Aus dem Leben eines Flaschensammlers: „Sie nehmen mich wahr als Müll“
Ein Flaschensammler will sein Pfand eintauschen, doch die DB-Security verweist ihn des Bahnhofs. Darauf kommt er in die taz und beschwert sich. Sein Protokoll.
An einem Mittwochmittag steht ein Mann mit Mütze und dickem Wollpullover vor der Tür der taz und möchte mit jemandem von der Redaktion sprechen. Er hat zwei Tüten dabei, die er im Flur stehen lässt. Er möchte sich wehren, sagt er, und erzählt dann seine Geschichte, in einem Deutsch, das nicht seine Muttersprache ist und trotzdem oft wie Literatur klingt. Die Redaktion kennt seinen Namen – in der Zeitung möchte er ihn nicht lesen.
Ich stand am Eingang von Lidl im Bahnhof Altona und bis zu diesem Augenblick war alles ohne Problem. Ich nehme immer die S1 am Flughafen und bin direkt in Altona, nehme die Rolltreppe und bin bei Lidl. Mineralwasser und Backwaren sind da günstig und die Backwaren sind gut. Und dann nehme ich die S1 zurück nach Aumühle. Als Naturschützer ist mein Zentrum der Sachsenwald und Aumühle. Eigentlich bin ich ehemaliger Naturschützer.
Es ist so weit, dass individueller Naturschutz oder der von einer Gruppe eine so kleine Chance gegen die Machthaber von heute hat, dass man eigentlich nicht mehr von Umweltschutz sprechen kann. Aber ich liebe Natur, und ich brauche Bäume, ein bisschen Wald, und das ist eben der Sachsenwald und das Billetal.
Als ich vor Lidl stand, hatte ich zwei Tüten mit Pfandflaschen bei mir, alle zu 25 Cent. Ich hatte alles vorbereitet: die große Tasche auf den Einkaufswagen gesetzt, die Flaschen schon im Wagen vorbereitet und auf einmal standen die Security-Leute der Bahn vor mir. Sie waren wahrscheinlich auf der Streife am Bahnhof und haben mich bemerkt. „Was machst du hier? Hier ist Flaschensammeln verboten“, haben sie gesagt.
Agression und Erniedrigung
Ich habe noch gesagt: „Die Flaschen sind nicht von hier“, aber das ist egal. Was man sagt, was man tut, das ist egal, weil die Hauptrolle spielen diese. Ich habe sofort die Aggression gefühlt, die wollten einfach streiten. Es ist nicht bei allen so, aber bei einigen von ihnen: Wenn sie einen Menschen sehen mit einem Äußeren wie ich, dann ist es einfach eine Beute. Sie duzen sofort, da ist kein Sie, kein Respekt. Es gibt zwei Gruppen. Die einen respektieren einen, die sind freundlich. Die anderen wollen einen erniedrigen, und sie freuen sich an ihrer Übermacht.
Ich wollte friedlich meine Sachen schnell erledigen, keine Gewalt von mir. Ich wollte mit dem Wagen zur Tür gehen. Also sie haben das verhindert. Sie haben sich davor gestellt und ich mache keine Gewalt dagegen. Das ist für mich das Sicherste. Wenn man ein bisschen Gewalt zeigt, das ist das Ende. Sie haben mich angesprochen, aber ich wollte da nicht kommunizieren, ich hatte keinen Grund.
Sie haben gesagt: „Du musst jetzt den Bahnhof verlassen.“ Ich habe nicht reagiert. Ich wusste nicht: Warum denn? Ich bin stehen geblieben. Sie haben den Wagen mit Gewalt irgendwohin weggeschoben, mit dem Leergut und mit einer großen Tasche. Ich habe das nicht beobachtet, mein Ziel war jetzt nur die Papiertasche, weil da meine Kamera drin war. Sie haben mich angegriffen, ich habe mich zusammengekauert und mich und die Tasche geschützt. Dann ist es sofort weiter eskaliert, sie haben mir die Tasche abgenommen.
Ich dachte immer, dass sie ein bisschen Vernunft bekommen, aber es ist weiter eskaliert. Sie haben mich von der Tasche getrennt. Ich habe toter Käfer gemacht. Weiteres weiß ich nicht. Wo ist der Wagen mit meiner Tasche und dem Leergut? Wo ist meine Papiertasche mit der Kamera?
Keine Hilfe von den Passanten
Ich wollte, dass Passanten die Polizei rufen, aber niemand hat mir geholfen. Eine Frau und ein Herr sind stehen geblieben, aber das waren wahrscheinlich Ausländer, und sie haben sich nicht eingemischt. Das ist aber leider immer so: die Gleichgültigkeit und keine Bemühung um Hilfe. Sie haben Angst, weil diese Uniformen mit ihrer Aggressivität und Gewalt Angst verbreiten. Die Menschen haben Angst. Da sind keine Helden.
Die Security-Leute haben Nummern an ihren Uniformen, aber ich war nicht fähig, etwas zu machen. Ich habe meine Augen zugemacht, Hände über den Kopf gehalten, das war es. Eine weitere Gruppe von Security-Leuten ist dazugekommen. Sie wollten, dass ich weggehe. Aber ich wollte meine Sachen bei Lidl erledigen.
Ich bin kein Alkoholiker, keine Drogen, ich habe nicht gepinkelt, ich bin nur mit meinem Leergut zu Lidl gegangen. Ich wollte einfach einkaufen, wie fast jeder, aber das genügt nicht, weil sie nach dem Äußeren schätzen und sie haben wahrscheinlich ein Ziel: Menschen mit einem Äußeren wie mich wegzuhalten vom Bahnhof. Ich glaube, sie nehmen mich wahr als Müll.
Warten auf die Polizei
Ich bin auf dem Boden geblieben und habe um Hilfe gerufen und nach der Polizei. Sie wollen keine Polizei bei diesen Aktionen. Nach mehreren Minuten haben sie mich angefasst und mich zum Bahnhofsausgang gezogen. Da ist eine Ecke, wo oft Alkoholiker sind, alles ist vollgepinkelt und stinkt. Auf diese Ecke haben sie mich geworfen und da bin ich geblieben, Augen immer zu. Ich wollte eigentlich nichts mehr, aber ich hoffte, dass die Polizei kommt.
Ich habe mehrere Minuten dort im Eingangsbereich gelegen. Dann hat jemand den Rettungsdienst gerufen. Die haben mir auf die Beine geholfen, und ich wollte, dass sie die Polizei rufen. Ich habe mich umgeschaut und gesehen, dass der Einkaufswagen um die Ecke bei mir war. Die große Tasche war noch da, aber das Leergut war weg. Ich habe schnell in die Papiertasche geschaut und gesehen: Die Kamera ist weg und die Lebensmittel auch.
Ich sage, das ist nicht möglich heute in Europa, aber das ist einfach so normal hier. Meine Sachen sind weg, die Kamera und meine Arbeit. Ich habe die Kamera Anfang des Jahres in einem Fotogeschäft in Hamburg gekauft. Sie war günstig, eine Nikon 3100 mit Karte, Zustand A, für 220 Euro. Es waren schöne Tage, und ich habe viele Arbeiten an der Bille im Sachsenwald gemacht. Das ist für mich das Wichtigste.
Ich war in Tschechien in Bürgerinitiativen, aber das ging einfach nicht. Ich bin nach Deutschland gekommen, weil ich dachte, hier ist eine weiter entwickelte Bürgergesellschaft, und hier ist ein bisschen mehr Demokratie und mehr Möglichkeiten, etwas zu beeinflussen. Aber ich weiß, das alles war ein großer Irrtum.
Der Polizist war sehr streng mit mir. Er hat gesagt, ich habe hier Hausverbot, von 2016, aber ich erinnere mich gar nicht daran. Er wollte nicht weiter diskutieren. Er hat gesagt, wenn ich noch länger bleibe, benutzt er Gewalt gegen mich. Ich habe den Bahnhof immer betreten mit dem Gewissen, dass alles okay ist.
Mit ruhigem Gewissen
Der Polizist wollte, dass ich den Bahnhof verlasse. Ich wollte wissen, bis wohin muss ich gehen? Die Security hatte nichts von einem Hausverbot gesagt. Wenn es wirklich 2016 war, dann wegen Schwarzfahren oder Taubenfüttern. Ich füttere mit Wissen und artgerecht. Ich benutze vor allem Sonnenblumenkerne in Bioqualität, die sind sogar günstiger als normale konventionelle. Es ist verboten, aber sie leben dort, und sie sind oft verletzt. Ich kann das nicht sehen, ich unterstütze die.
Ich kenne in Hamburg keine Stelle, an die man sich in so einer Situation wenden kann. Hier ist keine Hilfe. Die Taschen waren mit Gewalt von mir abgenommen. Ich konnte mich nicht wehren, das ist Raubüberfall. Ich fühle, dass man sich wehren muss, aber ich habe keine Hoffnung auf ein gutes Ergebnis.
Wissen Sie vielleicht eine Stelle, an die ich mich wenden kann? Ich habe Angst vor der Polizei, die helfen mir nicht. Ich verdiene 200 Euro sehr hart, aber vor allem möchte ich die Speicherkarte zurück. Gibt es hier wirklich keine Stelle für menschliche Rechte oder so, die so etwas dokumentiert?
Die Hamburger Polizeipressestelle antwortet auf Anfrage der taz Folgendes:
„Anhand der von Ihnen gemachten Angaben konnte ich hier ein Ermittlungsverfahren identifizieren, welches beim Altonaer Landeskriminalamt (LKA 123) geführt wird. Ein 56-Jähriger ist hier Geschädigter. Ermittelt wird wegen des Verdachts der Körperverletzung, der Beleidigung und des Diebstahls. Sehen Sie mir bitte nach, dass ich Ihnen, da es sich um ein laufendes Ermittlungsverfahren handelt, derzeit keine weiteren Angaben dazu machen kann. Das angesprochene Ermittlungsverfahren läuft meinen Unterlagen zufolge derzeit gegen Unbekannt, da die Personen, die der Geschädigte für den Vorfall verantwortlich macht, im Rahmen der Anzeigenaufnahme nicht mehr vor Ort waren. Bei dem ‚Platzverbot‘ soll es sich um ein Hausverbot – also kein polizeilich verfügtes Aufenthaltsverbot o. ä. handeln. Daher kann ich Ihnen dazu keine Angaben machen.“
Eine Sprecherin der Deutschen Bahn antwortet drei Tage nach der taz-Anfrage:
„Zu dem von Ihnen beschriebenen Vorfall konnten noch nicht alle Mitarbeitende befragt werden. Daher können wir Ihnen keine Details liefern. Wir bitte um Verständnis. Grundsätzlich gilt in allen Bahnhöfen der DB unsere Hausordnung. Ein Hausverbot wird in der Regel für 12 Monate erteilt. In besonders schweren Fällen können auch 24 Monate Hausverbot erteilt werden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch