Staat dämpft Preisanstieg: 9-Euro-Ticket bremst Inflation
Die ÖPNV-Flaterate und staatliche Angebote federn den Preisanstieg ab. Mobilität hat einen großen Anteil am Warenkorb für die Inflationsberechnung.
Berlin dpa/taz | Die Einführung des 9-Euro-Tickets und bislang recht preisstabile staatliche Angebote von der Müllentsorgung bis zur Krankenhausversorgung haben nach einer aktuellen Studie den Preisanstieg in Deutschland zuletzt deutlich gebremst. Ohne solche staatlichen Eingriffe läge die Inflation noch um 2 Prozentpunkte höher, wie das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer am Mittwoch veröffentlichten Studie schrieb. Die Wissenschaftler beziehen sich bei ihren Berechnungen auf den für die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank maßgeblichen harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI), der im Juni bei 8,2 Prozent und im Juli bei 8,5 Prozent lag.
Insgesamt machen die vom Staat beeinflussten Preise in Bereichen wie Kultur, Verkehr oder der öffentlichen Daseinsvorsorge laut IW rund 12,5 Prozent des Warenkorbs aus, mit dem die Inflation ermittelt wird. Die staatlich administrierten Preise seien in Deutschland in diesem Jahr deutlich weniger stark gestiegen als die ohne staatlichen Einfluss gebildeten Preise. Im Juni seien sie sogar insgesamt gesunken und hätten damit die allgemeine Preisentwicklung spürbar gebremst.
„Vor allem Entlastungen wie das 9-Euro-Ticket dürften dabei ausschlaggebend sein“, betonten die Forscher. Denn der Personenverkehr habe einen großen Anteil am Warenkorb, mit dem die Inflation berechnet werde.
Allein im Juni haben mehr als 20 Millionen Menschen das 9-Euro-Ticket gekauft. Für die rund 10 Millionen Stammkund:innen im ÖPNV mit einer Monats- oder Jahreskarte gilt es automatisch. Sie bekommen den Differenzbetrag zwischen dem 9-Euro-Ticket und ihrer Fahrkarte erstattet.
Anschluss an 9-Euro-Ticket noch unklar
Die aktuellen Entlastungen hätten allerdings ihren Preis, warnten die IW-Experten. Der damit verbundene hohe Verwaltungsaufwand, möglicherweise entstandene Finanzlücken bei den Verkehrsbetrieben und die steigenden Energiepreise könnten dazu führen, dass mit dem Auslaufen des 9-Euro-Tickets ab September nicht nur die Ticketpreise wieder ansteigen, sondern auch die Inflation.
„Kurzfristig ist es natürlich erfreulich, dass die Inflation nicht noch stärker steigt“, sagte Studienautorin Melinda Fremerey. Allerdings seien solche Entlastungen keine langfristigen Lösungen. Um die Inflationseffekte zu dämpfen, seien gezielte Entlastungen und Einmalzahlungen wie die Heizkostenpauschale der richtige Weg.
Ob es am 1. September eine kostengünstige Anschlusslösung für das 9-Euro-Ticket gibt, ist weiterhin offen. Am 19. August wird eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe darüber beraten. Die Kosten für das 9-Euro-Ticket in Höhe von rund 2,5 Milliarden Euro hat allein der Bund getragen. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) sieht jetzt die Länder in der Pflicht, ein mögliches Nachfolgeangebot zu finanzieren.
Leser*innenkommentare
Bolzkopf
Jetzt wird endlich ein Schuh d'raus.
Ich hab immer schon gedacht: Nee, so dumm ist doch niemand. Würde ja jeder sofort durchschauen, wenn man dem Volk das wie ein paar Brotkrumen hinstreuen würde.
Zumal das 9€ Ticket ja erstmal ein "Fun-Ticket" ist und von vielen für Freizeitaktivitäten genutzt wird (und somit Energie verschwendet)
Aber zur Inflations"korrekur" ? Cool!
Eine geniale Idee. Die Herr:innen in Berlin sind ja doch nicht so doof ...
DiMa
@Bolzkopf Der Tankrabatt ist unter anderem auch zur Korrektur der Inflationswirkung eingeführt worden. Das war von Anfang an einer der Gründe. Das 9 EUR Ticket kam dann nur als Rattenschwanz hinterher.
Dietmar Rauter
Die Berechnung der Inflationsrate berücksichtigt weder den Benzinpreisbonus, der ja ab dem nächsten Monat wieder entfällt noch die jetzt schon höheren Kosten für Strom und Gas, deren Abrechnung ja erst in den nächsten Monaten erfolgt. Sparer müssen mit einkalkulieren, dass ihr Geldvermögen jedes Jahr mindestens 10 % weniger wert ist. Das dicke Ende kommt ja noch, wenn die Immobilienblase platzt, weil sich diejenigen, die sich eigentlich ein eigenes Obdach leisten wollen, dies nicht mehr stemmen aufgrund der allgemeinen Kostensteigerungen. (Um die vielen Spekulanten mache ich mir da weniger Sorgen -no risk no fun- aber bei viele Vermieter haben damit gerechnet, aus diesen Einkünften ihren Ruhestand zu finanzieren. Was geschieht ihnen, wenn die Miete ausbleibt... ). Muß Habeck jetzt auch Vonovia & Co übernehmen, weil das Geschäft für Private zu riskant geworden ist (wie beim Energiegroßhandel) und es bei ihrer Klientel nichts mehr zu holen gibt? Fragen über Fragen....
In aller Ruhe
Jetzt darf nur niemand darauf hinweisen, dass diese vermeintlichen Inflationsbremsen durch Nichtdeckung von Kosten(9€-Ticket) oder Mangelausstattung(Krankenhäuser) erkauft werden und es im Zweifel danach doppelt draufgeschlagen wird. Wer da eine dauerhafte „Entlastung“ durch Helikoptergeld fordert, handelt schon fast böswillig.
Hannah Remark
@In aller Ruhe Wer jetzt immer noch gegen eine angemessene Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, Übergewinnsteuer usw. ist, handelt böswillig!
DiMa
Dies gilt ja nicht nur für das 9 Euro Ticket sondern auch für den Tankrabatt. Wie häufig das Ticket dann tatsächlich gekauft worden ist, ist für die Berechnung der Inflation ebenfalls ohne jede Relevanz, da die tatsächlichen Ausgaben nicht berücksichtigt werden.