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Missachtung des BürgerwillensDas Volk bin ich

Erik Peter
Kommentar von Erik Peter

CDU und SPD missachten in ihrem Koalitionsvertrag die Ergebnisse direkter Demokratie. Abgeräumt werden drei Volksentscheide und ein -begehren.

Franziska Giffey und Kai Wegner Foto: dpa

D ie Verachtung direkter Demokratie und des Bür­ge­r:in­nen­wil­lens zieht sich wie ein roter Faden durch den Koalitionsvertrag von CDU und SPD. Die Ergebnisse gleich dreier Volksentscheide und eines Volksbegehrens sollen ignoriert oder konterkariert werden.

Beide Parteien lassen damit jeden Respekt vor demokratischer Mitbestimmung vermissen. Und diese ist eh schon mit hohen Hürden versehen. Stattdessen gefallen sich Kai Wegner (CDU) und Franziska Giffey (SPD) ganz offensichtlich in der Rolle des Sonnenkönigs Ludwig XIV., ganz nach dem Motto: „Das Volk bin ich.“

Weil sie das aber nicht offen aussprechen, verstecken sie das Abräumen der Volksentscheide hinter Floskeln und schön gefärbten Absichtserklärungen. Statt „Enteignung wird es mit uns nicht geben“, steht „Vergesellschaftungsrahmengesetz“ im Vertrag. Dieses Gesetz soll laut CDU/SPD die Grundlage für mögliche Vergesellschaftungen bilden, tatsächlich jedoch ist es völlig überflüssig und dient der Koalition einzig dazu, Zeit zu gewinnen.

Das verschleiern sie noch nicht einmal. Ohne jede Erklärung heißt es: „Das Gesetz tritt zwei Jahre nach seiner Verkündung in Kraft.“ Damit rettet sich die drohende Koalition mit Pseudoaktivität über ihre verbleibende dreieinhalbjährige Legislatur. Vollkommen zu Recht zeigte sich die Initiative Deutsche Wohnen & Co Enteignen „entsetzt über die antidemokratische Haltung der beiden Parteien“.

Symbol Tempelhofer Feld

Entsetzt müssen auch jene sein, die das Tempelhofer Feld als Freifläche erkämpft haben und damit den Menschen der Stadt und dem Klima einen großen Gefallen getan haben. Der penetrante Wunsch, es nun doch zu bebauen, ist, man kann es nicht anders sagen, ein Stinkefinger für die rot-grüne Klientel, die man im Wohnumfeld und beim Relaxen auf dem Feld vermutet.

Angesichts von definierten Freiflächen für 212.000 Wohnungen in der Stadt sind die geplanten 5.000 Wohnungen nichts als ein Symbol. Schwarz-Rot möchte mit einem städtebaulichen Wettbewerb Fakten schaffen und sich das danach absegnen lassen. Man bitte die Ber­li­ne­r:in­nen um eine „Neubewertung“, so der unausgereifte Plan.

Gar nicht mehr fragen wollen CDU und SPD bei der Einführung von Religion als Wahlpflichtfach. Auch das widerspricht klar dem Willen der Berliner:innen, die nicht nur zu 80 Prozent keiner christlichen Kirche angehören, sondern sich 2009 gegen das Unterrichtsfach Religion als Alternative zu einem gemeinsamen Ethik-Unterricht ausgesprochen hatten. Vor allem die CDU opfert hier den erklärten Willen des Volkes ihren Klientelinteressen und schafft sich angesichts des schon jetzt großen Leh­rer:­in­nen­man­gels selbst neue Probleme.

Zu guter Letzt vergreifen sie sich auch noch am Radgesetz, das infolge eines Volksbegehrens beschlossen wurde. Kai Wegner kündigte schon mal an, die definierte Regelbreite von 2,30 Meter für Fahrradwege abschaffen zu wollen; auch der anvisierte Ausbau wird wohl nicht mehr kommen. Gefördert wird nur noch die Fahrradstaffel der Polizei. Armes Berlin.

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Erik Peter
Politik | Berlin
Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".
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45 Kommentare

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  • "Gar nicht mehr fragen wollen CDU und SPD bei der Einführung von Religion als Wahlpflichtfach. Auch das widerspricht klar dem Willen der Berliner:innen, ..."

    Ich glaube kaum, dass es der "Wille der Berliner" ist, keine Wahl zu haben. Berlins ist eine offene Stadt.

    Das scheint mir mehr der Wille einzelner fundamentalistischer Religionskritiker zu sein, die meinen im Namen einer vermeintlichen Mehrheiten der Berliner sprechen zu können.

    • @Rudolf Fissner:

      Religion als alleiniges Unterrichtsfach gehört an keine Staatliche Schule, egal ob Berlin oder Bayern.



      Ein kombinierter Religionsunterticht mit Ethik für den gesamten Klassenverband bei dem nicht in sondern über Religion und Gesellschaft unterrichtet wird, sollte Bundesweit den Standard bilden. Unterricht in den jeweiligen Konfessionen gehört außerhalb der Schule oder an die Schulen der jeweiligen Träger.

    • @Rudolf Fissner:

      Ja, diese Versuche, mit Floskeln wie „passt nicht zu Berlin“ , „Berlin bleibt dreckig“ etc die Definitionshoheit zu beanspruchen, fallen mir auch auf. Erinnert an die amerikanischen Republikaner, die für sich beanspruchen, „the real Americans“ zu sein.

  • Das habe ich von Giffey und der CDU nicht anders erwartet.

    • @Land of plenty:

      Die Grünen sind inzwischen auch nicht mehr für Volksabstimmungen.

      Stattdessen wollen sie Bürgerräte. Weil dort ihre Klientel drinsitzt, nämlich das Bürgertum. Da kann einem der Pöbel aus den Außenbezirken „mit Swimmingpool und SUV“ (Zitat Taz) nicht mehr die schöne Politik kaputtmachen.

      • @Suryo:

        Manchmal, aber nur manchmal werden dann doch Befragungen durchgeführt. Und ganz manchmal sind es dann die richtigen, die befragt werden.

  • Ludwig XIV war ganz bestimmt NICHT das Volk, das hat er auch nicht so gesagt. Er war der Staat.

  • Wie witzig:



    1) als ob im Volksentscheid das Radgesetz so beschlossen wurde, was jetzt an die Realität angepasst wird. Im übrigen sind unter grünem Verkehrssenat wie viele Radwege neu entstanden, die nicht vorher schon da waren?



    2) Tempelhofer Feld: Irgendwann verstehen die Menschen, dass sie auch wohnen wollen und zwar dann, wenn sie eine Wohnung suchen



    3) Es ist wohl jedem bekannt, dass eine mögliche "Enteignung" ein schwieriges Unterfangen ist und dies sagen konservative Befürworter als auch prospektive Ablehner

  • Leider ist das so, dass die Berliner beim ungestört 'regieren' stören. Vielleicht müsste die Koalitionäre mal an ihrem Selbstverständnis arbeiten und den Regierungsauftrag als Dienst an *allen* BerlinerInnen sehen?

    • @Anna Bell:

      Stimmt! Wenn sich die Regierung auf einmal an den Interessen von 2/3 der Berliner*innen orientiert, sind es nicht alle. Leider gefällt dies aber den gut situierten Traditionalisten, die die Stadt unverändert lassen wollen und in der Innenstadt wohnen, nicht.

    • @Anna Bell:

      Tun sie ja. Vorher ging‘s ja in erster Linie um die wohlhabenden Altbaukiezbewohner im Innenring. Die Grünenwähler also.

      • @Suryo:

        Genau. Die Interessen grüner Altbaukiezbewohner, roter Arbeitsloser, blauer Fahrradfahrerinnen sowie gelber Arbeiter ... werden nun nicht mehr berücksichtigt.

  • Wahlen ändern nichts, sonst wären sie verboten.

    Eine alte Erkenntnis.



    Eine wahre Erkenntnis.



    Eine wichtige Erkenntnis.

  • Verstehe die Aufregung nicht die Koalitionsvereinbarung besteht aus den Versprechen der Parteien . Die SPD war immer gegen die Enteignung und hat das auch klar geäußert, die CDU ebenfalls. Wenn den Wählern*innen es so wichtig gewesen wäre hätte sie anders wählen müssen. Wir sind in einer parlamentarischen Demokratie und diese Initiativen sind nicht gesetzgebend bindend …. Und das ist auch gut so…

    • @Bernd Meier:

      Da sag ich mal ganz frech: Lesen bildet, z.B. die Landesverfassung von Berlin, Artikel 59ff

      Aber ernsthaft: eine parlamentarische Demokratie heißt aber nicht (nur), dass alle paar Jahre mal gewählt wird und sonst hat man sich nicht zu melden, oder?

      • @Anna Bell:

        Deshalb bitte endlich Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild einführen.

  • In den Wahlen der Parlamente werden Mehrheiten entschieden. Wem das nicht gefällt, der kann meckern und brummen, aber so funktioniert nun mal Demokratie.

    • @Rudi Hamm:

      Und weil das so gut funktioniert nimmt immer mehr die Wahlbeteiligung ab.

    • @Rudi Hamm:

      Wie immer stark verkürzt, aber einfach mal die Landesverfassung lesen.

  • Der Beschluss Tempelhofer Feld kam in einer Zeit zustande,als keine bzw Pläne dieses wertvolleGelände zu verscherbeln im Raum standen. Das galt es zu verhindern. Einen Ewigkeitsanspruch war damit nicht verbunden.Einer sinnvollen Nutzung mit nutzbaren Freiflächen werden viele Wählerinnen zustimmen.

    • @Kajakia:

      Insbesondere die Wähler, die unter der Wohnungsnot in Berlin leiden.

      Spoiler: Das sind nicht die Grünen-Wähler.

    • @Kajakia:

      "Ewigkeitsanspruch"... war es nicht sogar so, daß nur für eine gewisse Zeit keinerlei Bebauung stattfinden sollte - und diese Zeit schon um ist?

  • In der Nacht des Volksentscheides über das Tempelhofer Feld knallten bei allen Maklern der Umgebung die Sektkorken.

    Man kann meiner Meinung nach nicht einerseits gegen jede Bebauung des Feldes sein, andererseits gegen Mieterhöhungen und gierige Immobilienkonzerne.

    • @Suryo:

      Berlin kann selbst vermakeln und bebauen. Oder sind die landeseigenen Genossenschaften/Gesellschaften unfähig ?

    • @Suryo:

      Ist denn diese Wiese soo toll? Bin da etliche Male vorbeigefahren und es ist tatsächlich nur eine sehr große sehr ebene Wiese mit einem riesigen Nazibau entlang. Ein Flugfeld eben. Also ich wöllte da nicht spazierengehen, kein Baum, kein Schatten, nichts. Oder habe ich was übersehen?

      • @Fabian Wetzel:

        Nein, haben Sie nicht. Ja, da brüten Feldlerchen.



        Aber letztlich ist es eben nur eine riesige Ebene. Ein Flugplatz eben.

        Diese "Weite" (die man binnen 20 Minuten auch in Brandenburg erleben könnte) wird, typisch Berlin, zu etwas angeblich einzigartigem hochgejazzt.

        Und ja, im Hochsommer bei 35 Grad will man da nicht hin.

    • @Suryo:

      Doch, man kann schon gegen hohe Mieten sein und gegen die Bebauung.



      1. Um dem Klimawandel zu trotzen sind Grünflächen extrem wichtig.



      2. Die Uuliegenden Bereich sind mit Abstand die am dichtesten Bbsiedelten Gebiete in Berlin. Die Grünflächen werden als Naherholungsgebiete benötigt.



      3. wie im Artikel beschrieben, gibt es hinreichend viele Flächen in Berlin, die bereits erschlossen/versiegelt sind und deren ökologischer Wert gering ist.



      4. Die gebauten Wohnungen werden garantiert nicht zu Mietsenkungen führen.



      5. Und ketzerische Gegenfrage: wqas spricht denn gegen eine Randbebauung der große Tiergartens oder Bebauung der Grünflächen zwischen den Villen in Zehlendorf? In beiden Fällen ist die Bevölkerungsdichte deutlich niedriger und Parkplätze gibt es auch reichlich.

      • @Anna Bell:

        Die am dichtesten besiedelten Gebiete sind in Prenzlauer Berg und auch nach der Randbebbauung wäre das Feld noch eine der größten Freiflächen Berlins.

        • @Suryo:

          Das ist schlicht und einfach falsch, was sie da behaupten, siehe z.B. hier: de.wikipedia.org/w...gliederung_Berlins

          Aber davon abgesehen ändert das nichts daran, dass ausgerechnet dort, wo die Bevölkerungsdichte am Höchsten ist, Grünfächen verschwinden sollen. Die Interessen der lokalen Bevölkerung wird hier einfach ignoriert.

          Und was ist eigentlich mit meinem 5. Punkt oben?

          • @Anna Bell:

            Die höchste Dichte haben aktuell der Bötzow- und der Helmholtzkiez.

            Der Tiergarten mit seinen alten Bäumen hat viel höheren ökologischen Wert als eine Wiese, auf der noch vor wenigen Jahren reger Flughafenverkehr herrschte.

            Was spricht denn nun gegen eine Randbebauung? Die Fläche wäre doch gar nicht vollends weg. Wie groß muss es denn ihrer Ansicht mindestens sein?

    • @Suryo:

      So ist es. Aber diese "bin gegen alles"-Mendalität ist ja gerade in.

  • Das alles ist doch selbst für die taz sehr hoch gegriffen. Die Wähler wussten, worauf sie sich einlassen und sie haben diese Parteien gewählt.

    DW enteignen ist vollkommen unverbindlich und alles andere hat Gesetzesrang und kann damit durch parlamentarische Gesetze geändert werden.

    Übrigens ein Vergesellschaftungsrahmengesetz hatte zuerst die die Linke ins Spiel gebracht.

    • @DiMa:

      Das ist eines der Probleme, aber das wissen Sie ja selber: Mit einem Kreuz kaufen bwz. wählen sie die Katze im Sack.

      Deswegen sind Volksentscheide eigentlich eine prima Sache um sachbezogen seine Meinung kund zu tun. Aber: das stört natürlich beim Regieren.

      • @Anna Bell:

        Es sei denn, eine gut organisierte kleine Gruppe schafft es, den Entscheid zur Sicherung ihrer Privilegien zu nutzen. So wie damals der erste Volksentscheid in Hamburg, der den Grünen, die Volksentscheide überhaupt erst ermöglicht hatten, ihre Schulreform zerschlug.

      • @Anna Bell:

        Volksentscheide sind gute Sachen, wenn nicht drin steht, wer es bezahlt. Das Enteignen schafft keinen Wohnraum und kostet Unsummen. Enteignen gibt es nicht für lau.

  • @Erik Peter: "Der penetrante Wunsch, es nun doch zu bebauen, ist, man kann es nicht anders sagen, ein Stinkefinger für die rot-grüne Klientel, die man im Wohnumfeld und beim Relaxen auf dem Feld vermutet."

    Ganz ehrlich, Berlin zeigt regelmäßig mit dem Finger auf andere Bundesländer, wie schlecht diese doch in allem sind. Es wird sich im Wochenrythmus zb über die Abstandsregeln bei der Windkraft echauffiert und das die Leute damit Leben sollen, dass in ihrem Vorgarten Windräder stehen. Der Wille der Landbewohner ist den Berlinern dabei total egal.



    Aber wenn es dann an Flächen in Berlin geht, die die Einwohner frei von etwas haben wollen, dann wird aufgeschrien.



    Das ist Doppelmoral!

    Generell bei Energie hoffen die Berliner, dass die erneuerbare Energie aus dem Umland in Brandenburg kommt, aber Gott bewahre bloß keine Solarparks in Berlin (zb auf dem Tempelhofer Feld).

    Berlin nimmt sich Privilegien heraus, welche sie anderen nicht gewähren.

    • @Walterismus:

      Es geht doch um Wohnbebauung und nicht um Solarparks

      • @Francesco:

        Schon klar, aber es geht um die Analogie!



        Du kannst als Berlin nicht auf andere Regionen zeigen und diese ständig kritisieren wenn diese sich gegen irgendeine Art von Bebauung oder Veränderungen wehren. Dann darf man nicht selber so agieren.



        Wie gesagt Doppelmoral!



        Und diese Doppelmoral ist beim Tempelhofer Feld einfach offensichtlich!

  • Vielleicht hätten die Wähler dann Parteien wählen sollen, die gewillt sind den Bürgerwillen umzusetzen?

    • @Diana Klingelstein:

      Funktioniert nicht. Nicht nur in der Industrie, auch beim Wähler herrscht Fachkräftemangel. Außerdem ist auch ein Teil zu der festen Überzeugung gelangt, daß ihr Kreuz absolut keine Auswirkung auf die Politik hat.

  • Das "Entsetzen" der Taz-Gemeinde beruht ausschließlich auf der CDU-Phobie. die Petitessen die im Artikel bejammert werden, sind recht unerheblich- Und wie immer ist man schnell bei der Hand, das Ende der Demokratie zu verkünden, Dabei ist es nur das Ende einer dysfunktionalen Koalition. Die neue Regierung hat es leicht: Es ist nur die Null-Leistung von RRG zu toppen.

    • @Peter Keul:

      Und vor 2016 war's in Berlin so viel besser..!?

    • @Peter Keul:

      Petitessen, soso.



      Das erinnert mich irgendwie an die "Peanuts" der Deutschen Bank, nur so etwa 50 Millionen Mark ...

      • @Tetra Mint:

        1000 sternchen