Deltavariante des Coronavirus: Wettlauf gegen die 4. Welle

Wieso steigen die Infektionszahlen? Wirken die Impfungen wirklich schlechter gegen die Deltavariante? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Dänische Fussballfans toben auf einem roten Londoner Bus, der durch eine Menge fährt

In London wird gefeiert, auch wenn die Inzidenzen hoch sind. Und hierzulande? Foto: Henry Nicholls/reuters

Die Inzidenz in Großbritannien und einigen anderen Regionen Europas ist wieder stark gestiegen, und das trotz teilweise hoher Impfquoten. Wie gefährlich ist die nun dominierende Variante Delta?

Delta ist nach aktuellem Kenntnisstand vermutlich deutlich ansteckender als ihre Geschwister. Zusätzlich profitiert die Variante wohl auch von dem Missverständnis, dass Geimpfte sich selbst und andere nicht mehr anstecken können. Doch sind, wie bei den meisten Impfstoffen gegen Atemwegs­erreger, Infektionen trotz Impfung nicht komplett auszuschließen. Und je ansteckender und verbreiteter eine Variante, desto häufiger werden ohne schützende Maßnahmen selbst vollständig Geimpfte infiziert – und die können das Virus auch an Ungeimpfte weitergeben.

In Großbritannien kann man derzeit gut verfolgen, was das bedeutet: Obwohl das Land nach Malta und Island die europaweit höchste Impfquote hat, breitet sich das Virus dort seit Wochen wieder exponentiell aus – innerhalb eines Monats hat sich die Inzidenz mehr als verfünffacht und liegt jetzt bei über 280.

Machen Impfungen dann überhaupt noch Sinn?

Auf jeden Fall. Auch das zeigt Großbritannien deutlich: Die Zahl der Todesfälle und Krankenhauseinweisungen nimmt im Vergleich zu den Infektionen nur gering zu. Dieser Effekt ist klar auf die Impfungen zurückzuführen, denn schwere Verläufe werden durch sie größtenteils verhindert. Dazu kommt: Ohne die Impfungen wäre auch der Anstieg der Fallzahlen noch sehr viel höher, denn auch wenn die Impfung nicht vollständig vor Infektionen schützt, tut sie es insgesamt doch recht gut.

Wie ist die Lage in Deutschland?

Auch in Deutschland hat sich der Trend gedreht: Nachdem die Inzidenzen seit Ende April stetig gesunken waren – von im Schnitt 21.000 auf unter 600 gemeldete Neuinfektionen pro Tag –, steigen sie seit einer Woche wieder an. Dieses Wachstum beginnt auf einem sehr niedrigen Niveau und die Daten sind noch nicht ausreichend, um sicher zu sagen, wie stark seine Geschwindigkeit ist. Derzeit deuten sie auf einen wöchentlichen Anstieg von weniger als 20 Prozent hin.

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Die Zahl der Coronatoten und -Intensivpatient*innen sinkt derzeit hingegen noch deutlich. Das ist auch allein aufgrund der zeitlichen Verzögerung zur Infektion nicht anders zu erwarten. Allerdings ist auch damit zu rechnen, dass der Anstieg bei Toten und Intensivpatienten in einer möglichen 4. Welle im Verhältnis zu den Neuinfektionen sehr viel geringer ausfällt als bei den bisherigen Wellen – eben dank der Schutzwirkung der Impfung vor schweren Verläufen.

Israel hat berichtet, dass die Impfstoffe gegen Delta deutlich schlechter schützen. Biontech beantragt wegen Delta eine Zulassung für Dreifachimpfungen. Wie gut wirken die bislang zugelassenen Vakzine noch?

Um es kurz zu machen: Alle zugelassenen Impfungen sind weiterhin wirksam, sie schützen vor schweren Erkrankungen und Todesfällen – auch bei Ansteckungen mit der Deltavariante. Die irritierende Meldung aus Israel ist auf bevölkerungsbasierte Beobachtungsdaten zurückzuführen, die seit Beginn der Impfungen im Januar gesammelt und für verschiedene Zeiträume analysiert wurden. Im vollen Lockdown mit strengen Maßnahmen waren bei Geimpften bis April kaum noch Ansteckungen registriert worden. Man ging deshalb davon aus, dass die Impfung auch die Weitergabe des Virus verhindert.

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Zur jüngsten Meldung des Gesundheitsministeriums liegen noch keine veröffentlichten Daten vor, doch seit Juni hat sich das Bild offensichtlich geändert: Die Maßnahmen in Israel sind weitestgehend aufgehoben, kurzzeitig wurde sogar die Maskenpflicht für Innenräume abgeschafft. Auch Geimpfte stecken sich nun häufiger an, sie sind durch die Vakzine jedoch weiterhin gut geschützt.

Eine dritte Dosis, wie Biontech sie jetzt als Booster einführen möchte, könnte zwar den Schutz vor Infektionen und leichten Erkrankungen erhöhen, die wichtigste Wirkung der Impfungen – der Schutz vor schweren Verläufen – ist aber nach bisherigem Kenntnisstand auch nach zwei Dosen gewährleistet.

Wie entwickeln sich die Impfzahlen in Deutschland?

Das Impftempo in Deutschland hat in den letzten Wochen deutlich nachgelassen: Wurden Mitte Juni noch über 6 Millionen Dosen pro Woche verimpft, waren es zuletzt nur noch 4,5 Millionen – und das, obwohl mehr Impfstoff zur Verfügung steht. Damit sind jetzt 58 Prozent der Gesamtbevölkerung mindestens einfach geimpft; 41,5 Prozent haben bereits den vollständigen Schutz.

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Weil erst die vollständige Impfung ziemlich sicher gegen die Deltavariante schützt, bedeutet das aber, dass die Mehrheit noch nicht sicher ist. Bei den über 60-Jährigen betrifft das etwa ein Drittel der Deutschen, bei den 18- bis 59-Jährigen etwa 60 Prozent; Menschen unter 18 sind bisher fast noch gar nicht doppelt geimpft, und für alle unter 12 gibt es noch nicht einmal einen zugelassenen Impfstoff.

Wird es mit den Impfungen gelingen, eine vierte Welle zu verhindern?

Wohl nicht. Das Beispiel Großbritannien zeigt ja eindrücklich, dass die Zahlen auch bei einer hohen Impfquote steigen. Für Deutschland hat das Robert Koch-Institut in einer neuen Prognose berechnet, dass mindestens 90 Prozent der über 60-Jährigen und 85 Prozent der 12- bis 59-Jährigen geimpft sein müssten, um insgesamt ohne größere Probleme durch den Winter zu kommen. In diesem Fall bliebe die Inzidenz unter 100 und es gäbe nicht mehr als 1.000 Corona-Intensivpatient*innen zur gleichen Zeit. Betrüge die Impfquote bei den Menschen unter 60 nur 75 Prozent, wären gut 2.000 In­ten­siv­pa­ti­en­t*in­nen zu erwarten, bei einer Quote von 65 Prozent wären es mit 6.000 etwa genau so viele wie im letzten Winter.

Für den weiteren Verlauf kommt es also darauf an, ob ausreichend Menschen schnell genug geimpft werden, um den exponentiellen Anstieg zu stoppen. Ob die dafür nötige Impfquote erreicht werden kann, ist offen und hat immer weniger mit der Verfügbarkeit von Impfstoff zu tun. In Umfragen liegt die theoretische Impfbereitschaft zwar in der Größenordnung von 85 Prozent. Dass diese bis zum Herbst erreicht wird, ist angesichts der schon jetzt nachlassenden Nachfrage aber zweifelhaft. Zudem gibt es in der Prognose viele Unsicherheiten. Denn neben der Impfquote hängt der Verlauf unter anderem auch davon ab, wie sich die Zahl der Kontakte entwickelt und in welchem Ausmaß weiterhin Masken getragen werden.

Apropos Masken: Werden die Maßnahmen für vollständig Geimpfte bald aufgehoben?

Schauen wir wieder nach Großbritannien: Dort ist das längst umfassend der Fall. Allerdings gilt wieder: Auch vollständig Geimpfte können sich weiterhin mit Sars-CoV-2 anstecken – seltener zwar, aber sie tragen dennoch zur Verbreitung des Virus bei. Geimpfte sind durch das Vakzin zwar selbst kaum noch gefährdet, sie können aber Ungeimpfte in Gefahr bringen, wenn sie ungeschützt und uneingeschränkt zum Beispiel reisen dürfen und aus Ländern mit höherer Indzidenz neue Viren, womöglich sogar neue Varianten mitbringen.

Die meisten Ex­per­t*in­nen raten darum, zumindest bestimmte Maßnahmen wie Maskenpflicht und Abstand in Innenräumen aufrechtzuerhalten. Das ist bisher auch der Fall: Auch in Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen, wo viele Coronamaßnahmen in dieser Woche aufgehoben werden, bleibt die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln und im Einzelhandel bestehen.

Wird es weitere, noch gefährlichere Mutanten geben?

Weitere Varianten von Sars-CoV-2 sind naturgemäß Programm – wie alle Viren verändert sich auch der Covid-Erreger ständig, wenn auch vergleichsweise langsam. Einige dieser Varianten werden ansteckender sein, manche vielleicht auch schwerere Erkrankungen hervorrufen. Dass jedoch eine Mutante entsteht, die die Impfungen komplett unterwandert und sich trotz Schutzmaßnahmen ausbreitet, ist eher unwahrscheinlich.

Christian Drosten, der zu den weltweit führenden Experten für Coronaviren zählt, sieht für solche Befürchtungen wenig Anlass. Der Virologe von der Berliner Charité sagte bereits vor Wochen in seinem Podcast, aus fachlicher Sicht gebe es gute Gründe zu der Annahme, dass „Sars-Cov-2 gar nicht mehr so viel auf Lager hat als das, was es uns bisher zeigen konnte“. Und was Sars-CoV-2 bisher gezeigt hat, hebt weder die Wirkung von Schutzmaßnahmen wie Masken, Abstand und Kontaktbeschränkungen aus den Angeln, noch mindert es den Schutz vor schweren Erkrankungen und Tod durch die Impfungen.

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