Nach Urteil zu „Compact“: Tadel für Nancy Faeser
Nach dem vorläufigen Aussetzen des „Compact“-Verbots greift die FDP die Innenministerin an – Grüne und SPD springen ihr bei. Und das rechte Magazin?
Im Juli hatte Faesers Ministerium das rechtsextreme Magazin von Verschwörungsbefeuerer und Putinfreund Jürgen Elsässer verbieten lassen. Am Mittwoch aber hob das Bundesverwaltungsgericht den sofortigen Vollzug des Verbots auf: Das Magazin genieße einen vorläufigen Rechtsschutz, da die Erfolgsaussichten seiner Klage gegen das Verbot „offen“ sei. Zwar ließen einzelne Texte Verletzungen der Menschenwürde und eine „kämpferisch-aggressive Haltung“ gegen Verfassungsgrundsätze erkennen.
Mit Blick auf die Meinungs- und Pressefreiheit gebe es aber „in weiten Teilen nicht zu beanstandende Beiträge“ in den Ausgaben. Es bestünden daher „Zweifel“, ob die verfassungsfeindlichen Artikel so prägend für das Magazin seien, um das Verbot zu rechtfertigen. Denn es gebe es ja auch mildere Mittel, wie presserechtliche Maßnahmen oder Veranstaltungsverbote.
Faeser schwieg zunächst zu der Entscheidung, am Donnerstag schaltete sie auf Vorwärtsverteidigung. Das Verbot sei richtig, der Weg über das Vereinsgesetz auch nicht beanstandet worden, sagte sie im Berliner Ostbahnhof. Compact sei vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft und verbreite verfassungsfeindliche Agitation. Man habe dafür „umfassendes Beweismaterial“ vorgelegt. Dass das Bundesverwaltungsgericht vorläufig anders entschieden habe, sei ein im Rechtsstaat „ein ganz normaler Vorgang“, beteuerte Faeser. Der Ausgang im Hauptverfahren aber sei „offen“. Und, so die Innenministerin: „Wir werden weiter entschieden gegen Verfassungsfeinde vorgehen.“
Fall erledigt? Wohl kaum.
Fall erledigt? Wohl kaum. So muss sich die Ministerin weiter Kritik gefallen lassen, auch aus der Ampel selbst. FDP-Mann und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki polterte, die Entscheidung sei eine „Klatsche“ für Faeser. Sie werde vor den Wahlen im Osten „zur besten Wahlkämpferin der AfD“. Verliere sie auch im Hauptsacheverfahren, müsse Faeser zurücktreten.
Auch Kubickis Parteikollege Konstantin Kuhle sagte der taz, Faesers Ministerium sehe in Sachen Compact-Verbot „nicht gut aus“. Offenbar sei das Verbot nicht sorgfältig genug vorbereitet worden. „Dass sich dieses Magazin, dessen Protagonisten im Zentrum des organisierten Rechtsextremismus stehen, sich in eine Opferrolle begeben kann und nun vor Gericht punktet, schadet dem Kampf gegen den Rechtsextremismus ganz offensichtlich.“
Aus der Opposition kam ohnehin Kritik. Vertreter der Union attestierten Faeser handwerkliche Mängel beim Verbot, der vorläufige Gerichtserfolg für Compact werfe ein „verheerendes Licht“ auf ihre Sachkompetenz. Die AfD forderte direkt Faesers Rücktritt.
Jürgen Elsässer dagegen kostete seinen Punktsieg aus. Schon am Mittwoch reagierte er mit einem Video, in dem er mit seiner Frau und einem Mitarbeiter mit Sekt anstieß. Die Entscheidung sei der „größte Triumph in der Nachkriegsgeschichte“, tönte er großspurig und schmähte Faeser als „Diktatorin“. Am Donnerstag nahm Elsässer dann im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin Platz, nicht im großen Saal, sondern eingemietet in einem kleinen Nebenraum. Einen der Anwälte von Compact, Laurens Nothdurft, begrüßte er euphorisch: „Sie sind der Sieger.“
Nothdurft indes ist selbst ein Beispiel für das Netzwerk, in dem sich Compact bewegt: Er war früher Mitglied der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ), eine von der Hitlerjugend inspirierten und 2009 verbotenen Jugendorganisation. Seit Juli ist der AfD-Politiker Ortsbürgermeister von Roßlau in Sachsen-Anhalt.
„Unsere Justiz ist unabhängig und urteilt entsprechend“
Die August-Ausgabe sei bereits vor dem Inkrafttreten des Verbots gedruckt worden und dann eingelagert worden, erklärte Elsässer. Da aber auch die Abonnentenkartei und Unterlagen beschlagnahmt worden seien, werde die Ausgabe über Einzelbestellungen ausgeliefert. Zuvor hatte Elsässer die Ausgabe digital allerdings schon unter anderem Namen vertrieben: Mit dem Titel „Näncy“, online bestellbar über die Seite des Querdenkerblatts „Demokratischer Widerstand“.
Der TV-Ableger von Compact könne vermutlich schneller wieder an den Start gehen als das Magazin, sagt Elsässer. Er bezeichnet das Verbot als Erfolg für Compact: Davor hätten vielleicht zwei Millionen Deutsche das Magazin gekannt, „jetzt dürften es 60 Millionen sein.“
Auch andere Rechtsextremisten feierten die Entscheidung. Von einer „politischen Sensation“ sprach AfD-Rechtsaußen Björn Höcke. Der Identitäre Martin Sellner jubelte über einen „großartigen Tag“. Das rechtsextreme Netzwerk „Ein Prozent“ kündigte an, Compact über einen „Solifonds“ ein neues Studio zu finanzieren.
Für Faesers erklärten Kampf gegen den Rechtsextremismus ist das Urteil vom Mittwoch ein Rückschlag. Ihr Ministerium wird seine Beweise gegen Compact nun noch mal ausbauen müssen – auch mit Material, das bei den Durchsuchungen am Verbotstag im Juli beschlagnahmt wurde.
Faeser bekam aber auch Unterstützung: Die Grünen-Parlamentsgeschäftsführerin Irene Mihalic sagte der taz, es sei bei Verboten immer so, dass diese gerichtlich überprüft und beanstandet werden können. „Unsere Justiz ist unabhängig und urteilt entsprechend. Und das ist gut so.“ Noch sei die Entscheidung vorläufig, wie das Hauptsacheverfahren ausgehe, bleibe abzuwarten. „Rücktrittsforderungen halte ich vor diesem Hintergrund für überzogen und nicht angemessen“, so Mihalic. Sie erwarte aber, dass das Innenministerium nun „mit der gebotenen Sorgfalt“ im Hauptverfahren alle Argumente für das Verbot darlege.
Auch SPD-Mann Sebastian Fiedler warnte, auf Erzählungen der Rechtsextremen „hereinzufallen“. Die Gerichtsentscheidung sei ja nur vorläufig, betonte auch er. Angesichts der zahlreichen Belege, wie Compact gegen die verfassungsgemäße Ordnung agitiere, sei das Verbot „geradezu zwingend“, so Fiedler zur taz. „Ich bin sicher, dass im Hauptsacheverfahren, nach Auswertung aller Beweismittel, das Verbot Bestand haben wird.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen
Nahost-Konflikt vor US-Wahl
„Netanjahu wartet ab“
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Anschläge auf „Programm-Schänke“
Unter Druck
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln
Grundsatzpapier des FInanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik