Bio-Kennzeichnung auf Lebensmitteln: Bio, weil wir faul sind!
Pellkartoffeln, Quark und Leinöl und die dringend umzukehrende Etikettierung von konventionellen Lebensmitteln haben beide mit Bequemlichkeit zu tun.
M an muss es so hart sagen: Als Berliner und als Vater habe ich versagt. Unseren Kindern, obwohl im Urban Krankenhaus in Kreuzberg geboren und mit Landwehrkanalwasser getauft, fehlen offenbar ein paar Hauptstadtgene. Sie schnauzen nur sehr selten wildfremde Menschen an; sie stellen ihren Sperrmüll nicht einfach so an die Straßenecke; sie balinern nich ma’ richtich, wa. Und vor allem: Sie essen nicht wie Generationen ihrer Urahnen ihre Pellkartoffeln mit Quark und Leinöl.
Sie pellen ihre Pellkartoffeln nicht mal. Sondern essen sie mit der Schale. Denn sie haben gelernt: Erstens sind die „Linda“-Knollen bio. Und zweitens: Ist es so einfach einfacher. Und unsere Kinder haben es gern bequem. (Da sind sie dann doch knorke BerlinerInnen).
Kartoffeln mit der Schale essen: Bei aller kulinarischen Traditionspflege eigentlich eine gute Lösung für all die Debatten, die auch jetzt wieder auf der Grünen Woche rund um das Thema Bioessen toben. Okay, es soll gut schmecken. Aber es muss auch einfacher sein, sich gesund und umweltfreundlich zu ernähren, als sich mit Junk vollzustopfen. Also: Wir essen öko, weil wir die Schale dranlassen können. Wäre das nicht mal ein guter Werbeslogan? Bio, weil wir faul sind!
Mit dem Convenience-Argument haben wir ganz schnell alle auf unserer Seite. Es funktioniert ja auch sonst: Sneakers statt hoher Absätze, Jogginghosen statt Businessoutfit, Google Maps statt Landkarte, Übersetzungs-Apps statt acht Jahre Französisch in der Schule.
Besser Warnhinweise labeln
Und wenn wir dann alle auf maximale Faulheit geeicht sind, folgt der nächste Schritt zur Weltrettung: Wir drehen den Umgang mit den Labels um. Denn warum eigentlich steht auf der Paprika und der Wurst im Ökoladen das Bio-Siegel? Warum kleben nicht stattdessen auf den Tomaten und Schinken aus der „konventionellen“ Landwirtschaft Etiketten, auf denen „mit Pestiziden“ oder „aus Quälhaltung“ steht?
Warum definieren wir nicht als normal, was wir wollen? Und labeln alles andere mit Warnhinweisen? Der Begriff „konventionell“ müsste umdefiniert werden. Industrielle Landwirtschaft mit allen Sauereien, das wäre Old School und nur für Unverbesserliche. Und konventionell hieße: gesund für Mensch und Tier und Umwelt.
Die faulen KundInnen wären dann die besten. Statt umständlich „faire“ Schokolade zu suchen, würden sie vor „unfairen“ Schokoriegeln zurückschrecken, die es so gelabelt mit Kinderarbeit und Ausbeutung immer noch geben würde. Statt „klimaneutrale“ Zugtickets bei der Bahn wie bisher müssten sie „klimaruinierende“ Kreuzfahrten buchen. Wer hätte in der Speisekammer gern Thunfischdosen mit der Aufschrift „delfintötend“, weil alle anderen natürlich artenschonend produziert würden?
Und wer könnte es sich leisten, statt „zertifzierten Grünstrom“ lieber „Braunkohlestrom unklarer Herkunft“ aus der Steckdose zu ziehen, um sein Fairphone aufzuladen – das der Standard der digitalen Grundausstattung wäre?
Schnäppchenjeans als Bekenntnis die Welt zu ruinieren
Man stelle sich mal vor: Der Regelfall wäre eine Wirtschaft und Produkte, die nicht das Klima killen, die Artenvielfalt zerstören oder Menschenrechte mit Füßen treten. Dann wäre die Ausnahme das, was jetzt im Einkaufswagen liegt. Jede Billigwurst ein Statement, jede Schnäppchenjeans ein öffentliches Bekenntnis, die Welt zu ruinieren. Ganz ohne Verbote und mit voller Wahlfreiheit!
Obwohl, der Distinktionsgewinn wäre verlockend: Ich müsste an der Kasse von Edeka nicht mehr Angst haben, mit der Biogurke als Weltverbesserer zu gelten. Nein: Mit jeder Tomate aus spanischen Treibhäusern müsste ich sagen: „Seht her, ich bin ein echter Bad Boy!“ Plötzlich fänden mich sogar meine Kids wieder cool. Und würden endlich die Pellkartoffeln mit Leinöl probieren.
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