4.100 Euro für Flughafenbesetzung: Letzte Generation soll blechen
Die Polizei rückte an, als die Gruppe den Flughafen BER besetzte – dafür sollen Aktivist:innen zahlen. Sind sie aber eine kriminelle Vereinigung?
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von einer „absolut inakzeptablen Eskalation“. Nun steht der Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung im Raum. Zudem sollen die Aktivist:innen für den damaligen Polizeieinsatz blechen.
Eine Sprecherin der Bundespolizei bestätigte der taz, wegen des Einsatzes neun Gebührenbescheide mit einer Forderungssumme von insgesamt rund 4.100 Euro erlassen zu haben. Die strafrechtlichen Ermittlungen liefen weiter. Die Vorwürfe: gefährlicher Eingriff in den Luftverkehr, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch. Dafür drohen bis zu zehn Jahre Haft.
Zu der Flughafenbesetzung ermittelt die Staatsanwaltschaft Neuruppin, ebenso wie zu anderen Aktionen der Letzten Generation in Brandenburg – dem Abdrehen von Ventilen in der Raffinerie in Schwedt und einer Kartoffelbrei-Attacke im Barberini-Museum in Potsdam. Die Staatsanwaltschaft bündelte die Verfahren und ermittelt – bundesweit erstmalig – wegen des Verdachts einer kriminellen Vereinigung. Im Dezember 2022 wurden deshalb die Wohnungen von 11 Beschuldigten in mehreren Städten durchsucht.
Justizminister Buschmann wehrt Kritik an Gerichten ab
Am 19. April wies das Landgericht Potsdam eine Beschwerde eines Beschuldigten dazu zurück und erklärte den Anfangsverdacht einer kriminellen Vereinigung für rechtmäßig – auch das ist eine Premiere. Der Beschluss wurde erst jetzt bekannt, ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Neuruppin bestätigte ihn der taz.
Kritik an der Entscheidung wehrte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) ab: Die Gerichte seien unabhängig, twitterte er. Wenn die Letzte Generation als kriminell gilt, eröffnet das den Ermittler:innen zahlreiche Befugnisse, die von Telekommunikationsüberwachung bis hin zur Ausforschung auch von Kontaktpersonen reichen.
In Berlin dagegen wird dem Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung deutlich widersprochen. Der taz liegt ein fünfseitiges Schreiben des zuständigen Oberstaatsanwalts Holger Brocke vor, das dieser im Januar als Antwort auf eine Anzeige gegen die Gruppe verfasste.
Demnach lägen „keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte“ für die Bildung einer kriminellen Vereinigung vor, da die Gruppierung „nicht auf die Begehung hinreichend gewichtiger Straftaten gerichtet ist“.
Aktionen „symbolischen Charakters“
Brocke geht dabei auch auf jene in Brandenburg begangenen Straftaten ein: So sei es bei den Flughafenblockaden nicht „zu konkreten Gefährdungen des Luftverkehrs“ gekommen. Die vorherige Ankündigung der Aktion spreche „gegen einen entsprechenden Vorsatz“.
Auch gebe es „keinerlei Erkenntnisse“, dass die Raffinerie-Aktionen zu „nennenswerten Störungen von Anlagen oder Betrieben“ geführt hätten; letztlich seien diese „symbolischen Charakters“. Ebenso die Aktionen in den Museen, bei denen „die Bilder – ggf. mit Ausnahme des Rahmens – selbst nicht beschädigt wurden“.
Ein Sprecher der Berliner Generalstaatsanwaltschaft sagte, man gehe „nach wie vor nicht vom Vorliegen einer kriminellen Vereinigung aus“. Der Beschluss des Landgerichts Potsdam werde aber „in die fortlaufende Bewertung einfließen“.
In Bayern wird seit Monaten geprüft, ob die Letzte Generation eine kriminelle Vereinigung ist, wie die Münchner Generalstaatsanwaltschaft der taz bestätigte. In München hatte die Gruppe Ende 2022 ebenfalls kurzzeitig den Flughafen betreten und sich nahe einer Rollbahn festgeklebt. Auch dazu laufen noch Ermittlungen.
In Sachsen erklärte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Dresden, dass der Tatvorwurf der kriminellen Gruppierung in den dortigen Verfahren bisher keine Grundlage habe.
Berlin will Präventivgewahrsam verlängern
Unterdessen ist Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) gewillt, den Präventivgewahrsam von zwei auf fünf Tage zu verlängern – insbesondere wegen Aktionen der Letzten Generation, zu denen es in Berlin bislang 1.786 Verfahren gab. Ein entsprechender Gesetzentwurf werde „zeitnah“ in das Parlament eingebracht, wie eine Sprecherin sagte.
Ein Sprecher von Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) erklärte, man werde dafür „Hand in Hand“ mit Spranger zusammenarbeiten. Gleichzeitig brauche es eine „grundsätzliche und sachliche Befassung mit dem Thema“ des verlängerten Präventivgewahrsams, „nicht die Fokussierung auf nur einen Sachverhalt“.
Die Letzte Generation gibt sich von all dem bisher ohnehin nicht beeindruckt und kündigte an, ihre Blockaden fortzusetzen – bis die Regierung ihr „fossiles Weiter-so endlich beendet“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trump erneut gewählt
Why though?
Harris-Niederlage bei den US-Wahlen
Die Lady muss warten
Pro und Contra zum Ampel-Streit
Sollen wir jetzt auch wählen?
Pistorius stellt neuen Wehrdienst vor
Der Bellizismus kommt auf leisen Sohlen
Abtreibungsrecht in den USA
7 von 10 stimmen „Pro-Choice“
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala