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Auflösung der Ampel-RegierungHolpriger Versuch endgültig gescheitert

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Das Aus der Ampel ist kein Grund zur Freude. Ihr Scheitern markiert wohl das Ende der langen Hegemonie der Linksliberalen in der Bundesrepublik.

Deprimierend ist die Lage nicht nur für Christian Lindner Foto: Christoph Soeder/dpa

D ie Ampel ist Geschichte. Das Ende kam nach Monaten der Agonie nicht unerwartet. Nur der dramatische Termin am Tag nach Trumps Sieg wirkt für die sachliche, auf Stabilität bedachte, emotional untertourige bundesdeutsche Politik fast melodramatisch. Ein Gefühl von Zusammenbruch.

Die Ampel ist nicht gestern gescheitert, sondern am 15. November 2023, als das Bundesverfassungsgericht törichterweise urteilte, dass 60 Milliarden Euro ungenutzter Corona-Kredite nicht für Klimatransformation benutzt werden dürfen. Die EU tat genau dies. In der Bundesrepublik war es verfassungswidrig.

Damit hatte sich der Kompromiss zwischen SPD und Grünen und der auf tumbes Sparen fixierten FDP in Luft aufgelöst. Die Geschäftsgrundlage war ruiniert, das monatelanges Gezerre um den Haushalt die unvermeidliche Folge.

Wut auf die FDP

Scholz hat bis zur letzten Minute versucht, Lindner Egotrips mit buddhistischer Gelassenheit zu ertragen und alle Konflikte wegzumoderieren. Hätte der Kanzler, wie oft verlangt, früher auf den Tisch gehauen, wäre die Ampel schon früher auseinandergeflogen. Scholz' Auftritt gestern, dramaturgisch gesehen sein bester seit Langem, hat gezeigt, wie viel Wut auf die Destruktivkräfte der FDP sich hinter seinem Pokerface verborgen hat.

Aber die Ampel ist nicht an Lindners Narzissmus und Kurzsichtigkeit gescheitert. Sie ist nicht an Scholz' Mangel an Charisma gescheitert (der einzige Kanzler mit Charisma seit 1949 war Willy Brandt). Die Ampel ist auch nicht an dem mit vielen Moraltrompeten verkündeten Heizungsgesetz der Grünen gescheitert. All das hat nur eine Nebenrolle gespielt. Entscheidend sind zwei Gründe.

WählerInnen wollen einerseits lautlos und schmerzfrei von Volksparteien regiert werden – Merkel hat dieses Prinzip perfektioniert. Aber das Publikum wählt nicht mehr Union und SPD plus kleinere Partner wie früher, sondern nach Stimmung, mal AfD oder BSW. Auch ohne Krawallschachteln wie Lindner wird es künftig lagerübergreifenden Koalitionsregierungen geben, in denen es krachen wird.

Nächster Kanzler: Friedrich Merz

Das verdrießt das Publikum, dessen schlechte Laune somit strukturell ist. In Zahlen: Mehr als 80 Prozent waren mit der Ampel total unzufrieden, aber nur eine Minderheit glaubte, dass es die nächste Regierung besser machen wird.

Der zweite Grund ist noch wichtiger. Mit der Ampel ist der holprige Versuch gescheitert, eine einigermaßen liberale, einigermaßen klimafreundliche und einigermaßen auf sozialen Ausgleich bedachte Politik in Zeiten eines rüden Rucks nach rechts zu machen. Es gibt in Deutschland schlicht keine Mehrheiten mehr für eine ökosoziale Politik.

Der nächste Kanzler wird, wenn kein Wunder passiert, Friedrich Merz heißen, ein Wirtschaftsliberaler von vorgestern, taub für Klimapolitik und Soziales. Und Merz ist noch ein Hort der Vernunft, verglichen mit Figuren wie Markus Söder oder Jens Spahn, die klingen wie Rechtspopulisten. Die AfD prägt mehr und mehr das Meinungsklima der Republik. Man sollte besser keine hohen Summen mehr darauf wetten, dass die politische Quarantäne gegen die Rechtsextremen von Dauer sein wird.

Das Aus der Ampel ist kein Grund zur Freude. Ihr Scheitern markiert wahrscheinlich das Ende der langen kulturellen Hegemonie der Linksliberalen in der Bundesrepublik.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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34 Kommentare

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  • "Ihr Scheitern markiert wohl das Ende der langen Hegemonie der Linksliberalen in der Bundesrepublik."

    Hä? Bitte den Begriff Hegemonie noch mal googlen! Eine Hegemonie der Linksliberalen mag es vielleicht bin inkl. Schmidt gegeben haben, aber damit war spätestens seit Kohl Schluss. Oder was soll "linksliberal" heißen?

    Ja, Merz wird Kanzler werden, so wie die Umfragen stehen. Aber die Menschen werden vermutlich bis zur Wahl nicht schlauer werden. Egal, ob sie im März oder September ist. Aber mit diesem starken Auftakt des Wahlkampfs hat Scholz gleich ein paar Punkte gesammelt.



    Er wird abgewählt werden, aber mit diesem Schritt wird er bei der Wahl mehr Stimmen bekommen als wenn er Lindner bis zum bitteren Ende weiter alles hätte sabotieren lassen. Schlimm genug, dass er das drei Jahre zugelassen hat.



    Vielleicht reicht ihm der Vorsprung zu einer GroKo statt einer CDU/SPD/Grünen Regierung. Und das könnte sein Kalkül gewesen sein.



    Ich habe ihm seine menschenfeindliche Asylpolitik und das er die FDP immer durchgewunken hat, trotzdem nicht vergessen.

  • Danke für diese Einordnung.



    Sehr wahrscheinlich eine sehr realistische wenn auch nicht wirklich optimistisch für die Zukunft stimmende Analyse.

  • Neustart

    Wie wir es in der Fahrschule gelernt haben;



    Fällt die Ampel aus gilt rechts vor links :((

    Würde Scholz verzichten und Pistorius den Vortritt lassen, dann hätte die SPD vielleicht ne Chance 20+ % zu erreichen.



    Was eine Koalition mit der Union ermöglichen würde, ohne einer dritten Fraktion.



    Ansonsten geht es wie in Thüringen aus. Mit AFD will in dieser Legislatur noch keiner und mit BSW kann keiner, weil die Bolschewikin eine ganz andere Form der Demokratie im Sinne hat

  • "WählerInnen wollen (...) lautlos und schmerzfrei von Volksparteien regiert werden." Das ist der einzige Satz dieses Kommentars, dem ich vorbehaltlos zustimmen kann.



    Eine "linksliberale" Mehrheit hat es in der Bunsreplik nach 1990 nie gegeben. 1998 wollten alle "bloß weg" von Kohl. 2021 gab es diese Mehrheit eben auch nur als Chimäre.



    Die drei dt. Volksparteien standen nicht nur für eine der drei großen Gesellschafts-Erzählungen (Konservatismus, Sozialismus, Liberalismus). Diese Parteien fungierten vor allem als korrespondierende Röhren, mit deren Hilfe eigentlich unvereinbare Gegensätze gesellschaftlicher Milieus (und Klassen) ausgeglichen wurden.



    Partikularinteressen wurden quasi "nichtöffentlich" verhandelt und dem Konsens letztlich beigeordnet.



    Gesamtgesellschaftliche Fragen wurden innerhalb eines Verfassungsdialogs gelöst (im Zweifel vor dem Gericht).



    Volksparteiliche Fliehkräfte wurden entweder integriert oder pulverisiert.



    Da dies nicht mehr gelingt, bilden sich an den Rändern oder zwischen den "Lagern" immer neue Gruppierungen, die mit absoluten und eindimensionalen Forderungen schwer konsensfähig oder integrierbar sind (s. Hr. Lindner und die FDP).



    Fortsetzung folgt...

  • Bedenkt man wie unterschiedlich die FDP und die Grünen/SPD ticken, dann hat sich die Koalition recht lange gehalten. Wer stabile Regierungen möchte, muss Koalitionen mit Gemeinsamkeiten akzeptieren. Daher stellt sich die Frage nach den Brandmauern als nächstes. Stabile Koalitionen und Einhaltung der Brandmauern kann man nicht gleichzeitig haben. Was bleibt dem Wähler im Gedächtnis? Minderheitenregelungen (die die Mehrheit der Wähler nicht betrifft), eine Energiewende, bei der Ergebnis und Kosten in keinem vernünftigen Verhältnis stehen, ein ernsthaft peinliches Heizungsgesetz, Abschaltung von Kernkraftwerken während einer Energiekrise, eine katastrophale wirtschaftliche Entwicklung (auch im Vergleich zur EU) und eine unkontrollierte Migrationspolitik. Herr Scholz kann die Neuwahl noch verzögern, aber von dem Eindruck werden sich Grüne/SPD nicht erholen bis zu nächsten Bundestagswahl. Natürlich ist aus linker Sicht die FDP schuld (auch wenn selbst mit FDP keine Grundgesetzänderung zustande gekommen wäre). Ob das die Mehrheit der Wähler demnächst so sehen wird, darf bezweifelt werden. Ja, der Tag gestern war eine Zäsur, nicht nur in den USA.

    • @Nachtsonne:

      Die Brandmauern haben aber nunmal auch ihre demokratische Berechtigung: Auch wenn z. B. der durchschnittliche CDU-Wähler eine größere inhaltliche Schnittmenge mit der AfD als mit den Grünen hat, dürften ihm trotzdem die inhaltlichen Differenzen wichtiger sein, weil sich die AfD an etlichen Stellen nunmal selbst aus rechtskonservativer Sicht schlicht disqualifiziert. Also wird er eher in den sauren Apfel beißen, eine Koalition mit den Grünen zu ertragen, als seiner Partei ein Zusammengehen mit den Faschos zu verzeihen. Noch, zumindest.

      Es ist an den demokratischen Parteien, sich ohne Eitelkeit zusammenzuraufen und einen besseren, verständlichen Kurs zu finden, der den Wählern vorführt, dass Angst nicht hilft und Hass erst recht nicht. Was dafür nötig wäre, ist Mut. Der ist gerade leider wenig in Mode. Irgendwie fallen derzeit Alle - links wie rechts - gerne auf ranziges Wiedergekäutes zurück...

  • Schon seit Jahrzehnten wedelt der Hundeschwanz (FDP) mit dem Hund. Früher gab es immerhin noch einige Moralisten in dieser Partei. Inzwischen geht es nur noch um die Pfründe, die man sich sichern möchte. Dieses Kalkül war das Einzige, was die FDP von Beginn an verfolgt hat. Die Macht- und Geldgier frisst alles, da ist für die Protagonisten sogar die Gefahr von rechtem Gedankengut völlig nebensächlich.

  • "Es gibt in Deutschland schlicht keine Mehrheiten mehr für eine ökosoziale Politik." - richtig! Noch richtiger (und trauriger): Es gibt in Deutschland keine Mehrheiten mehr für gestaltende Politik.



    Stattdessen: Symbolpolitik! Kreuze her und Gendersternchen weg! Geflüchtete, die sich ein Bett teilen müssen (man schläft ja ohnehin nicht 24h). Beim Bürgergeld 14,70 Euro für Gaststätten-/Imbissbesuche und 2,03 Euro für Bildung kürzen. Usw.usf.

    • @My Sharona:

      Ich bin völlig bei Ihnen, was die Differenzierung zwischen Gestaltung und Symbolpolitik betrifft. Der Teufel steckt aber wie immer gerne im Detail. Man könnte z. B. argumentieren, dass die Sorte "Gestaltung", die Sie - gemessen an den gebrachten Beispielen - wohl für nötig halten, eher eine bessere Subventionierung des traurigen Status Quo darstellt.

  • Wer waren denn die linksliberalen seit Anfang der 90er Jahre?



    Die CDU/CSU waren's nicht, die FDP auch nicht, die SPD hat sich genau wie CDU/CSU/FDP lieber wirtschaftsliberal aufgestellt. Blieben noch die Grünen, bei denen ich durchaus linksliberale Ansätze erkennen kann, aber die viel zu zaghaft waren (konsequent ging es da eher nur bei ökologischen Fragen zu, allerdings seit vielen Jahren auch nicht mehr richtig). Die Linke war bisher viel zu sehr mit sich beschäftigt. Und die autoritären AfD und BSW sind erst recht nicht liberal, zusätzlich hat die AfD mit links absolut nichts zu tun.



    Insofern kann ich keine linksliberale Hegemonie erkennen, eher die Hegemonie der radikal Marktgläubigen.

    • @Minion68:

      Ja, das habe ich mich am Anfang des Artikels auch gefragt. Aber im Artikel wird klar, dass dem Autor "linksliberal" im ganz großen zeitlichen Kontext seit Brandt sieht, und auch das gesellschaftliche Siechtum unter Kohl & Merkel noch irgendwie "liberal" (weil FDP) und irgendwie links (weil SPD).



      Das isch dann jetzt langsam wirklich over, weil in der FDP nicht mehr "Die Liberalen" wohnen, und weil Merz auch ohne Wimpernzucken Höcke in die Ecke drücken würde um an die Macht zu kommen.

      Ihre Sichtweise auf die radikalen Jünger des Hl. Marktes ist natürlich auch nicht von der Hand zu weisen.

  • "Das Aus der Ampel ist kein Grund zur Freude."



    Ja,das sehe ich als "Nicht-Ampel-Wählerin" ebenso.Schade,dass nicht bis zu den nächsten Wahlen abgewartet werden konnte.Ich will auch keiner der drei involvierten Parteien die Verantwortung für das Scheitern zuschieben,da sie von Anfang an nicht zusammen gepasst haben.



    Hinsichtlich Schuldenbremse bin ich unschlüssig,ob das Festhalten daran richtig oder falsch ist.Mir fehlt das Vertrauen,in egal welche Regierung,dass mit mehr und mehr und noch mehr Geld Probleme gelöst und schon gar nicht nachhaltig gelöst werden.Das liegt auch daran,dass ich persönlich immer mehr Gebühren,Abgaben und Steuern bezahle,ohne dass irgendetwas besser wird oder Schwierigkeiten behoben werden,im Gegenteil.Woran das liegt,weiß ich nicht.



    Frau Merkel hat damals gleich die Mehrwertsteuer um 3% erhöht und ich sehe nicht,dass diese hohen Mehreinnahmen des Staates für die Bürger:innen irgendetwas verbessert hätten.Auch jetzt sind die Steuereinnahmen hoch und es reicht immer noch nicht.

    Ich freue mich auf weiterhin so gute Artikel in der taz,die ausnahmslos immer einen Mehrgewinn bedeuten und aus denen viel gelernt werd.kann,ebenso freue ich auf den Erkenntnisgewinn

  • "Hegemonie der Linksliberalen"???? Der Autor muss in einer anderen Welt leben als ich. Meine Welt ist seit sehr langer Zeit geprägt von Sozialabbau, Schuldenbremse, dem Verschieben der Ressourcen von unten nach oben, dem Aufbauen von Grenzen und der Ausgrenzung von Migrant/innen und einer Militarisierung der Politik. Die Rechten regieren, schon sehr lange.

  • Spätestens mit dem 18-seitigen Positionspapier vom Wochenende hat Christian Lindner auf Knien darum gebettelt, aus der Koalition geschmissen zu werden. Jetzt betreibt er klassische Täter-Opfer Umkehr. Hoffentlich ist seine nächste Tätigkeit APOF: außerparlamentarischer Oppositionsführer.

  • Die ökologisch-soziale Transformation der Industriegesellschaften ist langfristig ohne Alternative. Können Andere sicher detaillierter beschreiben. Wird auch ein Kanzler Merz bei der nächsten Katastrophe zur Kenntnis nehmen müssen.

    • @aujau:

      Schön wärs. Wir müssen aber leider beobachten, dass die Mehrheit der Menschen, je schlimmer die eintretenden Katastrophen, desto weniger bereit sind, sich für eine vernünftige Problemlösung einzusetzen



      und sich lieber immer irrer werdenden Verschwörungs- und Sündenbockmythen hingeben.



      In Spanien werden von der Flutkatastrophe wohl keine linken oder grünen Kräfte, sondern VOX profitieren.

  • Das Urteil des Verfassungsgericht bezüglich der Coronaumlagen war nicht töricht, sondern rechtens in diesem Rechtsstaat. Es lag an der schlechten Begründung der Regierung für diese Umtopfung und nicht daran, dass es hier grundsätzlich unmöglich ist.



    Außerdem meine ich, dass Deutschland mit 16 Jahren Merkel, 16 Jahren Kohl davor, in einer demokratischen Ausnahmesituation war, die der Bevölkerung glauben machen kann, solche Art von Stabilität sei der Anker der Demokratie. Demokratie heisst flexibler Wechsel, damit solche Herrschaftssituationen erst gar nicht entstehen. Kein Wunder, dass Parteien hier erst mal ihre Gegensätze nicht in tragbare Kompromisse umwandeln können. Vielleicht braucht es auch noch einige Regierungskonstellationen. Ich finde es einen normalen Lernprozess und kein Grund für distopische Untergangsfantasien,die sowieso niemandem nützen. Die bequemen



    Zeiten sind vorbei. Wir sollten nicht darauf setzen, dass es nur schlimmer werden kann.

  • Habe ich das richtig gelesen: Hegemonie der Linksliberalen? In der Ampel ist wenig von liberalem Gedankengut zu verspüren. Soweit erkennbar hat sich zB Heil mit dem Bürgergeld durchgesetzt und das Heizungsdiktat oder der blödsinnige Atomausstieg tragen auch keine liberale Handschrift. Und die Berufung der Deutschenhasserin Ataman ist ein schlechter Witz. Gewiss, das letzte Papier von Lindner war eine Provokation. Aber das war auch die Absicht, nachdem Habeck seine verquere Industriestrategie präsentiert hatte. Aber egal, die FDP ist wahrscheinlich Geschichte, jedenfalls wird sie anders als 1982 nicht mehr gebraucht.

  • taz: *Scholz hat bis zur letzten Minute versucht, Lindner Egotrips mit buddhistischer Gelassenheit zu ertragen und alle Konflikte wegzumoderieren.*

    Christian Lindner (FDP) hat sich doch von Anfang an in der Ampel benommen wie ein arroganter BWL-Student. FDP-Politiker sind eben FDP-Politiker und Christian Lindner ist sogar noch ne' Nummer schlimmer.

    taz: *Das Aus der Ampel ist kein Grund zur Freude.*

    Freuen tut sich nur die CDU/CSU, denn die versuchen jetzt so schnell wie möglich an die Macht zu kommen, damit das Klima und alles Soziale in Deutschland den Bach runtergehen kann. Und mit dem ehemaligen Black-Rock-Lobbyisten Friedrich Merz, der das Wort Klimaschutz gar nicht kennt und nur auf dem Schoß der klimazerstörenden Wirtschaft sitzt, wird der Union das wohl leider auch gelingen.

  • Es wird jetzt erstmals seit 1998 keine linke Regierung mehr geben? Lese ich das richtig? Die Birne kann ja nicht gemeint sein.



    Hier bei uns in Sachsen ist es ja beinahe universaler Konsens, dass es sich bei der Merkeladministration um eine linke Regierung gehandelt hat. Das galt in den letzten Jahren hier in der TAZ aber immer als rechtes Narrativ. Ich persönlich sehe in der aktuellen Regierung kaum etwas Linkes. Mit Liberalität und Freiheit haben ja sowieso alle politischen Lager hier ein strukturelles Problem. Wie da die Idee aufkommt, wir wären ausgrechnet lange von Linksliberalen regiert worden, kann ich nicht nachvollziehen.

    • @Šarru-kīnu:

      Auch ich frage mich, ob ich die "lange kulturelle Hegemonie der Linksliberalen in der Bundesrepublik" verpasst haben könnte, weil ich in der Zeit gerade im Bad gewesen bin. Ob der Autor selbst daran glaubt, was er da schreibt?

      @Šarru-kīnu ist übrigens ein geiler Nickname! 👍

    • @Šarru-kīnu:

      Stimmt. Dieser "Links-Grün-Ruck", von dem Konservative und Rechte ständig faseln, existiert allenfalls in einem Märchenbuch. Nicht einmal die Schröder-geführte SPD-Regierung konnte man als links bezeichnen, geschweige denn sozial. Siehe Hartz IV und Gazprom. In der GroKo hat man von der SPD auch nicht viel bemerkt.

    • @Šarru-kīnu:

      Anfangs hätte ich es auch nicht gedacht, aber Merkel hat durchaus linksliberale Politik gemacht. Merz ist da ganz anders drauf.

      Die Ampel hatte auch Anzeichen von linker Politik, Kindergrundsicherungsgesetz und jetzt noch die Erweiterung der Mietpreisbremse, wenn sie denn durch kommt.

  • Ich fürchte die Dinge liegen so wie Stefan Reinecke sie beschreibt. Nur - es gibt noch einen unerbittlichen Lehrmeister und das ist der Klimawandel.

  • "Hegemonie der Linksliberalen"? Also wenn man ehrlich ist, muss man doch sagen, dass es so etwas nicht gegeben hat. Deutschland wählt tendenziell rechts. Dass kann man auch schon daran sehen, dass linke, also SPD-geführte Regierungen, im Vergleich zu CDU geführten Regierungen eher selten sind. Allerdings: Mit Ausnahme einer Unterbrechung von 4 Jahren schwarz-gelb unter Merkel war die SPD jetzt seit 1998 in Regierungsverantwortung. Eine kleine Pause täte ihr vielleicht auch mal ganz gut.

  • Die FDP ist nicht liberal, schon lange nicht mehr. Sie ist libertär, das ist ein Unterschied. Ich würde sie sogar fast schon als hedonistisch bezeichnen, nur dem eigenen Vergnügen, respektive Profit verpflichtet. Den Rauswurf hat sich Lindner redlich verdient, er kommt nur um Lichtjahre zu spät.

  • Wie immer eine sehr präzise Einschätzung von Herrn Reinecke. Ich denke sogar, dass wir, im Kontext von Trumps Wiederwahl, aktuell den endgültigen Bruch mit der liberalen Demokratie in ihrer Nachkriegsform erleben. Das amerikanische Wahlvolk hat zum ersten Mal in seiner Geschichte die Verfassungsordnung und republikanische Grundprinzipien zur Disposition gestellt bzw. für irrelevant erklärt. Israel, die einzige Demokratie im Nahen Osten, befindezt sich als Staat und Gesellschaft de facto in Auflösung. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis in Frankreich und UK Figuren wie LePen und Farage an der Macht sind und die deutsche Brandmauer ist kaum mehr ein Gartenzaun, im Prinzip macht ja schon die Ampel AfD Migrationspolitik. Recnet man die Destabilierungen der Klimakrise mit ein, die bis 2050 exponentiell zunehmen werden, ist für mich relativ klar, dass wir global einer langen Ära des "chaotischen Autoritarismus" entgegengehen. Was das bedeutet kann man anhand von Russland schön studieren. Ich bin sehr dankbar, dass ich bisher in stabilen Verhältnissen gelebt habe und meine besten Jahre deutlich hinter mir liegen, denn es wird sehr hässlich werden.

  • Danke, eine absolut richtige Analyse - wobei ich Lindner und die FDP weniger kritisch sehe, weil Deutschland eben tatsächlich massive strukturelle Defizite hat, die aufgrund der Demografie eher noch problematischer werden. Soll irgendwann der Sozialhaushalt 60 Prozent des Bundeshaushalts darstellen, dann noch 10 Prozent Zinszahlungen?

  • "Der nächste Kanzler wird, wenn kein Wunder passiert, Friedrich Merz heißen, ein Wirtschaftsliberaler von vorgestern, taub für Klimapolitik und Soziales."



    Historisch wird das quasi analog einer Restauration, aber das ist wiederum auch nur eine Vorstufe von weiteren, dann unaufschiebbaren und ultimativen fortschrittlichen Veränderungen in der Klima- und Sozialpolitik.

  • Wer angesichts Trumps im weißen Haus nicht versteht, dass kein Spielraum für Protestwahl bleibt, hat den Ernst der Lage nicht im Ansatz verstanden.

    BSW und AfD sind keine Alternativen für gar nichts.

    Die nächste Koalition wird wohl wieder eine große und mit Blick auf die abgelaufenen 3 Jahre ist das wohl auch besser so. Die Grünen können sich in der Opposition neu finden und die FDP kann sich außerparlamentarisch zerlegen.

  • "Hegemonie der Linksliberalen"?



    Hab ich was verpasst?

  • Die Analyse ist in vielem nachvollziehbar, nur ein Punkt ist m.E. nicht stimmig. Die FDP gehört nicht in ein sozialliberales Lager. Das war vielleicht zu Zeiten eines Baum, eines Genscher eines Scheel so. Man war damals zwar auch wirtschaftsliberal, allerdings fehlte die heutige Betonköpfigkeit in z.B. Sachen Schuldenbremse. Man erkannte trotz allem einen starken Staat als wichtig an. Die heutige FDP will keine starke Rolle des Staates, die Starken, die ihn ohnehin kaum brauchen sollen nur möglichst wenig von ihm behelligt werden, also wenige Schulden, niedrige Steuern. Diejenigen, die den Staat brauchen, die Schwachen, sind kein Thema für die FDP.



    Daher musste am Ende diese Koalition scheitern, andernfalls hätten Grüne und SPD gleich den Laden zusperren können. Die Ampel war dem großes taktischen Fehler Lindners geschuldet, der bei den Koalitionsgesprächen mit Merkel und den Grünen 2017 die Nerven verloren und die große Chance der FDP (in weitaus günstigerer Lage) fahrlässig verspielt hatte. 2021 musste er liefern, mit bekanntem Ergebnis.

  • Ein guter Kommentar, Herr Reinecke.



    Hinzufügen möchte ich nur, dass lieber ein Ende mit Schrecken zu wählen ist, als ein Schrecken (Ampel = keine Regierung) ohne Ende. Insofern haben Scholz und Lindner mit Ihrer Seifenoper und dem Schlussstrich uns einen gefallen getan.

  • Ich teile nicht immer Ihre Meinung, Herr Reinecke, aber dieser Kommentar ist richtig gut. Dass Sie Herrn Merz mal als „Hort der Vernunft“ bezeichnen, wird er sich hoffentlich einrahmen.



    Jetzt bin ich mal gespannt, ob es diese Woche zwei „Bundestalks“ geben wird. Einen zu Trump und einen zum Ampelaus.