Energieproduktion auf künstlichen Inseln: Industriepark Nordsee

In der Nordsee soll auf künstlichen Inseln Strom aus Windparks in Wasserstoff verwandelt werden. Der Naturschutzbund hält nichts von dem Projekt.

Eine Computeranimation der geplanten Energieinsel zeigt eingeschossige Gebäude mit Solarkollektoren.

Computeranimation der geplanten Energieinsel: So stellen sich die Entwickler ihr Projekt vor Foto: Copenhagen Infrastructure Partners (Animation)

NEUMÜNSTER taz | Alles ist so schön grün auf der neuen Insel, die rund 150 Kilometer vor der deutschen Küste auf einem aufgeschütteten Fundament aus der Nordsee wachsen soll. Einen Park mit Bäumen, weiße Technikgebäude und einen Hafen zeigt die Projektskizze des dänischen Investors Copenhagen Infrastructure Partners (CIP). Auf zwei dieser Inseln, je 50 Hektar groß und rund 2,5 Milliarden Euro teuer, soll ab 2032 Windstrom aus Offshore-Parks gesammelt und in Wasserstoff verwandelt werden.

Das Projekt, über das der Spiegel zuerst berichtete, ist eine Folge des Ostende-Abkommens vom vergangenen März, bei dem sich neun Staaten auf den Ausbau erneuerbarer Energien in der Nordsee geeinigt hatten. Aus Sicht des Naturschutzes geht die Entwicklung jedoch in die falsche Richtung: Um Ärger mit An­woh­ne­r*in­nen an Land zu vermeiden, werde die Nordsee in einen Industriepark verwandelt.

„Wir sind sehr beunruhigt, mit welcher Dynamik und teilweise naturschutzfachlicher Rücksichtslosigkeit die Bundesregierung ins Meer drängt“, sagt Kim Detloff, Leiter für Meeresschutz beim Naturschutzbund Nabu. Bereits jetzt seien 90 Prozent der Nordsee verplant, selbst Naturschutzgebiete seien betroffen. „In jede Nische werden Windräder gepackt, Nutzungen übereinandergestapelt.“

Der Nabu stelle sich dabei keineswegs gegen den Ausbau erneuerbarer Energien, betont Detloff. „Aber wir glauben, dass es technisch und wirtschaftlich weit sinnvoller wäre, Wasserstoff an Land zu produzieren, wo er gebraucht wird. Stattdessen konzentriert sich die Politik auf das Meer, weil es an Land Widerstände gegen den Ausbau der erneuerbaren Energien gibt.“ Anders gesagt: Menschen klagen, Robben und Flundern nicht.

Kim Dettloff, Leiter für Meeresschutz beim Nabu

„In jede Nische der Nordsee werden Windräder gepackt, Nutzungen übereinander­gestapelt“

Für eine dezentrale Wasserstofferzeugung an Land statt auf See setzt sich auch der Landesverband Erneuerbare Energien ein. Eine „gewisse Produktionskapazität auf dem Meer“ sei zwar nötig, um die Klimaziele bis 2045 zu erreichen, sagt Landesgeschäftsführer Marcus Hrach. „Doch damit Schleswig-Holstein nicht nur Wasserstoff-Transitland wird, müssen Verbrauch und Erzeugung auf regionaler Ebene strategisch mitgedacht werden.“ Hinzu kommen technische Vorteile: Bei der Erzeugung von Wasserstoff entsteht Abwärme. An Land könne sie genutzt werden, auf See verpufft sie.

Für die Bundesregierung soll die Nordsee dagegen „in ganz kurzer Zeit der wichtigste Ort der Energieproduktion sein“. Das sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Ende eines Nordsee-Gipfel im belgischen Ostende im April. Neun Länder, darunter die EU-Staaten Deutschland, Belgien, Dänemark, Frankreich, Irland, Luxemburg und die Niederlande sowie die Nicht-EU-Staaten Norwegen und Großbritannien, beschlossen dabei einen EU-weiten Ausbau.

So etwa sollen bis 2050 mindestens 300 Gigawatt aus der Offshore-Windenergie stammen. Deutschland will dazu beträchtlich beitragen: Zurzeit produzieren Offshore-Parks vor den deutschen Küsten rund acht Gigawatt Strom im Jahr. Bis 2030 sollen es nach dem Abkommen von Ostende bereits 26,4 Gigawatt sein. Bis 2045 ist eine Aufstockung auf 66 Gigawatt in der Nordsee geplant. Um diese Ziele zu erreichen, einigten sich die Staaten auf den Ausbau gemeinsamer Infrastruktur, also Kabel, um den Strom an Land zu bringen, sowie die Energie-Inseln.

Zuständig für die Genehmigung der Anlagen ist das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie. Dort sind nun auch die Anträge für die ersten deutschen Energie-Inseln eingegangen, die „Nordsee-Energieland“ und „Dogger-Energieinsel“ heißen sollen.

Das Land Schleswig-Holstein ist nicht in die Planungen einbezogen, teilt das Ministerium für Energiewende und Umweltschutz mit. Dennoch schauen der grüne Fachminister Tobias Goldschmidt und sein Team aufmerksam auf das, was vor der Küste passiert. Mit 150 Kilometern sei der Abstand zu den Schutzgebieten im schleswig-holsteinischen Küstenmeer groß. Aber vom Bau und Betrieb der Inseln könnten Meeressäuger und Meeresvögel betroffen sein, die zwischen tieferer See und Küsten leben.

Keine Pipelines durch den Nationalpark Wattenmeer

Ein wichtiger Punkt aus Sicht des Landes ist, wo künftig Kabel oder Pipelines verlaufen. Schleswig-Holstein hat bereits eine Trasse definiert, die den Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer ausspart. „In dieser Trasse sollen zukünftig nach Vorstellung des Landes alle Anbindungsleitungen verlaufen“, sagt ein Ministeriumssprecher.

Ob dieser Wunsch gewährt wird? Kim Detloff vom Nabu sieht zurzeit „großen Druck aus dem Wirtschaftsministerium“, mit der Energiewende voranzukommen, auch wenn dabei Naturschutzbelange vernachlässigt werden. „Bei allem Verständnis für die Notwendigkeit – mich frustriert und erschreckt, wie schnell bisherige Grundsätze fallen.“

Dabei sei der Kampf gegen den Klimawandel nur zu gewinnen, wenn der Naturschutz gleichrangig behandelt werde. „Ich ärgere mich am meisten darüber, dass die Politik das Hochseeschutzabkommen feiert und auf die Bedeutung von Biodiversität hinweist, aber in Nord- und Ostsee interessiert das auf einmal nicht“, sagt Detloff.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.