Auf Konversionsfläche in Brandenburg: Kahlschlag für Sonnenenergie
In Bad Freienwalde will ein Investor 370 Hektar Mischwald roden. Dort soll eine Photovoltaik-Anlage entstehen, für die es Garantievergütungen gäbe.
Dass so ein Tausch Natur gegen erneuerbare Energien an dieser Stelle tatsächlich möglich sein könnte, liegt daran, dass das Waldgebiet an der polnischen Grenze formal als Konversionsfläche gilt. Schon in der NS-Zeit wurde das Areal militärisch genutzt, dann übernahm in der DDR die Nationale Volksarmee die Flächen, ehe im Zuge der deutschen Wiedervereinigung die Bundeswehr Eigentümerin wurde. Diese verkaufte den bis zuletzt wenig bewirtschafteten Mischwald zwischenzeitlich an Privateigentümer.
Für all jene, die das Biotop erhalten wollen, ist das eine denkbar ungünstige Konstellation. Denn nur weil die Fläche formal als „benachteiligtes“ Konversionsgebiet gilt, fällt sie in die sogenannte Gebietskulisse des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes. Und das ermöglicht es, mit der Anlage Garantievergütungen nach EEG für den Strom zu bekommen.
Weil das ganze Gelände eingezäunt ist, haben zugleich die Menschen vor Ort wenig Bezug zu dem Wald, was die politische Arbeit für dessen Erhalt erschwert. Wäre die Waldung als Naherholungsgebiet im Bewusstsein der Menschen verankert, wäre deren Wert offenkundiger.
Isolation half Artenvielfalt
Zugleich haben die Absperrungen wiederum mit dazu beigetragen, dass sich in dem Mischwald mit seinen Eichen, Buchen, Linden und Kastanien eine hohe Artenvielfalt entwickeln konnte. Heute leben dort laut der Bürgerinitiative Pro Wald Hohensaaten „bedrohte Arten wie Uhu, Schwarzstorch oder Seeadler und weitere, die sonst kaum noch ein so großes, zusammenhängendes Gebiet als Heimat finden können“. In unterirdischen Schächten, die einen Teil des Waldes durchziehen, wohnen Fledermäuse. Einen formalen naturschutzrechtlichen Status hat das Areal als Konversionsfläche aber nicht.
Da der Zugang zu dem Gebiet selbst für Naturschützer nur bedingt möglich ist, habe man auch Infrarotaufnahmen aus der Luft ausgewertet, sagt Martin Gemeinholzer von der Bürgerinitiative. Er berichtet von mehr als 30 Baumarten, die in dem Wald nachgewiesen wurden – während der Investor von einer Kiefernmonokultur spricht. Neben der Artenvielfalt hebt die Bürgerinitiative zudem die Bedeutung der Naturfläche für das Lokalklima hervor – der Wert des Waldes sei „als Wasserspeicher und Kühlungselement“ in dieser trockenen Region „schlichtweg unermesslich“. Umweltverbände in Brandenburg, wie der Nabu und der BUND, lehnen das PV-Projekt daher vollumfänglich ab.
Der Investor, die Lindhorst-Gruppe aus Winsen an der Aller, spricht unterdessen von einem „energiepolitisch wichtigen Projekt“, das „die Entwicklung der Region signifikant voranbringen, Arbeitsplätze schaffen, die Werte von Immobilien steigern, das Steueraufkommen auch für Hohensaaten verbessern und jedem Bewohner günstigeren grünen Strom zur Verfügung stellen“ werde.
Wachsende Skepsis
Angesichts dieser vielfältigen Versprechen gab es in der Stadtverordnetenversammlung von Bad Freienwalde bislang eine Mehrheit für das Projekt. Aber zwischenzeitlich kämen viele Bürger durch die aufkommende öffentliche Debatte und die Informationsarbeit der Umweltverbände ins Grübeln, beobachtet Björn Ellner, Vorsitzender des Nabu Brandenburg. So wandle sich die Stimmung vor Ort langsam. Vor allem habe es Empörung gegeben, als der Investor auch noch Pläne zum ergänzenden Bau von Windrädern auf derselben Fläche vorstellte – die er nach dem Protest aber schnell wieder kassierte. Ein wenig will das Unternehmen nun wohl auch die PV-Anlage abspecken, von 250 auf 200 Hektar.
Im Moment warten alle Beteiligten auf die Vorlage des Artenschutzfachbeitrags, ein Gutachten, das ein wichtiger Bestandteil von Planungsprojekten ist und die Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt am betreffenden Standort bewertet. Dass dieses Gutachten sich bereits verzögert, werten Naturschützer als mögliches Indiz dafür, dass darin Dinge stehen werden, die dem Investor nicht ganz gelegen kommen. Eine Anfrage der taz dazu ließ die Lindhorst-Gruppe unbeantwortet.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise der Linkspartei
Ein Tropfen reicht, um das Fass zum Überlaufen zu bringen
Ende des Brics-Gipfels
Guterres diskreditiert die Vereinten Nationen
Getötete Journalisten im Libanon
Israels Militär griff Unterkunft von TV-Team an
Wissings Verkehrsprognose 2040
Auto bleibt wichtigstes Verkehrsmittel
Freihandel mit Indien
Indien kann China als Handelspartner nicht ersetzen
+++ Nachrichten im Nahost-Konflikt +++
Libanon-Konferenz sagt eine Milliarde Dollar zu