Netanjahu in Berlin: Ein Schaden für Israels Demokratie

Netanjahu einladen? Ein Fehler. Deutschland hat Verantwortung gegenüber Israel, aber nicht gegenüber einer teils rechtsradikalen Regierung.

Benjamin Nethanjahu bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Olaf Scholz

Olaf Scholz bereitet Benjamin Netanjahu ohne Not eine Bühne. Berlin am 16.03.2023 Foto: Annegret Hilse/reuters

Stellen Sie sich vor, Sie sind Benjamin Netanjahu. Stellen Sie sich also vor, Sie sind ein mutmaßlich korrupter Regierungschef, der mit Rechtsradikalen koaliert und die Unabhängigkeit der Justiz kippen will. In Israel geht die Hälfte der Bevölkerung gegen Sie auf die Straße. Was tun Sie?

Sie fliegen ins Ausland, ein paar Fototermine mit Regierungschefs machen, damit Sie sich zu Hause als starker Mann präsentieren können. Nur blöd, dass Sie niemand einladen will, nicht mal Ihr engster Partner, die USA. Und jetzt? Fliegen Sie nach Berlin. Denn die Deutschen, die können nicht Nein sagen.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat Netanjahu empfangen und damit der israelischen Demokratiebewegung geschadet. Er übergeht damit israelische Intellektuelle, die in einem offenen Brief darum baten, den Besuch abzusagen. Scholz sagte bei seinem Auftritt mit Netanjahu, dass man den Siedlungsbau und die Justizreform „mit Sorge“ beobachte. Ansonsten freute er sich, die militärische Zusammenarbeit auszubauen. Netanjahu lächelte in die Kameras, er kann zufrieden sein. Und die mahnenden Worte werden verpuffen, wie in all den Jahren zuvor.

Muss das sein? Nein. Scholz hätte Netanjahu den Besuch verweigern können, so wie die US-Regierung die Einladung an ihn hinauszögert. Deutschland hat eine Verantwortung gegenüber Israel, aber nicht gegenüber den PR-Interessen ihres Regierungschefs. Je weiter sich Israel in Richtung einer „theokratischen Diktatur“ entwickelt, wie manche befürchten, desto klarer muss Deutschland sich entscheiden, ob seine Solidarität den Jüdinnen und Juden gilt oder einer Regierung, die nicht nur für Palästinenser, sondern auch für liberale und säkulare Israelis, ja für die israelische Demokratie eine Bedrohung darstellt. Was könnte Deutschland tun? Es könnte Waffengeschäfte wie den Kauf des Luftabwehrsystems Arrow 3 aussetzen, bis die Justizreform vom Tisch ist. Die Verhandlungen laufen, das System wird erst in Jahren geliefert werden, die Sicherheit gegenüber Putin erhöht es also unmittelbar nicht. Und es gibt Alternativen.

Kein Geld mehr für Autonomiebehörde

Auch gegen die Besatzungspolitik hat die Bundesregierung einiges in der Hand. Es klingt widersprüchlich, aber: Um Israels Regierung unter Druck zu setzen, könnte Deutschland den Palästinensern das Geld abdrehen. Deutschland und die EU finanzieren maßgeblich die ebenso korrupte wie undemokratische palästinensische Autonomiebehörde. Deutschland zahlt damit die Rechnung, die Israel als Besatzungsmacht übernehmen müsste. Gleichzeitig könnte Deutschland den internationalen Druck auf Israel bei den UN erhöhen.

In Israel geht es gerade nicht nur um einen Angriff auf den Rechtsstaat. Der Angriff auf das Höchste Gericht dient auch dazu, die Besatzung der Palästinenser ungestört auszubauen. Während alle über die Justizreform sprechen, ist in Israel in den vergangenen Wochen weitgehend unbemerkt eine Änderung in Kraft getreten, die mindestens genauso brisant ist.

Finanzminister Bezalel Smotrich, der sich selbst in einem Interview als “faschistischen Homophoben“ bezeichnet hat, hat von Netanjahu die Kontrolle über die größten Teile der besetzten Gebiete übertragen bekommen. Das kommt de facto einer Annexion gleich. Bisher waren, grob zusammengefasst, Militärs für die besetzten Gebiete zuständig, weil sie völkerrechtlich eben nicht zum Staat Israel gehören. In den palästinensischen Gebieten regiert also jetzt ein rechtsradikaler israelischer Minister über Palästinenser, die diesen nicht abwählen können. Gleichzeitig gilt für die Palästinenser ein anderes Rechtssystem als für die benachbarten Siedler.

Auch wenn das in Deutschland manchen schwerfällt: Wer seine Solidarität mit der israelischen Demokratie zeigen will, muss diese Regierung international isolieren.

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Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.

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