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Christoph Butterwegge über Sozialstatistik„Armut wird stark verharmlost“

Die offiziellen Zahlen des statistischen Bundesamts seien geschönt, sagt der Armutsforscher Christoph Butterwegge. Von der Politik fordert er höhere Entlastungen für Arme.

Arm trotz Job: Die Energie­krise wird Geringverdiener besonders hart treffen Foto: Christoph Schmidt/dpa

taz: Herr Butterwegge, das Statistische Bundesamt hat Zahlen zu Armut in Deutschland 2021 veröffentlicht. Wie schätzen Sie diese ein?

Christoph Butterwegge: Die Zahlen stellen die Armut eher verharmlosend dar. So wird nur die relative Einkommensarmut berücksichtigt und nicht die absolute Armut. Besonders finanzschwache Gruppen sind in der Statistik gar nicht enthalten, denn es geht bloß um Armut im Haushaltskontext. Obdachlose oder Menschen, die in Notunterkünften leben, bleiben zum Beispiel außen vor.

Anhand der vorliegenden Zahlen sollen 13 Millionen Menschen in Deutschland, also 15,8 Prozent der Bevölkerung, im Jahr 2020 armutsgefährdet gewesen sein, auf die sich die Erhebung bezieht, das heißt 200.000 Menschen weniger als vor der Pandemie.

Welche Zahlen werden hier verwendet?

Bild: imago
Im Interview: Christoph Butterwegge

ist 71 Jahre alt und Armutsforscher. Bis 2016 lehrte er an der Universität Köln. Im Mai 2022 erschien sein Buch „Die polarisierende Pandemie“.

Bei den Erstergebnissen von EU-SILC, auf die sich das Bundesamt stützt, liegt der Schwellenwert für die Armutsgefährdung bei 1.251 Euro pro Monat. Da fällt die Armutsgefährdung geringer aus als im Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbandes, der sich auf den Mikrozensus beruft, die größte und seriöseste Sozialstatistik Deutschlands. Dort ist die Armutsrisikoschwelle mit 1.148 Euro monatlich niedriger und die Zahl der Armutsbetroffenen mit 16,6 Prozent der Bevölkerung um 800.000 Personen höher.

Welches Problem liegt bei der Berechnung der Armut vor?

Mein größter Kritikpunkt ist, dass der Reichtum in Deutschland nicht erhoben wird. Man sieht in den Zahlen nicht die soziale Ungleichheit. Gerade in der Pandemie hat diese sich aber verschärft.

Der auf mehreren Ebenen zu beobachtende Polarisierungseffekt wurde von den Finanzhilfen des Staates verstärkt und nicht abgemildert. Die Armut wurde durch kleine Einmalzahlungen kaum gelindert, aber die großen Unternehmen und ihre Eigentümer sind zum Beispiel durch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds mit einem Volumen von 600 Milliarden Euro sehr großzügig bedacht geworden. Ohne unnötig dramatisieren zu wollen, stelle ich fest: Unsere Gesellschaft fällt stärker auseinander.

Wird die soziale Ungleichheit in den Daten des Statistischen Bundesamts sichtbar?

Nein, diese Polarisierung wird in doppelter Hinsicht nicht abgebildet. Erstens, weil auf den Reichtum gar nicht erst geguckt wird, und zweitens wird die Armut stark verharmlost. Denn Arme können sich für ihr Geld immer weniger kaufen. Die Inflationsrate lag auf dem Höhepunkt der Pandemie zum Jahreswechsel bei über 5 Prozent. Zum 1. Januar wurde der früher „Regelsatz“ genannte Regelbedarf für Alleinstehende aber nur um weniger als 0,7 Prozent erhöht. Auch bei den Kindern und Jugendlichen erreichte die Anpassung nicht einmal 1 Prozent. Gerade die Ärmsten unter den Armen wurden somit noch ärmer gemacht.

Welche Menschen sind jetzt besonders stark durch Armut gefährdet?

Die relative Einkommensarmut schiebt sich gerade in die untere Mittelschicht vor. Das verschärfen die inflationären Tendenzen, die wir gerade haben. Betroffen sind längst Menschen, die früher aufgrund ihres „normalen“ Lohns oder Gehalts keine Probleme hatten, über die Runden zu kommen.

Und jetzt?

Die relative Einkommensarmut kann in absolute Armut umschlagen, was sich in Verelendungstendenzen bei Wohnungs- und Obdachlosen, Suchtkranken sowie illegalisierten Migrantinnen und Migranten niederschlägt. Wenn sich die Gaspreise verdoppeln oder verdreifachen, können Familien aus der Mittelschicht in arge Bedrängnis geraten. Die Entlastungspakete der Bundesregierung weisen genauso wie die Finanzhilfen in der Pandemie eine verteilungspolitische Schieflage auf.

Ihre Forderung an die Politik?

Es müssen die Regelbedarfe erhöht werden. Das gilt für die Grundsicherung im Alter, das Arbeitslosengeld II und auch die Asylbewerberleistungen. Die Preise steigen immer weiter, doch die Regelbedarfe bleiben zurück.

Als zweites fordere ich, dass die Stromkosten aus dem Regelbedarf herausgenommen werden. Zurzeit sind 38 Euro der 449 Euro für Strom vorgesehen, doch das reicht nicht. Die Stromkosten müssen den Miet- und Heizkosten zugeschlagen werden. Drittens sollten Strom- und Gassperren gesetzlich verboten werden. Im schlimmsten Fall müssen kälteempfindliche Rentner und Rentnerinnen frieren und Kinder im Dunkeln ihre Schularbeiten machen.

Viertens muss es auf Räumungsklagen und Zwangsräumen zumindest ein Moratorium geben. Solange die Inflationsrate und die Energiekosten steigen, darf niemand aus der Wohnung geklagt werden. Der Staat muss dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes gerecht werden und nicht nach dem neoliberalen Leistungsprinzip die Reichen noch mehr begünstigen.

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36 Kommentare

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  • Der Paritätische Gesamtverband ruft mit dazu auf:

    "#IchBinArmutsbetroffen: Neue Proteste am Samstag, 6. August"



    www.der-paritaetis...-samstag-6-august/

    • @Brot&Rosen:

      Dazu noch eine gute Nachricht:

      die Petition von #IchBinArmutsbetroffen steuert auf 50.000 Unterschriften zu:



      "Wir wollen in Würde leben – schafft Armut ab!"



      weact.campact.de/p...n-schafft-armut-ab

      • @Brot&Rosen:

        Dass die Petition über 50 Tausend Unterschriften hat ist zu begrüßen. Ich verfolge die Bewegung schon eine Zeitlang und frage mich allerdings was die Petition mit ihren Forderungen für einen Sinn macht wenn die Bewegung selbst diese Forderung nicht erwähnt. Wer ist die Bewegung? Einzelne Menschen die ihre Geschichte erzählen? Bisher hat nur Inge Hannemann sich diesen Forderungen angenommen und sie näher erläutert. Da ja scheinbar die Stiftung SorgeWeniger die Bewegung ist (nach dem Logo) wäre es doch schön wenn die Geschichten mit dem politischen verbunden werden. Armut ist immer politisch gewollt.

        • @Hamburg1976 Hamburg1976:

          Moin Hamburg1976@Brot&Rosen

          wie schön, dass Sie die Aktionen von #IchBinArmutsbetroffen und @sorgeweniger, OneWorryLess Foundation, schon seit längerem verfolgen. Tatsächlich geben wir Ihnen recht, es ist für Außenstehende anfangs manchmal nicht so leicht, Stiftung und Bewegung zusammenzubringen oder auseinanderzuhalten, je nachdem, wie man es nimmt. Wir als Stiftung OneWorryLess Foundation leisten und vermitteln über @sorgeweniger auf Twitter in erster Linie Direkthilfen für Armutsbetroffene und wir supporten die Bewegung #IchBinArmutsbetroffen, die Ende Mai aus Twitter heraus entstanden ist.

          Uns liegt die Bewegung am Herzen und ganz anders, als Sie es bisher wahrgenommen haben, trägt diese seit einem Quartal ihre Forderungen sehr wohl nach außen. Betroffene haben sich bundesweit in inzwischen zwölf Ortsgruppen zusammengeschlossen. Sie demonstrieren im 14-tägigen Rhythmus zwischen München, Berlin und Kiel für krisenfeste, existenzsichernde Einkünfte und Transferleistungen und sprechen dies auch ganz klar aus. Manchmal sind es nur sechs, manchmal zehn, manchmal bis zu 50 Personen, die klar Position beziehen. Dass Sie das so noch nicht wahrgenommen haben, mag daran liegen, dass die Proteste noch nicht sichtbar genug geworden sind. Medien berichten über Armutsbetroffenheit an sich, aber viel zu selten über die Proteste und Forderungen. Wir unterstützen #IchBinArmutsbetroffen, damit sie noch sichtbarer wird. Die Bewegung wächst und wird weiter wachsen. Daran arbeiten zurzeit viele Betroffene und sich Solidarisierende ehrenamtlich.

  • Vom Grundsatz her ist Armutsforschung, wie u.a. von Herrn Butterwegge (ehemals) betrieben, sehr zu begrüßen.



    Doch an der Arbeit von Herrn Butterwegge stört mich, dass er zwar Armut statistisch gut beschreibt, aber keine Anstrengungen unternimmt Wege zur Lösung des Armutsproblems herauszuarbeiten und z.B. in Zusammenarbeit mit Wohlfahrtsverbänden konkreter zu formulieren. So klingen z.B. seine vier Forderungen zu sehr nach Allgemeinplätzen, welchen fast jede politische Partei des demokratischen Lagers zustimmen kann. Gerade wegen dieser fehlenden Bereitschaft sich um die Bereitschaft der Herausarbeitung von Lösungswegen zur Bekämpfung der Armut konzeptionell und lösungsorientiert einbringen zu wollen, ziehe auch ich Colin Crouch und Thomas Piketty Herrn Butterwegge DEUTLICH vor. 😉

  • Sehr gut, bitte mehr Butterwegge in der taz!

  • - Kurzum: Will man was erreichen oder verändern oder sich absichtlich ins off stellen und dramatisierend alles besser wissen? Prädikat "schädlich".-

    das ist genau das, was mich bie der Linkspartei immer gestört hat, und warum ich sie auch verlassen habe.



    Dinge kritisieren, aber nicht verändern wollen. Dagegen sein. Ohne Lösungsvorschläge.SPD und Grüne als neoliberal bezeichnen, selber aber nichtmal im Ansatz das erreichen, was Grüne und SPD erreicht haben.



    Da lobe ich mir Leute wie A. Marquardt, die zur SPD zurück gekehrt ist, um vielleicht etwas zu erreichen.

    • @Rasmuss:

      Dramatiseren tun alle. Die Linkspartei bei den sozialen Folgen, die Grünen beim Klimawandel, die FDP bei den armen Reichen, die CDU beim Wirtschaftsstandort, die SPD mogelt sich unverständlich durch und die AfD bei den Flüchtlingen und Ausländern!

  • @TOM FARMER

    Lesen Sie Piketty.

    • @tomás zerolo:

      Was sagt Piketty denn über die kruden wiedersinnigen Aussagen, die TOM FARMER bemängelt?

      Hat Piketty etwa auch Obdachlose beschrieben, die keiner Verelendung anheimgefallen sind?

      • @Rudolf Fissner:

        Piketty beschäftigt sich nicht mit pseudosemantischer Kritik!

        • @Hannah Remark:

          Was ist denn "pseudosemantische Kritik"?

  • Ich bin ja kein Doktor der Statistik, aber wenn man die Armutsschwelle senkt, kann die Zahl der von Armut Betroffenen (und auch Gefährdeten) nicht steigen...

    • @Samvim:

      Ich vermute ein Zahlendreher? Wäre aber trotzdem gut, wenn die Interviewerin hier nochmal beim Interviewten Anfragen könnte und das dann korrigiert. Falls es kein Zahlendreher ist, wäre eine Erklärung allerdings auch sehr interessant

  • Geschönt?



    Diese Statistik ist so Ver-Schönt, daß einzige korrekte Wort ist "Gelogen!!"

  • Christoph Butterwegge ist ein großer Zyniker. Er kämpft immer noch für den alten, paternalistischen Sozialstaat, der einfach nicht funktionieren kann.



    Das einzige Mittel, um wirklich alle Bedürftigen zu erreichen, ist ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Dieses lehnt Butterwegge vehement ab - weil es auch die Reichen bekämen. Er ist jedoch intelligent genug um zu verstehen, dass die Reichen es problemlos durch erhöhte Steuern zurückzahlen würden.



    Es lassen sich auch nicht beliebig die Regelsätze erhöhen, weil dem das Lohnabstandsgebot entgegensteht und sich Erwerbsarbeit dann noch weniger lohnt als heute. Das liegt daran, dass die heutigen Sozialleistungen bedürftigkeitsgeprüft sind (was Butterwegge explizit verteidigt, siehe oben), und Erwerbseinkommen daher angerechnet werden. Beim Grundeinkommen sähe das anders aus, denn das bekommt man immer, Erwerbseinkommen ist dann zusätzliches Einkommen, Erwerbsarbeit lohnt sich also immer.

    Butterwegge geniesst seine Rolle als großer Erklärer der Armut, will diese aber keineswegs abschaffen. Er tut gerne sozial und "links", trägt aber nichts zur Debatte über wirkliche Wege aus der Misere bei, was mich als Armutsbetroffenen ehrlich gesagt ziemlich anwidert.



    Siehe auch www.grundeinkommen...ommen-haltlos.html und



    bge-rheinmain.org/...ion-im-haus-am-dom

    • @Eric Manneschmidt:

      "Das einzige Mittel, um wirklich alle Bedürftigen zu erreichen, ist ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Dieses lehnt Butterwegge vehement ab - weil es auch die Reichen bekämen."

      Obwohl ich Christoph Butterwegge sehr schätze, rege ich mich darüber auch seit Jahren auf. Den Reichen wird es nämlich egal sein, ob sie ebenfalls ein BGE von 1200 oder 1500 Euro bekommen, den armen Menschen aber nicht, die jetzt mit ein paar Euro "Bürgergeld" abgespeist werden sollen, was wohl weiterhin (wie Hartz IV) an Bedingungen geknüpft ist. Mal davon abgesehen wäre ein "Bürgergeld" nach dem Wortlaut ja 'Geld was dann alle Bürger bekommen müssten', also ein BGE. Aber das ist unseren "Volksvertretern" wohl noch gar nicht aufgefallen, denn sonst hätten sie nicht das Wort Bürgergeld verwendet.

      Ein echtes BGE wird es aber wohl erst dann geben, wenn die Wirtschaft sagt, dass es keine Arbeitsplätze mehr für den Homo sapiens gibt, da der nur noch ein unnötiger Kostenfaktor ist und die Künstliche Intelligenz (KI) jetzt sogar schon die anspruchsvolleren Jobs übernimmt. Nun ja, irgendwann wird das BGE kommen, denn wenn sogar die USA und die asiatischen Länder vom BGE reden, dann können wir es hier in Europa nicht ewig wegdiskutieren - auch wenn es einige gerne möchten. In einer Welt voller Maschinen, Computer, Automaten, Regelungstechnik, Roboter und demnächst auch KI, wird der Mensch als Arbeitskraft überflüssig werden, egal ob er nun Hilfsarbeiter oder Ingenieur ist. Die Welt im 21. Jahrhundert wird sich dramatisch verändern; nur einige ewig Gestrige möchten den ausbeuterischen und klimaschädlichen Kapitalismus weiterhin am Leben halten, weil sie davon (momentan) noch sehr gut leben.

    • @Eric Manneschmidt:

      Die Kritik am Grundeinkommen von Herrn Butterwegge ist sachlich fundiert. Wie ein Grundeinkommen letztendlich umgesetzt werden würde unter Einflussnahme von FDP und CDU/CSU lässt sich nur erahnen. Das da nicht alles abgesichert sein wird, sollte klar sein. Die Befürchtungen, dass dann viele schlechter gestellt werden und die soziale Verelendung noch mehr vorranschreitet, ist daher nicht unbegründet!

  • Die Anzahl der armutsgefährdeten Menschen fällt im Bericht des Paritätischen Gesamtverbandes höher aus, weil dieser einen geringeren Schwellenwert ansetzt?

    Das macht doch kein nen Sinn! Die Anzahlung von Menschen mit einem Einkommen von 0-1000 € ist immer geringer als bei einer Spanne von 0-1500 €.

    Herr Butterwege scheint mir da etwas mächtig durcheinander zu bringen mit seinem Verständnis von Statistiken statt ken.

    • @Rudolf Fissner:

      Das bezweifelt Butterwegge doch gar nicht.

  • Christoph Butterwegge: "Die Armut wurde durch kleine Einmalzahlungen kaum gelindert, aber die großen Unternehmen und ihre Eigentümer sind zum Beispiel durch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds mit einem Volumen von 600 Milliarden Euro sehr großzügig bedacht geworden."

    Richtig! Man nehme zum Beispiel die TUI, die mit 4 Milliarden Euro vom deutschen Steuerzahler in der Corona-Pandemie gerettet wurde. Die TUI ist das größte Touristikunternehmen der Welt mit Reisebüros, Hotels, Fluggesellschaften, Kreuzfahrtschiffen und Reiseveranstaltern. Wie ist das eigentlich? Bekommen die Steuerzahler die 4 Milliarden Euro von dem börsennotierten Touristikkonzern jetzt zurück, wo TUI doch derzeit seine klimaschädlichen Kreuzfahrtschiffe aus den Häfen fahren lässt und der Touristikkonzern wieder satte Gewinne macht? Nein natürlich nicht, denn es wird mit Arbeitsplätzen argumentiert, auch wenn diese "Arbeitsplätze" das Klima zerstören und die CO2-Konzentration in der Atmosphäre jetzt schon bei über 420 ppm liegt.

    Wir haben Rentnerarmut, Kinderarmut, Hartz IV Armut, Niedriglohnarmut, 956 Tafeln (an denen monatlich 1,65 Millionen arme Menschen in Deutschland anstehen müssen, um nicht zu hungern), sowie 52.000 Obdachlose in einem der reichsten Länder der Welt. Aber dies alles wird seit Jahren bei uns unter den Teppich gekehrt. Die Reichen werden immer reicher und wissen nicht mehr wohin mit ihrem ganzen Geld und die Armen müssen seit vielen Jahren an der Tafel um Essen anstehen und bekommen von ihrem "schönen Leben" Depressionen.

    Von welcher "Würde" spricht man in Art. 1 GG eigentlich, wenn 52.000 Menschen - laut Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe - bei uns schon obdachlos auf der Straße sitzen?

    Von welcher "Würde" spricht man in Art. 1 GG eigentlich, wenn jeden Monat 1,65 Millionen Menschen an eine der 956 Tafeln anstehen müssen?

    Von welcher "Würde" spricht man in Art. 1 GG eigentlich, wenn arme Rentner Pfandflaschen aus den Mülleimern sammeln müssen?

  • Herr Butterwege wurde aus gutem Grund nicht Bundespräsident.

    Ja, die statistischen Berechnungen zur Armutsgefährdung sind vollkommen falsch bzw. führen zu falschen Folgerungen (siehe Kommentare an anderer Stelle) nir werden die Schlussfolgerungen von Herrn Butterwegge dadurch nicht richtiger.

  • Leider begünstigen die unverhältnismäßig hohen Lohnnebenkosten die Verarmung vieler arbeitenden Menschen und die in Teilen ungerechtfertigt höhen Sozialleistungen motivieren viele leider dazu von Erwerbsarbeit Abstand zu nehmen. Dadurch werden immer mehr Menschen von sozialen Wohltaten abhängig, Eigenverantwortung kommt im Weltbild des Herrn Butterwegge nicht mehr vor.

  • Herr Butterwegges Beiträge sind für mich jedes Mal eine Provokation.



    Es sind Sätze wie "mein größter Kritikpunkt ist, dass der Reichtum in Deutschland nicht erhoben wird". Um welchen Reichtum es geht, letztlich welche Werte überhaupt wünschenswert wären und warum bleibt unbegründet.



    "Gassperren gesetzlich verbieten" lese ich auch. Jeder den das betrifft kann also vorbehaltlos heizen und "Kinder machen die Hausaufgaben im Dunkeln". Das man im Dunkel keine Hausaufgaben machen ist klar, der Satz also sinnentleert.



    "Verelendungstendenzen bei Obdachlosen" ist auch so ein akademisches Wortgedöns. Das ist und war immer Elend, was denn sonst?



    Mich empört derlei Alarmismus deswegen, da er letztlich jeden außerhalb einer festgelegten Linksklientel abstößt und der letztlich korrekten Aussage und Mehrheitsfindung schadet.



    Dass auch die Interviewerin nicht Inhalte und Details kritisch aufnimmt und klärt finde ich zudem peinlich!



    Kurzum: Will man was erreichen oder verändern oder sich absichtlich ins off stellen und dramatisierend alles besser wissen? Prädikat "schädlich".

    • @Tom Farmer:

      Sorry, aber die Kritik von Butterwegge ist völlig zutreffend. Ihre semantischen Einwände sind nicht hilfreich.

    • @Tom Farmer:

      Warum lesen Hardcore-Neoliberale überhaupt die taz?

      Und dass du für die Armen nur Verachtung übrig hast und dich selbst zu den "Leistungsträgern" zählst, ist ja nun auch nichts neues.

    • @Tom Farmer:

      Butterwegge pflegt seinen Markenkern. Das ist letztlich zutiefst kapitalistisch. Zumal er nicht einmal Qualität liefert, sondern nur Allgemeinplätze. Also viel Aufmerksamkeit (und Gewinn) für wenig Inhalt. Die Guccitasche unter den Soziologen.

  • Einfachste Zahlenverständnis fehlt.



    Setzt man eine Einkommensschwelle niedriger, gibt es natürlich weniger Menschen, deren Einkommen unter dieser Schwelle liegt.

    Anders der Interviewpartner: "Dort ist die Armutsrisikoschwelle mit 1.148 Euro monatlich niedriger und die Zahl der Armutsbetroffenen mit 16,6 Prozent der Bevölkerung deshalb um 800.000 Personen höher."

  • Übergewinnsteuer! Für die Energiekrise, für die Pandemie, für den Krieg.

    • @tomás zerolo:

      Reicht das Geld der Superreichen denn schon nicht mehr?

      • @Rudolf Fissner:

        Wir wissen doch nicht mal wie viel es ist, daher machen Sie den zweiten Schritt vor dem ersten!

    • @tomás zerolo:

      Wieso denn jetzt FÜR das alles?

    • @tomás zerolo:

      Auch falsch: "Mein größter Kritikpunkt ist, dass der Reichtum in Deutschland nicht erhoben wird."

      Die regelmäßige Untersuchung "Leben in Deutschland" wurde gezielt um Personen mit hohen Einkommen erweitert.

    • @tomás zerolo:

      Wie die Vermögenssteuer wurde auch die Übergewinnsteuer in Gedanken schon mehr als zehn mal verwendet.

  • Gut dass er mal Räumungsklagen und Wohnungsaussetzungen anspricht. Der Begriff des Moratoriums fällt dann immer gern, ich stell's mir allerdings schwierig vor, wo ja kein Mensch weiß, wann das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Mit sowas kann man eher arbeiten, wenn sich zeitliche Abläufe einschätzen lassen oder gleich auf der Hand liegen. Sonst ist das auch nur wieder Akutpflaster, oder müsste immer wieder verlängert werden und dann v.a. rechtzeitig, schließlich wird zugleich und zurecht erkannt, dass der Gesetzgeber der Realität zu oft hinterherläuft. Also jetzt schon. Etwas Besseres fällt mir aber auch nicht ein. Mit einer bloßen Erhöhung der Regelsätze, die anderweitig leicht zu begründen ist, ist zumindest in solchen Notlagen hingegen nicht unbedingt geholfen. Absolut stiege damit ja etwa auch die Höhe theoretischer Sanktionen, die inzwischen wieder im Trend sein sollen oder irgendwie schick und grad wenn es um Wohnungslosigkeit geht und insb. wo sie noch nicht besteht, aber ein erhöhtes Risiko vorliegt, können Sanktionen an sich den Verlust der Wohnung ja erst bewirken und zwar auch weiterhin. Nicht wenigen Menschen nämlich wird die volle Miete gar nicht erstattet, d.h. sie müssen monatl. drauflegen, "zweckwidrig" aus dem Regelsatz, wird da einmal gestrichen (ein Elend kommt nie allein), sind sie sofort in den Mietschulden. Das nur von wegen "in Unterkunft und Heizung wird nicht sanktioniert". Schon solche Behauptungen sind eine Frechheit, wo es unterhalb einer Schwelle um Menschen geht, die ja gar nicht viel mehr haben. Und bis dato soviel mehr auch gar nicht haben durften.

  • 1) Hat Herr Butterwegge tatsächlich behauptet, wenn man eine Schwelle niedriger lege, stiege die Zahl der Darunterbleibenden an? Zumindest ist Frau Müller nichts an dem Satz aufgefallen und einer Rückfrage wert befunden worden.



    2) Wenn die Preisentwicklung jetzt auch die Mittelschicht, die keinerlei Leistungen empfängt und alles selbst bezahlen muß, an die Schwelle der Armut treibt, dann ist Herrn Butterwegges Antwort darauf, die von eben dieser Mittelschicht bezahlten Sätze der Leistungsempfänger anzuheben. Das entlastet die immer weiter schrumpfende Gruppe der nicht vom Staat alimentierten Nettosteuerzahler natürlich, klar.