancengesetz zu schaffen und das mit städtischen Mitteln zu ko-finanzieren. „Das hat nicht geklappt“, sagt Schröder. Versprochenen war, die damaligen 275 Quartiersarbeitsplätze um 550 zu verdreifachen. Es sind aber nur 120 dazugekommen.

Auf der Tagung hatte zuvor die Nürnberger Forscherin Claudia Globisch, die das Teilhabechancengesetz evaluiert, vorgetragen, wie effektiv die Teilhabe-Jobs sind. Allerdings bekommt sie nur, wer schon mehrere Jahre ohne Arbeit ist.

Dem sozialen Arbeitsmarkt droht ein Kahlschlag

Hamburg hat seit Jahren kein eignes Budget für soziale Arbeitsmarktpolitik mehr. Zudem droht nun wegen der von der zerbrochenen Ampelkoalition geplanten Kürzungen im kommenden Jahr eine Unterdeckung im Etat des Jobcenters. Heyden räumte ein, dass er sehr wahrscheinlich wieder „Geld aus der Arbeitsmarkpolitik nehmen muss“, um die Jobcenter-Verwaltung zu finanzieren. Das sei im ganzen Land so.

Gleichwohl gebe es auch eine Entlastung, weil Maßnahmen wie die Rehabilitation künftig direkt von der Arbeitsagentur bezahlt würden. Werde der Bundeshaushalt wie geplant verabschiedet, würde Hamburg im sozialen Arbeitsmarkt im ersten Jahr „keine gravierenden Einschnitte“ planen.

Schröder beruhigt das nicht. „Wenn die Wahl vorbei ist und der Wirtschaftsplan vorliegt, werden wir im Eingliederungstitel nicht mehr viel Geld zur Verfügung haben“, sagt er. „Wir befürchten, dass der soziale Arbeitsmarkt vollständig zum Erliegen kommt.“ Zumal gerade nicht mal die Verabschiedung des Bundeshaushalts sicher scheint.

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45 Kommentare

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  • Dass ein normal gesunder Mensch jahrzehntelang nichts arbeitet, sollte meiner Meinung nach eigentlich nicht vorkommen. Irgendwann sind die Kinder aus dem Gröbsten raus und die Sprache ist gelernt, sollte man meinen.



    Ich denke, dass man dem Gemeinwesen, dass wir alle mit unseren Steuern stützen, durchaus schuldig ist, sich aktiv um Arbeit zu bemühen sowie Tätigkeiten anzunehmen, die einem zugewiesen werden. Auch wenn diese nicht die tollsten oder am besten bezahlten sind. Man kann sich auch durchaus selbst etwas Besseres suchen. Dann verdient man sein eigenes Geld und ist aus dem System raus.



    Nur immer nehmen zu wollen, finde ich problematisch. Auch für den sozialen Zusammenhalt.

  • Die 1 € Jobs gibt es schon seit 2005 Man arbeitet 6 Stunden täglich ehrenamtlich. Wenn man Zb. 1100 € Bürgergeld erhält bekommt man noch einmal ca. 250 € dazu. Das sind dann 1350 € für einen 6 Stundentag.

    Gezwungen wird niemand. Aber Bürgergeld ist kein bedingungsloses Einkommen. Und die meisten Langzeitarbeitslosen sind froh wenn sie arbeiten können

  • Die Agentur für Arbeit, die Jobcenter und die meist im Politsumpf schwimmenden Träger gehören alle kriminologisch untersucht. Der Staat sollte bei Gerichten nachfragen und statistisch erfassen, welche Menschen ihre Rechte gerichtlich erkämpfen müssen und ob es hier ausländerfeindliche Tendenzen gibt, wo diese liegen und an welchen Brennpunkten deutsche Gesetze regelmäßig missachtet werden. Entsprechend sollte anschließend verantwortliches Führungspersonal konsequent auf die Straße gesetzt werden.

    • @BierzeltLeitkultur:

      Ein Augenmerk sollte auch auf Unternehmen und kleinere Familienbetriebe gelegt werden. Hier werden oftmals Langzeitarbeitslose zum Mindestlohn, mit 20 Stunden Verträgen beschäftigt, obwohl von Beginn an klar ist, es fallen jede Menge Überstunden an. Vertraglich ist geregelt, die Überstunden werden nicht Ausgezahlt sonder in weiter Ferne - eventuell einmal Abgefeiert.



      Es werden vom Betieb die Eingliederungshilfen bezogen und der nun Beschäftigte bekommt Bürgergeld zum Aufstocken.



      Nach 12 Monaten wird aus betrieblichen Gründen gekündigt und das Spiel beginnt von vorne.

  • Bitte alle Leistungen zusammenzählen:



    Miete+Heizkosten= 600-1000 Euro



    Krankenversicherung= sagen wir 300 Euro



    Grundbedarf=ca 500 Euro

    Wir reden also eher über 1.500-Euro-Jobs. Die Menschen haben immer noch die Wahl, die Jobs abzulehnen. Aber dann darf die Solidargemeinschaft auch die Zahlungen kürzen. In der Schule gab es bei Gruppenarbeit auch immer diejenigen, die nichts getan haben, aber dann die gute Gruppennote bekommen haben. Das wollen die Leute nicht mehr.

    • @Missverstehen Sie mich richtig:

      Ich habe früher Hartz 4 bezogen und nebenbei einen 450 Euro Minijob gemacht.



      Das ist nun schon 14 Jahre her und ich bin nicht auf dem aktuellen Stand, aber kann folgendes dazu sagen:

      Der finanzielle Rahmen der Übernahme von Mietkosten war so gering angesetzt, daß ich beim notwendigen Umzug kaum ein WG-Zimmer am Stadtrand gefunden habe.



      Strom, Wasser, Internet mussten selbst bezahlt werden.



      Von den "theoretisch" verdienten 450 Euro wurde 280 Euro von meinem Arbeitslosengeld abgezogen. Also eigentlich war es ein 270 Euro Job.

      Nun bin ich mittlerweile fest angestellt und verdiene als Geringverdiener auch nur 1600 Euro netto, aber das ist schon ein Batzen mehr Geld, als zu ALG2-Zeiten.

      Im übrigen: mein Krankenbeitrag liegt bei 156,51 € pro Monat. Das sie die Kosten der Krankenkasse auf 300 Euro pro Monat schätzen, lässt tief blicken in welcher Einkommensklasse Sie sich bewegen. Dazu müsste man 4000 bei meiner Krankenkasse verdienen.

      Im übrigen geht es doch bei der ganzen Hetze gegen Arbeitlose aus der Wirtschaft gar nicht um die Arbeitslosen selbst.



      Die wollen Druck auf mich als Arbeiter ausüben, damit wir bloß keine Ansprüche stellen und uns gegeneinander aufhetzen

    • @Missverstehen Sie mich richtig:

      Derdie Alleinhaushaltende mit ALG2-Bezug hat also scho immer ne Butze für bis ca. 850 kalt, die das Amt bezahlt, bezahlt "freiwillig" ca. 170 Tacken für den Mietanteil an ihrseinem Einkommen KV (die restlichen 130 werden aktuell vom Staat den KK überwiesen) und freut sich nebenbei, keine Rentenversicherung zu bezahlen, wie er*sie sich drüber freut, evtl. die 35+Jahre ned vollzukriegen um auch im Alter noch aufs Amt zu rennen.



      Die "Solidargemeinschaft" kann die angebotenen Tätigkeiten auch mit mindestens Mindestlohn vergüten, alles andere ist Zwangsarbeit.

    • @Missverstehen Sie mich richtig:

      Es sind eben keine "1500€-Jobs", weil der Arbeitsaufwand nur mit 1-2 € vergütet wird. Arbeit muss sich aber lohnen, wenn sie attraktiv sein soll. Ich bin arbeitslos und würde eher die grundgesetzlich maximale Sanktion in Kauf nehmen als mich derart demütigen zu lassen.

      Viele "Arbeitslose" arbeiten übrigens sehr wohl mit in dieser Gesellschaft. Unbezahlt etwa Care-Arbeit oder im Ehrenamt. Ihr Vergleich passt also nicht. Von den "guten Noten" ganz zu schweigen. Die bekommen nämlich die reichen Arbeitslosen (Erben und Kapitalisten).

      • @Karl, der Käfer:

        Als ob die Verkäuferin oder der Ladendetektiv ihre 1.800 Euro netto nur fürdas "sozio-kulturelle Existenzminimum" bekommen würden. Die zahlen Miete, Heizkosten und Krankenversicherung auch aus dem, was die selbst erarbeiten, daher ist es nur fair, das bei denen auch zu berücksichtigen, die mit 1-Euro-jobs wieder an den regulären Arbeitsmarkt heran geführt werden sollen.

    • @Missverstehen Sie mich richtig:

      Es geht hier nicht um irgendwelche guten oder schlechten Noten, sondern einfach nur um das sozio-kulturelle Existenzminimum!!

  • Es gibt in Deutschland keine Zwangsarbeit und es ist auch keine geplant. Wenn ein Leistungsempfänger 3 Beratungstermine ohne triftigen Grund versäumt, zeigt dies eine totale Missachtung der Solidargemeinschaft.

    • @Puky:

      Wissen Sie auch, was bei einem "Beratungstermin" so abläuft? Ich bin arbeitslos und bei mir sind es völlig sinnlose Termine nach immer demselben Muster. Da wird man nicht "beraten", sondern nur ermahnt, man solle sich mehr bemühen.

      Wer so einen Termin "versäumt", tut das von Natur aus aus "triftigem Grund", denn diese Termine bringen nichts. Wer so einen Termin verpasst, schadet der Solidargemeinschaft deshalb auch kein bisschen.

      • @Karl, der Käfer:

        Nein, ich weiß nicht, was bei einem Beratungstermin abläuft. Was ich aber weiß, als Angestellter mach ich auf Anordnung auch gelegentlich sinnlose Arbeiten oder überflüssige Termine. Es kommt mir jedoch nicht in den Sinn, diese Aufgaben dann einfach nicht zu erledigen. Auch im Erwerbsleben wird so ein Verhalten sanktioniert.

    • @Puky:

      Absolut richtig, hier von "Zwangsarbeit" zu schreiben ist gleichbedeutend mit der Behauptung, es gäbe ein Anrecht, sein Leben von anderen finanzieren zu lassen, obwohl man in der Lage ist, dies selbst zu leisten.

  • Ich finde es gut, wenn die 1-Euro-Jobs freiwillig sind und Stadtteilprojekte unterstützen wie Soziales Kaufhaus, Repair-Cafe, Fahrradwerkstatt aber nicht als Zwang und bei gewinnorientierten Unternehmen als Konkurrenz zu regulär Beschäftigen, weil das Ausbeutung ist und regulär Beschäftige dadurch ihre Jobs verlieren.

  • In den kapitalistischen Ländern Westeuropas, Nordamerikas, Südostasiens und Ozeaniens haben sich die Produktivkräfte unglaublich weit entwickelt und entwickeln sich immer weiter. Man könnte sie auf demokratische Weise für zivile und soziale Zwecke nutzen.

    Aber auch den reichen Ländern der "1. Welt" sind Krieg und Sozialabbau ständiger Begleiter und Bestandteil der Politik, als eine Art gesetzmäßig rechter Tendenz des Kapitalismus.

    Das Konzept des "workfare", wie es in den USA bezeichnet wird, also die moderne Form der Zwangsarbeit im Tausch gegen Wasser & Brot, hat sich nicht zufällig im Kapitalismus breit gemacht. Ob das nun "Hartz 4" oder "Bürgergeld" heißt, ist egal, Namen sind Schall und Rauch. Es dient den Profiten, so wie auch der Krieg als Sicherung von Einfluss und Rohstoffen den Profiten dient.

    Ich halte deshalb die Fragen des Friedens und des Sozialen für die wesentlichen Themen dieser Gesellschaft, die es zu lösen gilt.

    • @Uns Uwe:

      Es ist Ihnen sicherlich gerade entfallen, aber das erste politische System des 20. Jhs., das Zwangsarbeit in großem Stil bis hin zur physischen Vernichtung einführte, war die Sowjetunion. Die unvorstellbare Brutalität und systematische Ausbeutung von Menschen im Gulag semantisch auf eine Stufe mit den vorgeschlagenen Maßnahmen (über deren Effizienz man sicherlich streiten kann) zu stellen, die bei Ihnen ja nicht zum ersten Mal zu beobachtende Verdrängung der systemimmanenten Abscheulichkeiten des real existierenden Sozialismus entlarvt sich allerdings von selbst.



      Zu Ihrer persönlichen Weiterbildung: Warlam Schalamow, Erzählungen aus Kolyma.

      • @Schalamow:

        Soso, die Sowjetunion war also real existierender Sozialismus. Woher haben Sie das?



        Die Sowjetunion war schon bei ihrer Gründung viel unentwickelter als der "Westen" und die hatten einiges Nachzuholen. Diese Modernisierung in Konkurrenz zu anderen Nationalökonomien hatte nicht nur in der Sowjetunion verheerende Auswirkungen. Zweitens gab es in der Sowjetunion keinen "real existierenden Sozialismus" - Staatskapitalismus trifft eher zu.

        • @JolandA:

          "Woher haben Sie das? "



          Von Erich Honecker. "Real existierender Sozialismus" ist ein feststehender, von der SED aufgebrachter Begriff.



          Die Diskussion, ob das nun "Sozialismus" sei, ist müßig. Alle kommunistischen Diktaturen haben sich so verstanden bzw. tun es bis heute so. Und die Linken aller Länder haben es, bei aller Kritik, die es bei der unorthodoxen gab, im Kern auch so gesehen.

        • @JolandA:

          "Zweitens gab es in der Sowjetunion keinen "real existierenden Sozialismus" - Staatskapitalismus trifft eher zu."



          Schon seltsam, dass alle in der Realität vorhandenen sozialistischen Gesellschaften (bzw. Ansätze hierzu) nie 'richtiger Sozialismus' waren.

      • @Schalamow:

        Danke für den Buchtipp.

        Ich empfehle Ihnen kurz den Wikipedia-Artikel zum Thema "Zwangsarbeit":

        de.wikipedia.org/wiki/Zwangsarbeit

        Dort kommen auch die Themen "workfare" und "Gulag" vor.

        Beides sind nun mal Formen von Zwangsarbeit. In Russland gab es, wie man dort erfährt, auch schon vor 1917 einen Vorläufer des Gulag-Systems namens "Katorga".

        • @Uns Uwe:

          "In Russland gab es, wie man dort erfährt, auch schon vor 1917 einen Vorläufer des Gulag-Systems namens "Katorga"."



          Die sibirischen Straflager wurden von den Zaren eins zu eins übernommen und weiter ausgebaut. Das hat Tradition, bis in die heutige Zeit, und hat alle Revolutionen überlebt.

  • Ich bin der Meinung, dass dieser "soziale Arbeitsmarkt" nichts weiter bringt als reguläre Beschäftigung zu verdrängen.



    So um 2009 rum, waren diese Jobs doch der "absolute Renner". Da haben sich pflegerische Einrichtungen schön daran satt verdient, und am Personal gespart.



    Ich bin mir sicher Industrie und öffentlicher Dienst freuen sich schon..



    Wer sich jemals mit Arbeitslosigkeit, Bürgergeld und Armut beschäftigt hat, muss erkennen, dass der Staat durch Unfähigkeit völlig versagt hat.



    In Maßnahmen für Menschen ohne Arbeit befinden sich Ü- 50 jährige, Alleinerziehende, Sprachbarrieren, Menschen ohne Berufsausbildung.



    Man sieht hier Probleme von der Wiege bis zur Bahre von A nach B geschoben. Die Schuld wird dem Menschen ohne Job gegeben..

  • Zwangsarbeit kann man in Arbeitslagern z.B. in Russland oder Nordkorea besichtigen.

    • @Matthias Nord7:

      Und in Deutschland. Viele Geflüchtete müssen etwas Zwangsarbeit verrichten.

      Zwangsarbeit ist die Pflicht zu arbeiten bei Androhung von Sanktionen. Die Sanktion muss nicht gleich körperliche Folter oder Tod sein. Es kann auch anderweitig eine Verletzung der Menschenwürde sein. Wer "Totalsanktionen" bekommt, weil er nicht für 1 € pro Stunde Hundekot im Park aufsammeln will, muss quasi unter der Brücke leben. Das ist fraglos menschenunwürdig.

  • Ich kann mich noch an die Gespräche der Erwachsenen, die ich als Kind mitbekommen habe, über den Arbeitsdienst im Faschismus erinnern.



    Dann hat Schröder den Arbeitsdienst 2.0 eingeführt und jetzt die Ampel diesen wieder aufgewärmt.

    • @Tiene Wiecherts:

      Man kann es auch maßlos übertreiben. Der RAD stand vor allem im Dienste der Kriegsvorbereitung bzw. Führung. So weit sind wir noch lange nicht.

  • taz: *Ein-Euro-Jobs als Druckmittel - Die Zwangsarbeit kehrt zurück*

    Deutschland hat kaum noch echte Jobs von denen man als Mensch auch existieren kann, aber Hilfsarbeiterjobs gibt es 'en masse'. Aber die sind wohl den "Arbeitgebern" auch noch zu teuer, deshalb möchte man jetzt die Zwangsarbeit wieder einführen.

    Ja, es geht hier um ein 'Druckmittel' (das hat die taz gut erkannt), aber der Druck richtet sich gegen die Arbeitnehmer. Die Reichen und Mächtigen können dann nämlich zu ihren Arbeitnehmern sagen: "Wenn ihr bessere Arbeitsbedingungen fordert und sogar noch eine Lohnerhöhung verlangt, dann werden wir euch auch ganz schnell in Hartz5/Bürgergeld stecken". Dieses "Spiel" ist sehr einfach zu durchschauen, denn wenn man Bürgergeldbezieher schlecht behandelt, dann wird der kleine Arbeitnehmer es sich nicht wagen Forderungen zu stellen, weil er dann auch in Hartz5/Bürgergeld landen könnte.

    Es hat sich leider in all den vergangenen Jahrzehnten nichts geändert an der Ausbeutung des kleinen Bürgers, nur die SPD hat sich sehr verändert, aber nicht zum Guten. Raider „Hartz IV“ wurde nur in Twix „Bürgergeld“ umbenannt, das alte Hartz-IV-Zwangssystem ist aber so geblieben.

    • @Ricky-13:

      EUR 12,82 Mindestlohn die Stunde für einfachste Tätigkeiten. Selbst für Aushilfen. Ich kenne Selbstständige, die deutlich weniger verdienen.

      Wie soll das Funktionieren?

      • @Dr. Idiotas:

        12,82€ ist ein Minimum, dass auch tatsächlich gebraucht wird, um einigermaßen zu leben.

        Alles was drunter ist, geht auf die Substanz. Mit weniger ist es nicht möglich, die eingesetzten physischen und psychischen Ressourcen zu ersetzen. Wer sich auf diese Art selbst verbrennt, sollte sich nicht beschweren. Jobs mit Mindestlohn gibt es genug.

      • @Dr. Idiotas:

        Ich kenne Selbstständige, die deutlich weniger verdienen.



        ----



        Da hast Du einen Schreibfehler im Text. Das Wort "Selbstständige" solltest Du durch "Selbstausbeuter" ersetzen! Wer mit Arbeit auch als Selbständiger, nicht den Mindestlohn zusammenbringt, ist nicht "Selbständig" sondern "SEHR, SEHR ARM DRAN!" ;-((

        • @Sikasuu:

          Die ersten zwei Jahre der Selbstständigkeit sind in vielen Branchen knochenhart. Manche brauchen auch länger um ein vernünftiges auskommen zu erwirtschaften. Manchmal auch drei oder vier Jahre.



          Ein anderer Punkt ist natürlich die Selbstausbeutung, die viele begehen (müssen) um in der Selbstständigkeit der Branche Ihrer Wahl über die Runden zu kommen.

          Fast das witzigste ist dann, nachdem man über Jahre 60 Stunden die Woche gearbeitet hat, zum Mindestlohn oder weniger, der Neid, wenn es dann endlich läuft. :)

          Da denke ich dann oft: Mitleid bekommt man geschenkt. Neid muss man sich verdienen. :)

        • @Sikasuu:

          "Wer mit Arbeit auch als Selbständiger, nicht den Mindestlohn zusammenbringt, ist nicht "Selbständig" sondern "SEHR, SEHR ARM DRAN!" ;-(("

          Also ich arbeite nur noch unbezahlt. An sich fühle ich mich nicht besonders "arm dran", allerdings diffamieren mich (und viele andere) manche als böse(n) Sozialschmarotzer, weil sie meinen, dass nur, wer Geld verdient (oder einfach hat), zum Gemeinwohl beitrüge.



          In der Frankfurter Rundschau gibt es gerade eine lustige Diskussion zum Thema Bullshitjobs (www.fr.de/wirtscha...-zr-93408556.html).



          Jedenfalls denke ich, dass die Leute arm dran sind, die ihr ganzes Leben lang irgendwelchen Quatsch machen (müssen?), nur um an Geld zu kommen. Vielleicht sogar schädlichen Quatsch, der zum Tod von Menschen oder zur Zerstörung von Werten führt.

          • @Eric Manneschmidt:

            Solche "Blödmänner", die "ihr ganzes Leben lang irgendwelchen Quatsch machen (müssen)", zahlen in ein Sozialsystem ein, dass auch solche Kleverle,die sich darüber erhaben fühlen, mitfinanziert. Ein bisschen Respekt ggü. Menschen mit Scheißjobs fände ich jetzt schon angebracht .

          • @Eric Manneschmidt:

            Sie leben also von nichts?

  • Das ist das Werk der ganz großen Koalition aus SPD, Grüne, FDP und CDU.



    Wer arm ist, ist selber schuld und muss bestraft werden.



    Es ist gut, dass es Wahlen gibt, in Hamburg und im Bund.

    • @Octarine:

      "Es ist gut, dass es Wahlen gibt, in Hamburg und im Bund."



      Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie verboten.



      (Tucholsky zugeschrieben)

    • @Octarine:

      Aber was soll bei den Wahlen rauskommen?

      2005 war das Ende einer schweren Rezession mit Massenarbeitslosigkeit, bedingt durch Umbruch im Osten, Dotcom-Crash und Euro-Einführung. Ganz allgemein war das Bewusstsein verbreitet: Mich kann es auch treffen. Dementsprechend die Proteste gegen Hartz IV und der Aufstieg der Linkspartei.

      2024 ist wohl erst der Beginn einer Rezession mit derzeit noch hohem Beschäftigungsstand. Das allgemeine Bewusstsein ist: Mich wird es schon nicht treffen, es trifft andere, vor allem schlecht integrierte Nichtdeutsche.

      Die Wahlen Anfang 2025 werden wohl keine Abstimmung gegen Sozialabbau sein, leider nicht.

      • @Kohlrabi:

        Ich teile ihre Ansicht.



        Allein das einzige, das uns bleibt sind Wahlen. Und natürlich die Teilnahme an der politischen Willensbildung.



        Wir brauchen eine Diskussion, die sich an der sozioökonomischen Realität orientiert und nicht an ideologischen Konzepten von allen Seiten.



        Wir sollten wenigstens anfangen, ehrlich zu sein.

  • Immer wieder ein schwieriges Thema. Es ist definitiv genug (zuviel) Geld im System. Nur eben nicht genug frei nutzbares Geld. Die 1 Euro Jobs können sehr wohl - richtig eingesetzt - zur Lebensverbesserung von Menschen beitragen. Der persönliche Nutzen von Arbeit ist nicht zu unterschätzen. (Gab es da nicht mal einen O-Ton von Scholz?^^).

    In einigen Jahren wird das Problem aber viel größer sein. Der Job-Kahlschlag durch KI könnte tödlich für den deutschen Arbeitsmarkt sein. Weniger Menschen hin oder her.



    Es würde mich ja mal interessieren ob unsere für 4 Jahre gewählten Politiker das mit einrechnen.

    • @Dr. Idiotas:

      noch nie wurde durch technischer Entwicklung Arbeitsplätze vernichtet, in der Summe. Immer entstanden Neue und davon ganz viele. Weberin in Heimarbeit wurde Fabrikarbeiterin in Weberei usw



      aus Schreibkraft wurde Lochkarte und daraus Computerprogram . . . . . . . KI



      seit Jahrhunderten gibt es die Leute die jede Entwicklung als Zeichen des kommenden Untergangs erkennen



      wann kommt es bei euch an, dass die untergehen die sich nicht entwickeln?

      • @Ramaz:

        Sozial-Darwinismus bleibt Sozial-Darwinismus, egal, wie hochtrabenden er daherkommt. Nicht allen ist die Möglichkeit zum sich entwickeln in einem Ausmaß gegeben, welches sie vor den Wirkungen des stetig voranschreitenden und stets rauher werdenden Brutalokapitalsimus schützen würde.

        Sie zeichnen hier recht kaltschnäuzig eine Welt der vermeintlich gerechtfertigten Massenentwertung und -degradierung und das stößt hier sicherlich nicht nur mir bitter auf.

      • @Ramaz:

        "noch nie wurde durch technischer Entwicklung Arbeitsplätze vernichtet"

        Das ist definitiv nicht richtig

        • @PartyChampignons:

          Es ist nur ungenau ausgedrückt. Natürlich wurden Arbeitsplätze vernichtet, daber andere sind dafür entstanden. Gemeint war, dass "im Saldo" noch nie Arbeitsplätze vernichtet wurden, so verstehe ich es.