Debatten um Abschiebregeln: Jenseits des Grundgesetzes

Die Bundesregierung reagiert auf den Anschlag von Solingen mit Asylverschärfungen. Damit ist sie denen, die sie bekämpfen will, näher als sie glaubt.

Ministerin Nancy Faeser, SPD, verklärt die inhumanen Abschiebungen als Erfolg Foto: Kay Nietfeld/dpa

Der mutmaßlich islamistische Terroranschlag von Solingen erschüttert Deutschland. Ein 26-jähriger Syrer hat auf dem dortigen Stadtfest mit einem Messer drei Menschen getötet und acht verletzt. Auf die schreckliche Tat folgten Tage diskursiven Durcheinanders: Einerseits versuchten die üblichen Verdächtigen, den Anschlag für ihre Zwecke zu nutzen.

Andererseits schlossen sich auch jene links des konservativ-rechten Spektrums den populistischen Illusionshändlern an und verflochten das Problem des islamistischen Terrors mit Migration. Und so startete auch schon am Freitagmorgen, einen Tag nachdem die Bundesregierung Asylrechtsverschärfungen verkündet hatte, ein Abschiebeflug nach Afghanistan – der erste, seitdem die islamistischen Taliban dort die Macht übernommen haben.

Ausländer raus! So mehrheitsfähig war diese rechtsextreme Forderung in Deutschland lange nicht mehr

Zuvor hatte der politische Überbietungswettbewerb schnell den Rahmen der Vernunft, der Machbarkeit und sogar des Grundgesetzes verlassen. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz forderte, pauschal keine Geflüchteten mehr aus Syrien und Afghanistan aufzunehmen, Menschen dorthin abzuschieben, auch wenn ihnen Tod und Folter drohen, und ausreisepflichtige Straftäter in zeitlich unbegrenzte Abschiebehaft zu stecken.

Fatal ist, dass die anderen demokratischen Parteien dem nicht entschieden widersprachen, sondern mitspielten – teilweise, indem sie Merz zustimmten und seine Einlassungen mit eigenen realitätsfernen und inhumanen Vorschlägen ergänzten, so wie die FDP; teilweise, indem sie die Themen islamistischer Terror und Migration genauso willkürlich vermischten, so, wie es SPD und Grüne taten.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte Gespräche mit der Union und Vertretern der Länder über Änderungen in der Migrationspolitik an. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) beklagte ausbleibende Abschiebungen. Mit einem Positionspapier forderten die Grünen eine „Zeitenwende im Inneren“ und meinten damit auch die Migra­tions­politik.

Einen Vorgeschmack auf das noch Bevorstehende gab es schließlich am Donnerstagabend, als die Bundesregierung ein neues Asylpaket zur Verschärfung der Migrationspolitik ankündigte. Damit streicht sie Geflüchteten, für deren Asylantrag andere EU-Staaten zuständig sind, alle Leistungen und senkt Schwellen für Abschiebungen. Wohlgemerkt handelt es sich dabei erst um eine Gesprächsgrundlage für das bevorstehende Treffen mit der CDU, die diese Pläne schon als unzureichend kritisierte.

Merz will der Ampel den letzten Schlag versetzen

Man könnte nun sagen: Die demokratischen Parteien lassen sich treiben von der AfD und ihrem befürchteten Erfolg bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Aber getrieben wirken sie nicht wirklich. Eher dankbar für die Gelegenheit, nun allzu bereitwillig Hand an das Asylrecht anlegen zu können. Merz sieht außerdem die Gelegenheit, der taumelnden Ampelregierung den letzten Schlag versetzen zu können.

Dass die Wortmeldungen der AfD gerade untergehen, ist kein Zeichen ihrer Schwäche, im Gegenteil, die anderen Parteien verbreiten jetzt ihre rassistische Propaganda. Die AfD braucht sich nur zurückzulehnen. Rechtsextreme und Islamisten wollen Schluss machen mit dem demokratischen Grundsatz, dass Individuen für ihre Handlungen haften. Sie wollen Kollektivbestrafungen und Sippenhaft. So, wie Islamisten den Westen als Gemeinschaft verachten, verachten Rechtsextremisten Menschen, die nicht in ihr völkisches Weltbild passen. Wer nun Asylbewerber unter Generalverdacht stellt, passt sich dem an.

Aktuell stehen Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan im Fokus. Aber auch andere Menschen mit Migrationsgeschichte ahnen längst, dass sie früher oder später Gegenstand solcher Debatten werden. Dass CDU-Chef Merz auch Liberalisierungen im Staatsbürgerschaftsrecht rückgängig machen möchte, deutet an, wohin die Reise geht: Ausländer raus! So mehrheitsfähig war diese rechtsextreme Forderung in Deutschland lange nicht mehr.

All das ändert nichts daran, dass islamistischer Terror kein individuelles, sondern ein politisches Pro­blem ist. Hinter islamistischem Terror stecken Ideologie, Organisation, gesellschaftliche Akzeptanz. Wie gut können deutsche Sicherheitsbehörden Terroranschläge antizipieren und verhindern? Welche diplomatischen Abhängigkeiten halten sie davon ab, entschiedener gegen die Repräsentanten des Islamismus in Deutschland vorzugehen? Werden in der Präventionsarbeit alle Möglichkeiten ausgeschöpft?

Darüber sollte jetzt debattiert werden – und nicht darüber, wie man Asylbewerber am besten schikanieren kann. Auch wenn es eine verlockende Vorstellung ist: Islamismus ist keine Lkw-Ladung Tomaten, die man an der Grenze einfach zurückweisen kann.

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Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.

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