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„Die Zauberflöte“ wird upgedatetPamina ist nun politisch korrekt

Die Initiative Critical Classics will eine „Oper ohne Opfer“. Sie hat die Frauenrollen in Mozarts „Zauberflöte“ umgeschrieben, um Sexismus zu tilgen.

Walter Berry als Papageno und Anneliese Rothenberger als Papagena proben 1963 für „Die Zauberflöte“ in Salzburg Foto: Gerhard Rauchwetter/picture alliance

Seit jeher umgibt die Welt der Oper eine Aura der Exklusivität. Um 1600 wurde die kostspielige Kunstform zur Unterhaltung der Reichen und Schönen an norditalienischen Adelshöfen aus der Taufe gehoben. Viele ihrer Geschichten atmen bis heute den Geist vergangener Zeiten – in ihnen wimmelt es von mildtätigen Königen, tapferen Rittern und holden Fräulein.

Sicher spricht nichts dagegen, sich auch 400 Jahre später in vergangene oder fantastische Welten entführen zu lassen – schwieriger wird es, wenn Inhalte transportiert werden, die heute als politisch unkorrekt gelten und als sexistisch und rassistisch wahrgenommen werden.

Deshalb hat Berthold Schneider, ehemaliger Intendant der Oper Wuppertal, die Initiative Critical Classics ins Leben gerufen. Ihr Ziel ist es, auf diskriminierende Sprache in Opern­libretti aufmerksam zu machen. Die Idee kam ihm bei einer Vorstellung von Wolfgang Amadeus Mozarts „Zauberflöte“ im Herbst 2022: „Das Publikum amüsierte sich. Doch an einigen Stellen war deutlich zu spüren, dass das Publikum nicht mit uns lachte, sondern über uns. Es war bei Textzeilen wie ‚Ein Weib tut wenig, plaudert viel‘, bei denen sich die Menschen durch ein peinlich berührtes Lachen von uns distanzierten.“

Mozarts „Zauberflöte“ – das Märchen über einen Prinzen, der sich mit einer magischen Flöte aufmacht, um eine Prinzessin zu retten – gilt als Grundpfeiler des klassischen Kanons und wurde in der Spielzeit 2021/22 allein in Deutschland 245-mal aufgeführt. Gemeinsam mit seinem Team machte sich Schneider an eine modernisierte Textfassung des Kassenschlagers. Darin werden chauvinistische Begriffe wie „Jungfer“, „Fräuleinbild“ oder „Weib“ mit „Mädchen“ oder „Frau“ ersetzt. Dem Duett zwischen Prinzessin Pamina und Vogelfänger Papageno, das die gottgefällige Ehe zwischen Mann und Frau besingt, werden Zeilen hinzugefügt, die die Liebe zwischen „Frau und Frau“ und „Mann und Mann“ berücksichtigen.

Die frauenfeindlichen Attacken des Priesterkönigs Sarastro gegen seine Gegenspielerin, die Königin der Nacht, werden ausgebremst: Die Textzeile „Ein Weib tut wenig, plaudert viel“ etwa weicht den Worten „Sie lügt, sät Zwietracht, schadet viel“. Ein Kommentar erläutert, dass auf diese Weise die sexistische Verallgemeinerung durch eine persönliche Meinung Sarastros ersetzt wird.

Rassismus gibt es nun nicht mehr

Auch jenseits der Sprach­ebene wird eingegriffen. So wird der passiven Pamina, die wie ein Wanderpokal hin- und hergereicht wird, eine zusätzliche Arie in den Mund gelegt – nach einer umgetexteten Mozart-Konzertarie. Überhaupt stünden die Redeanteile der Frauenfiguren in der Zauberflöte im Ungleichgewicht zu denen der Männer, erklärt Leyla Ercan, Diversitäts-Beraterin von Critical Classics: „Das ist eine Manifestation von gesellschaftlichen Ungleichheiten, die sich im Text niederschlagen.“

Den größten Veränderungsbedarf im traditionellen Narrativ der Zauberflöte sieht die Initiative in der Figur des schwarzen Tempelaufsehers Monostatos – ein Bösewicht, der Pamina vergewaltigen will. Im Original singt er: „Alles fühlt der Liebe Freuden / Schnäbelt, tändelt, herzet, küsst / Und ich soll die Liebe meiden, / Weil ein Schwarzer hässlich ist.“ Als Lösung schlägt Critical Classics vor, die Rachsucht der Figur anders zu motivieren: „Bei uns ist Monostatos nicht mehr ethnisch verortet, sondern Sarastros illegitimer Sohn“, sagt Ercan. Als geheimes Kind des Fürsten hat er keinen Herrschaftsanspruch und ist folglich frustriert.

Die Lebendigkeit des Alten unter Beweis stellen

Bis alle problematischen Anteile getilgt oder abgeschwächt waren, vergingen sechs Monate. Die endgültige Fassung ist inzwischen kostenlos online zugänglich – ein Glücksfall für Regisseurin Anna Weber, die auf dieser Grundlage an einer eigenen Version arbeitet, die in der Spielzeit 2024/25 am Na­tio­naltheater Weimar zum Einsatz kommen wird. Sie meint: „Ich komme aus der Komödie, und da ist es ganz üblich, dass verschiedene Werke an aktuelle politische und soziale Begebenheiten angepasst werden. Damit soll ja dem Werk nicht geschadet, sondern vielmehr seine Zeitlosigkeit und Lebendigkeit unter Beweis gestellt werden.“

Für ihre Vorstöße erntete die Initiative aber auch Kritik. Wie der NDR berichtete, kritisierte der hochdekorierte Opern­veteran Klaus Zehelein es als Irrweg, das „Schmutzige, das Diskriminierende aus der Literatur zu eliminieren“ und das „Skandalöse wegzuretuschieren“. Critical-Classics-Gründer Berthold Schneider dagegen plädiert für Empathie mit den Sensibilitäten eines heutigen Publikums: „Die wollen bitte einen Abend haben, wo keine Menschen beleidigt werden.“ Mit seinen Kol­le­g:in­nen will er sich demnächst Bizets „Carmen“ und Bachs „Johannespassion“ vornehmen – für, wie es auf der Webseite von Critical Classics heißt, eine „Oper ohne Opfer“.

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31 Kommentare

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    Die Moderation

  • Wer erinnert sich noch an den verzweifelten Komponisten Don Schnulze in der Sesamstraße der 70er und 80er?

    Der textete immer mit Kermit zusammen bekannte Kinderlieder (an denen er angeblich gerade selbst schrieb) solange um, bis sie für ihn endlich Sinn ergaben. Dabei versuchte er jedesmal gefühlt 15 Mal, sein armes Klavier mit der eigenen Birne zu zerschlagen - oder die Birne am Klavier, egal. Die Ergebnisse sind dann inhaltlich kaum weniger unlogisch, gegenüber dem Original natürlich völlig verfälscht und künstlerisch auch immer recht "weichbirnig". Ich hab mich kringelig gelacht als Kind.

    ...und keine Ahnung, wieso ich gerade jetzt daran denken muss... ;-)

  • Wenn man das dann als Oper von Berthold Schneider präsentiert, geht das in Ordnung. Mozart kann sich ja nicht mehr dagegen wehren.



    Aber warum bei Opern aufhören. Goethes Werke gehören dringend umgeschrieben. Die sind heute nicht mehr auf der Höhe der Zeit ;-)



    Wie könnte man "Sah ein Knab ein Röslein stehn" politisch korrekt umdichten? Herr Schneider, übernehmen Sie!

  • Doubleplusungood.

  • Mensch Leute, meckert nicht so herum! Ich find's toll. Bin selber Sängerin, und bei den genannten Textstellen haben sich schon immer meine Zehennägel aufgestellt.

    Da diese Änderungen ja vermutlich nicht in allen Theaterhäusern übernommen werden, ist es doch ein enormer Spaß, einmal - EINmal! - so eine umgearbeitete Fassung zu erleben. Nehmt es doch mit Humor und Leichtigkeit. Ist doch super, dass wir mal einen nicht-misogynen Kunstgenuss erleben können!

  • "Rassismus gibt es nun nicht mehr"

    Bin ich froh, dass das Problem gelöst ist.

  • Was denn? Ist doch üblich, dass Aufführungen klassischer Stücke durch den Regisseur interpretiert und teils recht frei neu gestaltet werden.

    Und die entrüsteten Stimmen hier in den Kommentaren kann man fragen: Wie oft wart ihr eigentlich in den letzten drei Jahren in einer Oper?

    • @Der dreckich Katz:

      Grundsätzlich sind solche Umgestaltungen, die alte Stücke auch inhaltlich verändern und aktualisieren, völlig legitim. Nur ist das hier eben entlarvend, und zwar weniger für das Ursprungslibretto (das da heute schwer akzeptable Klischees drinstecken, ist logisch und kein Aufreger), sondern für die Niveaulosigkeit und den fehlenden Witz und Esprit der Macher dieser totlangweilig "korrigierten" Fassung, wo alles Anstößige seicht aufgelöst und einfach negiert wird, ohne es dramaturgisch zu nutzen, zum Beispiel subversiv zu unterlaufen. Statt etwa die Figur des Schwarzen auszuloten, dessen angebliche "Hässlichkeit" man ja leicht als rassistische Zuschreibung zeigen könnte, die er selbst internalisiert hat, und damit seine "Bosheit" und den Neid auf das Liebesleben der Privilegierten als subjektiv nachvollziehbar und den Zuschauer in seiner Identifikation irritierendes Moment einsetzen würde (ein subversiver Aspekt, der mglw. schon im alten Libretto steckte), wird er schlicht wegretouchiert, um das Publikum nicht zu provozieren. Sowas kann man (allenfalls) im Musical machen, wo das Publikum Unterhaltung ohne Tiefgang sucht. Hier ist es eine Beleidigung der Zuschauer.

    • @Der dreckich Katz:

      Oft genug.

  • Wird jemand gezwungen die Zauberflöte in dieser überarbeiteten Form aufzuführen?

    Ist es verboten die Zauberflöte Original aufzuführen?

    Es kann doch jede/r/s selbst entscheiden, sich dieses „Werk“ anzuhören/anzusehen.

  • Also, der Tempel muss auch noch raus. Solche religiösen Orte haben in einem Amüsement anderer Kulturen nichts zu suchen.



    Und die Funktion eines „Aufsehers“ sollte durch eine offene Diskussion unter gleichberechtigten Menschen ersetzt werden, die dann alle ihr Handeln reflektieren und einsehen.

  • Ein fröhliches Lachen über diese Bemühungen. Was für Leutchen.

  • Dieser Kommentar ist morgen meistkommentiert und doch völlig irrelevant. Was soll es denn sagen, dass ein paar Regisseure den Stoff verändern? Den Untergang des Abendlandes?



    Seien wir doch ehrlich: Niemand ist bornierter als das Opernpublikum mit seinem untoten Geniekult und an der Kasse werden diese Inszenierungen floppen.



    Ich musste weder darum wissen, noch eine Meinung haben.

  • Ausgerechnet die Zauberflöte: Das „Märchen“ mit dem freimaurerischen Hintergrund, in dem alles fantastisch, überzeichnet und eher archetypisch als stereotyp ist. Zudem das Libretto, an dem Mozart auch inhaltlich am meisten lag, das nicht nur Folie für die Musik war. Und dann werden neue Passagen eingefügt, die auch musikalisch nicht dazugehören. Kann man machen; als Publikum würde ich boykottieren, buhen und/oder vor der Pause gehen. Oder hat die Meldung seit dem 1.4. herumgelegen?

  • Überfällig. Die Story von der Zauberflöte ist so beknackt... Und wer jetzt wegen Wokeness rumheult, einfach mal richtig zuhören, was die Leute da singen, das ist so crazy, da muss man sich echt nicht aufregen, wenn das jemand ändert.

  • „Wenn du jemandem Schwachsinn in den Mund legst, um dich über diese Figur lustig zu machen, machst du dich nicht mit ihren Ansichten gemein. Du machst dich über sie lustig. Wenn die Leute zu blöd sind, das zu begreifen, weiß ich nicht mehr, was ich sagen soll.“

    John Cleese

  • Ob das jemand sehen will?

    Ich bin gespannt.

  • Die Beispiele der Umdichtung, die genannt werden, zeigen, dass eben nicht zwischen „allgemeingültiger Aussage“ und Meinung der beteiligten Figuren in der Zauberflöte unterschieden wird. Es läuft sogar auf das Gegenteil des Gewollten hinaus: Wenn sich Monostatos als Opfer des Rassismus sieht („weil ein Schwarzer [in den Augen der Weißen] hässlich ist“), dann stellt das doch seine eigene Perspektive dar, die von so vielen BIPOC heutzutage geteilt wird. In meinen Augen ist die Adaption der Zauberflöte Schönfärberei, Ausblenden von Problemen statt Kampf dagegen.

  • Ist wohl „entartete Kunst“ für die Anstandspolizei,

  • Die Gruppe um Herrn Schneider hat nicht nur Texte geändert, sondern Herr Schneider fügte noch eine "Arie ein, um sie in ihrer Liebe zu dem Prinzen Tamino nicht allzu passiv dastehen zu lassen."

    Das Selbstbewusstsein von Herrn Schneider und seiner Gruppe, Amadeus Mozart zu "perfektionieren", ist bemerkenswert.



    Ob das Publikum am "Innenleben" von Herrn Schneider und seiner Gruppe ebenso interessiert sein wird, wie an den Gedanken und Gefühlen von A. Mozart bzw. den Rahmenbedingungen, Einschränkungen und Möglichkeiten der Zeit, in der Mozart gelebt und gewirkt hat?

    Ich hoffe, "Critical Classics" setzt sich nicht flächendeckend durch; das wünsche ich, ein "Weib", vormals „Jungfer“ und „Fräuleinbild“, mir sehnlichst.

    Nun ja, man kann dann ja auch immer noch italienische und französische Opern hören ... wobei meine Lieblingsoper nun ausgerechnet eine deutsche Oper ist.

    Herr Schneider und seine Gruppe haben enorm viel zu tun, wenn sie jede Oper auf politische Korrektheit hin ändern wollen.

  • Kann man machen, dann aber als persönliche Interpretation des Regisseurs. Das Original muss schon erhalten und auch aufgeführt werden dürfen.



    Den Rest meiner Meinung hat Jim Hawkins schon wunderbar formuliert. Besten Dank dafür.

  • Ist definitiv bourgeoisie-kompatibler, als mehr Opern von zeitgenössischen Komponisten of color oder Frauen in Auftrag zu geben oder zu inszenieren

    • @hessebub:

      In der Tat, insbesondere für die neue "Bourgeoisie", die ganz genau zu wissen meint, was nun korrekt ist.

  • Nein, das ist völlig unsinnig.



    Was konsumieren diese Leute? Was vernebelt das Gehirn?

  • Immer wenn man glaubt es geht nicht noch abstruser, kommt jemand daher und packt noch einen drauf.

  • Wunderbar, Kunst die keinem wehtut, woke und politisch korrekt.

    Was man da noch alles ummodeln und abschleifen könnte. Virginie Despentes, Houellebecq, Henry Miller, Bret Easton Ellis, Quentin Tarantino. Meine Güte, Little Britain.

    Fängt man erst einmal an, darüber nachzudenken, stellt sich das Ganze als Fass ohne Boden heraus.

    Man sollte eine Beauftragtenstelle einrichten, Meldestellen, Kriterienkataloge erstellen.

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Jim Hawkins:

      Wuppertal. Wokie Dokie.



      In diesen heilgen Hallen



      Ist Mensch dem Wahn verfallen.



      --



      „O, zittre nicht, mein lieber Sohn.



      Ein Jüngling so wie Du, vermag am besten,



      Dies tiefbetrübte Mutterherz zu trösten"



      (Königin der Nacht)

      • @95820 (Profil gelöscht):

        Wokie Dokie. Das gefällt mir.

    • @Jim Hawkins:

      Es gibt also noch viel zu bereinigen, zu läutern.

      Die geläuterte, reine Kunst als Vision, der man sich nach und nach annähert.