Außenministerin Baerbock besucht Palau: Barfuß der Katastrophe auf der Spur
Das Meer rückt näher. Annalena Baerbock ist 11.000 Kilometer weit auf die Palau-Inseln geflogen. Hier macht sie sich ein Bild von dem, was droht.
A nnalena Baerbock ist weit gereist, um ihre Botschaft zu platzieren. Über 11.000 Kilometer sind es von Berlin bis nach Palau, dem Inselstaat im Pazifik östlich von Indonesien. Hier steht die deutsche Außenministerin am Samstagmittag in der feucht-warmen Luft in einem hölzernen Pavillon auf dem Dorfplatz von Bailechesau. Hinter ihr wachsen Palmen, zu ihrer Rechten brechen sich die Wellen des Pazifiks, links davon wehen die Fahnen von Palau und Deutschland an zwei hölzernen Stangen. „Hier berührt die Klimakrise den Kern der Sicherheit“, sagt Baerbock. „Die Sicherheit Ihrer Existenz.“
Annalena Baerbock, Bundesaußenministerin, bei ihrem Besuch der Inselgruppe Palau auf dem Dorfplatz von Bailechesau
Palau ist ein Urlaubsparadies. Vor allem wegen der Unterwasserwelt kommen jedes Jahr rund hunderttausend Touristen auf die abgelegene Inselgruppe mit ihren knapp 20.000 Einwohner*innen, die auf elf der 356 Inseln leben. Doch Palau ist auch ein Sinnbild für die Gefahren des Klimawandels. Aus diesem Grund ist die deutsche Außenministerin für rund 24 Stunden zu Besuch gekommen – als erste deutsche Minister*in seit 120 Jahren. Damals war Palau noch eine deutsche Kolonie, in der Phosphorvorkommen und andere Rohstoffe ausgebeutet wurden. Heute geht es beim Besuch aus Deutschland nicht um Ausbeutung, sondern um Hilfe.
„Wir können uns leicht vorstellen, was mit diesem friedlichen Paradies passiert, wenn der Meeresspiegel hier noch höher steigt“, sagt Baerbock zu den gut hundert Einwohner*innen des Dorfes, die ihrer auf Englisch gehaltenen Rede folgen. Schulen seien nicht mehr sicher, Ernten bedroht, Häuser gefährdet. „Die Menschen fragen sich, ob ihre Häuser in 30 oder 50 Jahren noch da sind“, heißt es in ihrem Redemanuskript. Doch diese Zahl muss sie spontan korrigieren. „Heute habe ich gelernt, dass es nicht um 30 bis 50 Jahre, sondern um 10 Jahre geht.“
Erfahren hat die Außenministerin das kurz zuvor, als der Fischer Ngirangas Biallany Thomas ihr die Auswirkungen des steigenden Meeresspiegel erläutert. Er wohnt in einem kleinen Haus direkt oberhalb des schmalen Strandes, im Nachbarhaus betreibt er einen kleinen Laden. Der kräftige Mann ist nicht besonders eloquent, das Gespräch mit der Ministerin verläuft etwas zäh. Doch die Botschaft ist trotzdem deutlich. Auch wenn der Meeresspiegel nur leicht gestiegen ist, führt er in Kombination mit stärkeren Stürmen und der Erosion des Strandes dazu, dass das Wasser jedes Jahr dichter an die Häuser herankommt. „Wenn es so weitergeht, sind sie in zehn Jahren verschwunden“, sagt Thomas und deutet auf sein eigenes und die benachbarten Häuser.
Palau ist bedroht – doch untergehen wird es nicht
Der Boden vor den Häusern rutscht ab, mit Steinen, Betonplatten und quer liegenden Baumstämmen versuchen die Bewohner, den Prozess aufzuhalten. Einfach an einen höher gelegenen Ort umziehen können sie nicht, berichtet Thomas. „Viele zahlen noch den Kredit für das Grundstück ab, ein neues kann sich niemand leisten.“
Doch während die Erosion vor den Häusern schneller voranschreitet, als die Ministerin im Vorfeld angenommen hatte, kann das Dazulernen durch direkte Anschauung auch in die andere Richtung funktionieren. Denn vor Beginn der Reise hatten sich die Warnungen von Annalena Baerbock noch sehr viel dramatischer angehört als später bei ihrer Rede: „Der steigende Meeresspiegel droht die Inselgruppe Palau, die erst 1994 unabhängig geworden ist, schlicht und einfach zu verschlucken“, hatte sie vor dem Abflug aus Berlin erklärt. „Die Einwohner von Palau verlieren also nicht weniger als ihre gesamte Existenzgrundlage.“
Auch anderswo ist diese Sorge, dass Palau durch den steigenden Meeresspiegel komplett von der Landkarte verschwinden könnte, häufig zu hören – etwa auf der jüngsten Weltklimakonferenz im November in Glasgow. „Wir müssen handeln, und zwar sofort, weil es sonst um unser Aussterben geht“, hatte der palauische Präsident Surangel Whipps Jr. dort in einer emotionalen Rede erklärt. „Wenn diese Inseln untergehen, haben wir die Kultur, die Sprache, die Identität der Menschen verloren.“
Wenn man tatsächlich auf Palau angekommen ist, scheint die Vorstellung, dass die gesamte Inselgruppe untergehen könnte, ziemlich absurd. Auf der Fahrt von einem Programmpunkt zum anderen schlängelt sich die Kolonne der Außenministerin über steile Serpentinenstraßen, die Steigung ist so stark, dass die Dieselmotoren der Busse laut röhren. Die höchste Erhebung der Inselgruppe, der Mount Ngerchelchuus, liegt auf 240 Metern Höhe, auch viele der kleineren Inseln ragen 50 Meter hoch aus dem Wasser. Verschwinden dürfte Palau darum in absehbarer Zeit nicht.
Den Fußballplatz hat das Meer verschluckt
Ein Problem ist der Klimawandel für die Menschen auf der Insel trotzdem. Denn ebenso wie der Fischer, den die Ministerin trifft, lebt ein Großteil der Bewohner*innen sehr dicht am Wasser – und fürchtet darum den Meeresspiegelanstieg und die zunehmenden Stürme. Auch der Tourismus, aus dem heute etwa die Hälfte der Einnahmen des Landes stammen, ist davon bedroht.
„Früher konnte man hier am Strand Fußball spielen“, sagt Joe Aitaro. „Und daneben auch noch Volleyball.“ Jetzt liegt das Gebiet knapp unterhalb des Meeresspiegels zwischen zwei Inseln. Aitaro arbeitet beim palauischen Office of Climate Change, er vertritt das Land sonst auf internationalen Klimakonferenzen. Jetzt steht er auf dem verbliebenen Strand und erklärt der barfüßigen deutschen Außenministerin anhand von Fotos aus der Vergangenheit und der Gegenwart die Erosion, mit der Palau auch hier zu kämpfen hat.
„Was ist mit den Bäumen passiert“, fragt Baerbock und deutet auf die umgestürzten Kokospalmen, die im Sand liegen. Die Erosion des Strandes hat ihnen den Halt genommen, lautet die Antwort. Und ohne die Wurzeln im Boden verschwindet der feine Sand anschließend noch schneller.
Die Insel, auf die die Außenministerin und ihre Delegation mit drei PS-starken Motorbooten gerast sind, gehört zu den sogenannten Rock Islands, einem Atoll aus versteinerten Korallenriffen im Zentrum der Inselgruppe. Steil ragen die palmenbewachsenen Kuppen in die Höhe, über dem Wasser werden sie schmaler, ähneln überdimensionalen Pilzen.
356 Inseln Palau befindet sich im Pazifik und gehört zu Mikronesien. Der Staat besteht aus sechs Inselgruppen mit insgesamt 356 Inseln. Zusammen ergibt das eine Fläche von 459 Quadratkilometern. Die größte Insel Babeldaob umfasst alleine 396 Quadratkilometer. Zum Vergleich: Die Landesfläche Berlins beträgt 891 Quadratkilometer.
20.000 Menschen Die Bevölkerungszahl beträgt nur etwa 20.000 Menschen. Die meisten von ihnen gehören christlichen Religionsgruppen an. Die Inselgruppe ist seit 3.000 bis 4.000 Jahren von Mikronesiern besiedelt.
Früher mal deutsch 1574 geriet Palau unter spanischen Einfluss und wurde kolonisierst. 1899 kaufte Deutschland die Inseln von Spanien und gliederte sie als Teil Neuguineas an das Deutsche Reich an. Nach dem Ersten Weltkrieg erhielt Japan ein Mandat des Völkerbunds über Palau, im Zweiten Weltkrieg besetzten die USA nach schweren Kämpfen die Inselgruppe, später wurde sie UN-Treuhandgebiet.
Unabhängigkeit Palau ist seit 1994 unabhängig und Mitglied der Vereinten Nationen, aber mit den USA assoziiert. Washington ist für Außenpolitik und Verteidigung zuständig. Das Bruttoinlandsprodukt beträgt pro Kopf etwa 10.000 US-Dollar. Hauptstadt ist Ngerulmud. (taz)
Hier liegt das touristische Zentrum von Palau, hier befinden sich auch die berühmten Tauchgründe. Beim Kurzbesuch der deutschen Delegation bleibt keine Zeit, um wenigstens beim Schnorcheln einen kurzen Blick unter Wasser zu werfen. Doch was jene berichten, die das schon getan haben, klingt spektakulär: Neben den Korallen in allen Farben und Formen, beeindruckenden Kanälen und Höhlen und einem Salzwassersee, in dem man zwischen Tausenden rosafarbenen Quallen abtauchen kann, ist Palau vor allem für seine Haie bekannt.
Schutzgebiet für Riffhaie
Seit 2003 sind die Gewässer um Palau – eine Fläche von der Größe Frankreichs – ein Schutzgebiet für diese Raubfische. Riffhaie sind darum rund um Palau in großer Zahl zu sehen, auch große Meeresschildkröten sind vertreten. Doch auch diese Unterwasserwelt ist durch den Klimawandel bedroht: Die Korallenriffe vor Palau sind aufgrund ihrer größeren Tiefe zwar weniger stark durch die Erwärmung des Meeres bedroht als etwa das Great Barrier Reef vor Australien; doch auch hier ist es schon vereinzelt zum Absterben gekommen, der sogenannten Korallenbleiche. Und die Schildkröten leiden unter der abnehmenden Dicke der Sandstrände, die dazu führt, dass ihre dort vergrabenen Eier häufiger freigespült werden.
In Ihrer Rede versichert Baerbock den Einwohner*innen von Palau ihre Solidarität. „Wir stehen hier – nicht durch Ozeane getrennt, sondern Seite an Seite“, sagt sie zum Abschluss – und erntet damit lautstarken Applaus. Doch neben den anwesenden Männern, Frauen und Kindern aus Palau hat ihre Rede noch weitere Adressaten, die der Ministerin mindestens ebenso wichtig sein dürften.
Angekündigt wurde die Ansprache auf dem Marktplatz von Bailechesau im Vorfeld als „Grundsatzrede zur Klimaaußenpolitik“. Damit die Rede in Deutschland auch wahrgenommen wird, wurden gezielt Journalist*innen zur Mitreise eingeladen, die sich mit Klimaschutz befassen; zudem begleitet eine fünfköpfige Delegation von deutschen Klimaschutz-NGOs die Außenministerin, um ihre Botschaft weiterzutragen.
Die lautet: Jetzt geht es endlich los mit der Klima-Außenpolitik. Um die Zuständigkeit für dieses Thema war während der Koalitionsverhandlungen hart gerungen worden. Baerbock hatte sich dabei gegen das Umweltministerium, das bisher für die internationalen Klimaverhandlungen zuständig war, ebenso durchgesetzt wie gegen das Entwicklungsministerium und das um die Zuständigkeit für den Klimaschutz erweiterte Wirtschaftsministerium, das Baerbocks Parteifreund und -konkurrent Robert Habeck übernommen hat.
Ein großes Versprechen
Doch durch den Ukrainekrieg hat die Ministerin bisher kaum Zeit gefunden, die mühsam erkämpfte Rolle auch auszufüllen. Die Reise zu einem der Hotspots der Klimakrise, die Baerbock mit dem G20-Außenministertreffen auf Bali und einem Antrittsbesuch in Japan verbindet, ist eine gute Gelegenheit, um das zu ändern. Die ehemalige Grünen-Chefin nutzt sie für eine Aussage, die auf dem Marktplatz in Palau etwas untergeht, bei den mitreisenden Umweltverbänden aber erfreut als wichtige Veränderung registriert wird.
„Wir werden unser politisches Gewicht nutzen, um zu schauen, wie Gelder am besten dafür eingesetzt werden können, Verluste und Schäden zu adressieren, sowohl innerhalb des UN-Klimasystems als auch darüber hinaus“, sagt die Ministerin. „Das ist mein Versprechen.“
Das Thema Verluste und Schäden – auf Englisch „loss and damage“ – gehört auf den internationalen Klimakonferenzen regelmäßig zu den größten Streitfragen. Die Länder des Südens verlangen schon lange, dass die Industriestaaten ihre Verantwortung für die unmittelbaren Folgen des Klimawandels anerkennen und diese finanziell ausgleichen. Diese lehnen das bisher entschieden ab. Statt teure Entschädigungen zu leisten, wollen sie lieber für technische Klimaschutzmaßnahmen zahlen, was weniger verbindlich ist – und zudem oft mit lukrativen Aufträgen für die eigene Industrie einhergeht.
„Dass sich eine große westliche Regierung so klar zu Loss and Damage bekennt, ist ein echter Durchbruch“, sagt Christoph Bals von der Klimaorganisation Germanwatch nach Baerbocks Rede, als auf dem Dorfplatz Fisch und Taro, die auf Palau angebaute Süßkartoffel, und frische Kokosnüsse serviert werden. „Jetzt erwarten wir aber auch entsprechende Taten.“
Doch zusätzliche Ausgaben zum Ausgleich von Klimaschäden bei FDP-Finanzminister Christian Lindner und SPD-Kanzler Olaf Scholz durchzusetzen, dürfte nicht leicht werden. Das weiß auch Baerbock. Auf der aktuellen Reise hat die Außenministerin kein frisches Geld dabei, sondern stellt nur unverbindlich Unterstützung bei der Umstellung der örtlichen Stromversorgung in Aussicht.
In Sachen Klimaschutz ist Palau kein Vorbild
Die besteht im Moment fast komplett aus Diesel-Kraftwerken. Und das ist durchaus symptomatisch: Während Palau die Natur rund um seine Inseln vorbildlich schützt und jeden Besucher bei der Einreise im Pass das Versprechen abgeben lässt, die Schönheit der Inselgruppe „zu bewahren und zu schützen“, spielt praktischer Klimaschutz dort kaum eine Rolle.
Obwohl auf Palau ganzjährig mit 3.344 Sonnenstunden gute Voraussetzungen für den Bezug von Solarenergie bietet, werden derzeit nicht einmal drei Prozent des Stroms mit Photovoltaik-Anlagen erzeugt. Fragt man die örtlichen Umweltaktivisten nach dem Grund für diese Zurückhaltung, deuten sie an, dass wichtige politische Akteure auf der Insel mit den Diesel-Kraftwerken gutes Geld verdienen.
Auch sonst ist Palau nicht überall das Öko-Paradies, als das es auf den Rock Islands erscheint. Vor fast jedem Haus stehen mehrere Autos, meist ältere Modelle. Entlang der quer über die Hauptinsel führenden Straße sind immer wieder wilde Schrottplätze zu sehen, auf denen Fahrzeuge vor sich hin rosten. Und durch die vielen Transporte per Schiff und Flugzeug und den hohen Stromverbrauch durch die allgegenwärtigen Klimaanlagen gehört der CO2-Ausstoß pro Kopf auf Palau tatsächlich zu den höchsten der Welt.
Eins dürfte Baerbock mit ihrem Trip nach Palau gelungen sein: Die Außenministerin, die ihre politische Karriere in Berlin einst als klimapoltische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion begonnen hat, meldet sich mit ihrem alten Kernthema Klimaschutz zurück. Das dürfte auch ein Zeichen an Robert Habeck sein, der zuletzt auf seiner Nahostreise ebenfalls klare Signale ausgesendet hatte, dass er sich mehr zutraut als sein derzeitiges Klima- und Energie-Ressort.
Auf Palau stehen andere Fragen im Mittelpunkt. Um die Zusammenarbeit mit Palau und den anderen pazifischen Inselstaaten zu intensivieren, setzt Baerbock eine neue Sonderbotschafterin für die Region ein. Zum möglichen Ersatz der Diesel-Kraftwerke soll eine Machbarkeitsstudie gestartet werden. Dass jedoch ein internationales Entschädigungssystem in Kraft tritt, noch bevor die Häuser von Ngirangas Biallany Thomas und seinen Nachbarn in Bailechesau im Meer verschwunden sind, scheint unwahrscheinlich.
Der Anstieg des Meeresspiegels, das zeigen die globalen Messwerte und das spüren die Menschen auf Palau, hat sich in den letzten Jahren deutlich beschleunigt. Die Klimapolitik bleibt dagegen, das beweist auch diese Reise, ein zäher Prozess.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!