Boxerin Imane Khelif: Der beargwöhnte Fight
Die intersexuelle Boxerin Imane Khelif hat Olympiagold gewonnen. Ihr glatter Durchmarsch durchs Turniers befeuert eine ohnehin schon unsachliche Debatte.
Die intersexuelle Boxerin Imane Khelif hat sehr erfolgreich bei diesen Spielen gekämpft. Das ist die Nachricht. Das heißt: Das hätte die Nachricht sein können, aber die Faustkämpfe der 25-jährigen Algerierin sind seit Tagen zu einem Politikum geworden, zu einer Causa. Und diese Causa Khelif illustriert pars pro toto eines: Eine wieder mal dysfunktionale Debattenkultur, die zum erbitterten Streit der Lager ausartet.
Der Kern des Problems wird zwischen den Mahlsteinen der Extreme zerrieben, und so wird schon längst nicht mehr darüber diskutiert, wie denn nun die Chancengleichheit im Frauenboxen aufrecht erhalten werden kann, wenn zwar aufs Gramm genau das Körpergewicht gemessen wird, aber nicht der chromosomale und hormonelle Status einer Athletin, nein, in fetten Lettern wird von der einen Seite geplärrt: „Mann verprügelt Frauen!“
Auf der anderen Seite werden kritische IOC-Beobachter schon mal zu Parteigängern des Olympiakomitees, weil sie deren Position gut und progressiv finden: Eine Frau ist dann eine Frau, wenn das so im Pass steht, sagt das IOC. Wer das unterkomplex und dem Niveau der bisherigen Debatte in Sachen DSD (Disorder of Sex Development) unwürdig findet, dem wird zu verstehen gegeben, dass er oder sie damit nicht nur rassistisch sein und LGBTQ-Rechte verletzen könnte, der macht sich irgendwie auch mit dem sinistren Umar Nasarowitsch Kremlew gemein, seines Zeichens Präsident des skandalträchtigen internationalen Boxverbands IBA.
Der wurde vom IOC suspendiert, die olympischen Boxkämpfe stehen unter der Hoheit des Olympiakomitees. Die IBA, das hat sie auch auf einer in Paris abgehaltenen Pressekonferenz verdeutlicht, hätte Imane Khelif nicht zugelassen, weil in Laboruntersuchungen das Y-Chromosom nachgewiesen worden sein soll – wie wohl auch bei der taiwanesischen Boxerin Lin-Yu Ting, die das Finale in der Gewichtsklasse bis 57 Kilogramm erreicht hat.
Verschwörungstheorien sprießen
Mittlerweile sind die Fronten derart verhärtet und die Protagonisten so stur auf ihrem Pfad unterwegs, dass diverse Verschwörungstheorien die Runde machen. Das IOC des Thomas Bach sieht sich systematisch von russischer Seite attackiert, das Pro-Khelif-Lager schwurbelt von einer „zionistischen“ Weltverschwörung, in rechten Kreisen wittert man einen woken Coup.
Alle rhetorischen Waffen aus dem Arsenal der Vernebelung werden gezückt: Whataboutism (Aber sie hat ja schon verloren!), Derailing (Im Sport gibt es doch immer Stärkere und Schwächere!) oder Bagatellisierung (So hart sind die Schläge nicht!). Mit jedem Tag, den der Fall köchelt, wird die Position des Sprechers wichtiger. Das Ringen um Inhalte und Lösungsansätze degeneriert indessen, die empathische Zugewandtheit sowieso. Nun gilt: Kremlev oder Bach. Dass dieser Thomas Bach bald statutenwidrig eine neue Amtszeit anstrebt, dabei vom algerischen Olympiakomitee unterstützt wird und sich früher gern mit Wladimir Putin zeigte? Offenbar unwichtig.
Inmitten dieses übersteigerten Kulturkampfs ist man froh, wenn sich eine Stimme wie die von Sebastian Coe erhebt, Präsident des internationalen Leichtathletikverbands World Athletic. „It’s simple: have a policy“, gibt er dem IOC mit auf den Weg: Es ist ganz einfach, findet eine vernünftige Regelung für den Fall der Integration intersexueller Athletinnen. Auch Coe weiß, dass der Umgang mit DSD-Athletinnen schwierig bleibt, egal ob man nun der Fairness und dem Schutz des Frauensports das Primat gibt – oder der Eingliederung von intersexuellen Sportlerinnen.
Man könnte den Testosteronlevel messen. Es ist das Mittel der Wahl. Ein Testosteronmonitoring hätte zumindest ein bisschen Klarheit in dieser Sache gebracht. Warum das nicht gemacht worden ist, bleibt ein großes Rätsel; unter dem Laissez-faire des IOC hat Imane Khelif seit den Tokio-Spielen im Jahr 2021 sechs Kilo Muskelmasse zulegen können und startet nun, sichtlich androgenisiert, in einer höheren Gewichtsklasse, nämlich der bis 66 Kilo.
Diese durchaus gelungenen Olympischen Sommerspiele von Paris hätten Funktionäre verdient gehabt, die wissen, wovon sie in diesem Fall reden. So ist das IOC nicht unschuldig an der Eskalation der Ereignisse, an der Verunsachlichung der Debatte.
Leser*innenkommentare
gyakusou
Ich finde, dass ist ein sehr guter und ausgewogener Artikel.
"Eine vernünftige Regelung" finden für die Integration intersexueller (und auch trans) Athletinnen ist ein gute Idee.
Da würde ich mir von der TAZ mehr Inhalte wünschen, die alle Aspekte beleuchten und nicht bei "Sie ist eine Frau, weil das im Pass steht" und "trans Frauen sind Frauen" stehenbleiben. Sondern auch die möglichen negativen Folgen für cis-XX-Athletinnen besprechen.
Frauen mit DSD machen einen verschwindend kleinen Teil der Gesamtbevölkerung aus - und doch standen jetzt offensichtlich gleich zwei in einem olympischen Finale. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist eigentlich verschwindend gering. Da stellt sich die Frage kaum noch, ob sie tatsächlich körperliche Vorteile gegenüber anderen Frauen haben.
Herma Huhn
@gyakusou Die Frage stellt sich schon noch. Denn es könnten neben biologischen auch gesellschaftliche Gründe sein, welche intersexuelle Menschen in den Leistungssport treibt, wodurch sie dann dort überdurchschnittlich häufig vertreten sind.
Ich sage nicht, dass es so ist. Ich sage nur, dass die Frage viel komplexer ist, als die aktuelle Diskussion suggeriert.
ke1ner
》... das Pro-Khelif-Lagerschwurbelt von einer „zionistischen“ Weltverschwörung [...]《
Bei allem Verständnis dafür alles in Schubladen stecken zu wollen: ich bin auch "Pro-Khelif", verwahre mich aber entschieden dagegen, für Geraune von "einer „zionistischen“ Weltverschwörung" in Anspruch genommen oder dessen verdächtigt zu werden!
Da in Paris treten Athlet*innen zwar für ihre Länder an, als Einzelkämpfer*innen oder in Mannschaften an: aber immer als Menschen mit Anspruch auf die Wahrung ihrer Würde!
Auf diese hat sich auch Khelif selbst berufen m.youtube.com/watch?v=EEMr0Ezsu5U , Zitat 》it was something thar harms human dignity [...] the bullying of athletes [...] has effects, massive effects, it can destroy people, it can destroy people's thoughts, spirits and minds《
Jede*r glaubt etwas zu wissen (nach meinem Kenntnisstand aber gibt es weder für "XY" noch "intersexuell" belastbare Belege) - und dann wird dieser Mensch gnadenlos an den Pranger gestellt, als "Beleg" für irgendeine "Sache" entpersönlicht...
An dieser Stelle deshalb: Herzlichen Glückwunsch, Champ!
Zu großen Kämpfen, innerhalb und außerhalb des Rings! u
Und dem verdienten Olympiagold!
tazziragazzi
Vielen Dank für diesen sehr ausgewogenen Kommentar, der sowohl Intersexuelle oder auch Trans Menschen in Schutz nimmt, aber auch die Seite der xx-Frauen nicht einfach vergisst.
Hanno Homie
Danke. Das war jetzt mal ein komplexer Artikel zum Thema.
Ein "Sport" allerdings in dem es darum gehen kann, den anderen bewusstlos zu prügeln, ihn durch Zufügen von Schmerzen oder aus Angst vor gesundheitlichen Schäden zum Aufgeben zu zwingen ist mir immer noch kein Sport.
Deep South
Schwieriges Thema. Dass heute so ziemlich jedes Thema für Kulturkämpfe herhalten muss und in den Social Media Kanälen allerseits geschwurbelt, gehetzt, beleidigt und gezetert wird, ist schon lang keine Neuigkeit mehr. Ich muss auch nicht jedesmal informiert werden, wer und was in diesen Blasen jetzt wieder durch die Gassen getrieben wird.
Am Ende is die aktuelle Regelung sowohl für Intersexuelle als auch für biologische Frauen ein schlechter Deal. Verständliche Dramen auf allen Seiten. Die einzige Lösung könnte in einer neuen Bewertung und Strukturierung von Startklassen liegen, in der mehr messbare körperliche Parameter statt reine Geschlechtskriterien einfließen.
Dafür muss man aber offen an die Sache rangehen und eben nicht mit Kulturkampf Mindset. Leider scheint das aktuell kaum möglich, da eben der Fokus mehr auf den Schreihälsen liegt, als auf innovativen Gedanken.